Hamburger Schmierentheater:Schillout

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Der Skandal beginnt erst da, wo die Politik anfängt.

Von Willi Winkler

In den alten Zeiten, wo noch Recht und Ordnung herrschten, schöpfte Karl Kraus aus seiner Erfahrung als Gerichtsreporter einen ewig gültigen Schluss: "Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht."

In Hamburg hetzte ein Richter namens Schill so eifrig gegen die vermeintlichen Feinde von Recht und Ordnung, gegen Demonstranten also und weitere polizeiauffällige Subjekte, dass er sich bald der besonderen Zuneigung der lokalen Hetzpresse erfreuen durfte. Das war kein Skandal, sondern eine Stilfrage. Das Land bedurfte nämlich dringend neuer Männer (neuer Frauen notfalls auch), die richtig zupacken konnten. Gemeinsam wollte man sich für den von den großen Parteien vernachlässigten "rechtschaffenen Bürger" verwenden, also endlich durchgreifen und wegsperren.

Knapp zwanzig Prozent der Hamburger Wähler wollten 2001 diese "rechtsstaatliche Offensive" unterstützen, genug jedenfalls, damit der CDU-Kandidat Ole von Beust mit Richter Schills Hilfe durch die Senatswahlen Bürgermeister wurde. Auch das war kein Skandal, sondern Politik.

Der Richter wurde ein Star, und dass er in der Viertelwelt von Kokainkonsumenten und Disco-Schlägern verkehrte, zeigte doch nur, wie ernst er seine Milieustudien betrieb. Aus diesem Milieu bezog Schill, wie er nun kund gab, ein Wissen über das Privatleben des Bürgermeisters, das er jetzt - vielleicht, vielleicht auch nicht - benutzte, um seinen Vorgesetzten zu erpressen.

Bürgermeister Beust ließ sich das nicht gefallen und hat seinen Innensenator mit dem Bemerken entlassen, er sei für das schöne Amt "charakterlich nicht geeignet" - eine interessante Volte, denn hatte der Richter nicht ganz besonders viel Charakterstärke bewiesen, als er Langhaarige in Handschellen vorführen ließ?

War es nicht auch charakteristisch, als er, kaum ins neue Amt gehoben, unter frenetischem Beifall eine Radarfalle abschaltete? Endlich herrschten Gesetz und Ordnung, und die Polizei bekam neue Uniformen geschenkt.

Und jetzt diese Empörung über den charakterlosen Schill! Dabei ist die Verleumdung des Gegners in der Politik schöner Brauch seit alters. Der Shakespeare'sche Mark Anton versteht sich bei den aufgeregten Römern beliebt zu machen, indem er den Caesar-Mörder mit einem arg vergifteten Kompliment lobt: "Doch Brutus ist ein ehrenwerter Mann."

Die Geschichte ist von der vorrevolutionären Halsbandaffäre am Versailler Hof bis zum Eulenberg-Skandal beim männerbündelnden Kaiser Wilhelm II. voller mehr oder weniger gelungener Anschwärzungen. Auch wenn sich nicht mehr klären lässt, wie weit der Auftrag Uwe Barschels an den sauberen Herrn Pfeiffer reichte: der Herr Ministerpräsident hätte es doch gern gesehen, wäre sein Gegner Engholm als schwul und gleich auch noch als aids-infiziert bloßzustellen gewesen.

Der Skandal hat vielleicht nicht immer viel mit Charakter, aber um so mehr mit Politik zu tun. Nicht alle sind dabei so grob zu Werke gegangen wie der Erpresser Schill. Der Skandal beginnt da, wo die Politik anfängt, wie sollte er da je aufhören?

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