Hamburg: SPD triumphiert:Auferstanden aus Ruinen

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Selten ist es in der Geschichte der Bundesrepublik an einem Ort zu solchen tektonischen Verschiebungen der politischen Landschaft gekommen wie bei der Wahl in Hamburg. Christoph Ahlhaus' CDU ist am Boden, die SPD hat die anderen seit langem mal wieder abgehängt - und Olaf Scholz steht vor einem Härtetest.

Ralf Wiegand und Jens Schneider

Es gibt in diesem unglaublichen Gesumme und Gebrumme, diesem öffentlichen Geraune und Gestaune, dieser eigentümlichen Aufgeregtheit, die den ersten Zahlen an solch einem Wahlabend folgen, erstaunlich ruhige Momente.

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Während Olaf Scholz Schwierigkeiten hat, seinen triumphalen Sieg in passende Worte zu kleiden, schüttet SPD-Chef Gabriel Häme aus. Und FDP-Chef Westerwelle kann sich endlich wieder freuen.

So standen da, an einem Tisch im hell ausgeleuchteten Studio, Christoph Ahlhaus (CDU), der die längste Zeit Bürgermeister Hamburgs gewesen ist, und Olaf Scholz (SPD), der es demnächst werden wird. Die beiden ungleichen Männer, groß und schwer der eine, fast zierlich und klein der andere, waren allein und doch für jedermann zu sehen, denn gleich würde das Interview mit ihnen losgehen.

Die Kameras zoomten sich ein, die Fotografen waren auf Abstand hinter einer Absperrung, sie schossen Bild um Bild vom Sieger und Verlierer dieses Abends. Scholz und Ahlhaus redeten minutenlang miteinander, niemand konnte mithören, aber alle konnten es sehen: Da waren zwei Männer Teil derselben Welt, obwohl sie in diesem Moment fast 30 Prozentpunkte trennten. Es wirkte befreit, als näherten sie sich jeweils von ihrer Seite einem Ereignis an, das Henning Voscherau als "Erdbeben" bezeichnete: "Kein Erdrutsch - ein Erdbeben!"

Wahlen unterscheiden zwischen Siegern und Verlierern, das war schon immer so, aber selten war es in der Geschichte der Bundesrepublik an einem Ort zu solchen tektonischen Verschiebungen der politischen Landkarte gekommen wie in Hamburg am Sonntag. Die CDU war ja auf eine Niederlage vorbereitet gewesen, aber auf das?

"Bis zum bitteren Ende"

Im Hotel Elysée in der Innenstadt hatte sich die Partei getroffen, um gemeinsam zu ertragen, was passieren würde. Nun schwiegen sie gemeinsam, weil keine Fragen mehr offen waren. Erst, als Schuld zu verteilen war, fanden sie ihre Stimme wieder.

Christoph Ahlhaus, der abgewählte Bürgermeister, sah die Schuld in der schwarz-grünen Koalition, der Niedergang habe gar begonnen, "als der Vertrag unterschrieben wurde". Es klingt und soll so klingen, als habe die Union ihre Ideale verraten und brate nun dafür im Fegefeuer. Nur wenige trauen sich, eine Lanze für Ole von Beust zu brechen. Wenn einer, heißt es dann, 47 und 42 Prozent bei Wahlen geholt habe, könne er ja so verkehrt nicht sein. Nur länger bleiben hätte er halt müssen.

Wer kann schon nach vorne schauen, wenn hinter einem nur Trümmer liegen. Die Grünen sind der andere Teil des abgewatschten Polit-Experiments an der Alster. Sie waren auch ein Stück von Schwarz-Grün und sind nun mit einem blauen Auge davongekommen. "Wären wir bis zum bitteren Ende dabei geblieben", sagt Jens Kerstan, der Fraktionsvorsitzende, "hätten wir sicher nicht zweistellig abgeschnitten." Aber was sie mit diesem immer noch anständigen Ergebnis anfangen sollen, wissen sie nicht so recht. Anja Hajduk, die Spitzenkandidatin, hatte sich ein rotes Jäcklein übergestreift, vielleicht als Symbol, wenn es für Rot-Grün gereicht hätte. Jetzt sieht es ein wenig komisch aus, wenn sie jedem SPD-Politiker zum Sieg gratuliert in ihrem knallroten Wams: "Habt ihr wohl selbst nicht gedacht, oder?"

Nein, haben sie nicht. Der vormalige SPD-Landeschef Ingo Egloff, unter dem die Partei auf 30 Prozent Zustimmung abgerutscht war, raunte in einem schwachen Moment einem Gesprächspartner zu: "Mir ist das alles nicht ganz geheuer." Ein anderer wispert, als zum ersten Mal 50 Prozent auf dem Bildschirm leuchten: "Haben wir überhaupt so viele Leute aufgestellt?" Es war eine Art Schockzustand, wie bei einem Lottomillionär, der als Erstes sagt, er würde von dem ganzen Geld mal nach Mallorca fahren wollen. Die Dimension kommt erst später.

Henning Voscherau, der frühere Bürgermeister mit großem Sendungsbewusstsein, ist bald froh, Scholz nicht mehr zu einer Koalition mit der FDP raten zu müssen. Die hatte es ja tatsächlich ins Parlament geschafft, mit der hübschen Katja Suding, und Voscherau hatte Olaf Scholz die kleinen Gelben als Partner empfohlen statt der sperrigen Grünen. Aber im Grunde, sagt er jetzt, "stören Co-Piloten nur", wobei sie andererseits auch helfen könnten, eine Politik breiter zu verankern. Olaf Scholz werde jetzt erleben, dass er mit allem, was er mache, alle anderen gegen sich aufbringen werde: "Alle gegen einen", sagt Voscherau, das sei das harte Los des Alleinregenten. Als Persönlichkeit werde Scholz daran wachsen.

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vom Wahlabend

Begonnen hatte der Abend auch für die sozialdemokratischen Sieger irgendwie verhalten. Als der Korken endlich aus der Flasche fliegen durfte, kam kaum Schaum. Da standen die SPD-Abgeordneten im ersten Stock des Congress Centrums in ihrem gemieteten Raum vor dem Fernseher, sahen die Prognosen, die sie bei 50 Prozent taxierten - und der Prosecco spritzte nicht. Es war überhaupt eine eher verhaltene Freude, vielleicht, weil der Tag nicht mehr viel Platz für Überraschungen gelassen hatte. Die Parteien bekommen ja nachmittags einen Wink von den Wahlforschern, wie sie im Rennen liegen würden. Die SPD lag gut, das Fernsehen bestätigte nur noch die allergrößten Hoffnungen.

"Das geht über Stimmungen weit hinaus", sagt Dorothea Stapelfeld, Bürgerschaftsabgeordnete seit 1986. Viel Vertrauen hätten die Sozialdemokraten in der Stadt wiedergewonnen, "und es sind hohe Erwartungen, die jetzt auf uns liegen." Immer wieder erzählen SPD-Politiker jetzt, dass die Menschen in den letzten Tagen zu ihnen an die Stände gekommen seien und gesagt hätten: Wir wollen, dass ihr alleine regiert. "Sie geben uns vier Jahre Zeit, aber sie sagen: Macht es richtig", sagt der Abgeordnete Thomas Böwer.

Die CDU musste in diesem Moment schon das Gefühl gehabt haben, alles sei falsch gewesen. Diese Niederlage, sagte der abgewählte Bürgermeister Christoph Ahlhaus vor seinen geschockten Parteifreunden, sei das Ergebnis einer Entwicklung, die schon mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mit den Grünen angefangen habe: "Wir haben viel zu viele Zugeständnisse gemacht." Es müssen fürchterliche Jahre gewesen sein an der Seite der GAL, muss man nun annehmen, für die sich die Christdemokraten regelrecht zu schämen scheinen. Gewirkt habe an den Urnen, sagt einer aus der Fraktion, "der Frust der letzten Jahre". Zum Schock über das eigene Ergebnis kam noch der Spott der GAL. Die Hamburger Grünen fuhren für ihr Selbstverständnis ein "akzeptables Ergebnis" ein, sagte der Fraktionschef Jens Kerstan. Um eine absolute SPD-Mehrheit zu verhindern, sei nur "die CDU zu schwach" gewesen.

Absolute Mehrheit - Olaf Scholz hatte sich eine seinem Wesen entsprechende Strategie zurechtgelegt, schon lange bevor dieser Sonntag ein solches Ergebnis zu bringen versprach. In der Hamburger SPD-Zentrale erzählte man sich, der Landesvorsitzende habe bereits für den Fall des Siegs ein paar Sonnenbrillen parat legen lassen, symbolisch wenigstens. Der 52-jährige mutmaßliche nächste Bürgermeister der Hansestadt hatte den Niedergang seiner Partei an der Elbe nie überdramatisiert - er will sich jetzt auch vom Erfolg nicht blenden lassen.

Jetzt werden die Posten verteilt. "Olaf Scholz ist nun der Held von Hamburg", sagt Henning Voscherau, "welcher Sozialdemokrat würde es wagen, ihm jetzt am Zeug zu flicken?" Die Einheit der Partei, die Scholz mit Strenge herbeigeführt hat, hätte trotzdem keinen härteren Test erfahren können als eine Alleinregierung, in der jeder etwas werden will. Aber auch bei den anderen beginnt das Aufräumen, in der CDU fürchten sie, dass Ahlhaus und Fraktionschef Frank Schira bleiben wollen; bei den Grünen wird es spannend, ob die prominenten Ex-Senatoren auch als einfache Abgeordnete weitermachen.

So ist das eben. Es dauert, bis man nach so einem Erdbeben wieder weiß, wo oben und unten ist.

© SZ vom 21.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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