Hamburg:HSV? Bayern!

Bayern Munich, na klar! Den Spitzenverein aus dem Süden kennen die Flüchtlinge - den HSV, auf dessen Gelände sie kampieren, kennen sie eher nicht. Dabei ist der Klub mehr oder weniger ihr Gastgeber - und neuerdings auch ein Gegner?

Von Peter Burghardt

"Bayern Munich!" Der Syrer ist begeistert, der Iraner an der anderen Ecke auch. Beide strahlen, wenn man sie nach Fußball fragt, und nennen umgehend den deutschen Meister. Da hellt sich ihre Stimmung gleich auf, obwohl sie hinter dem Zaun eines Erstaufnahmelagers in Hamburg-Stellingen warten und es an diesem deprimierenden Julisonntag mal wieder regnet. Den FC Bayern kennen sie und den Weltmeister Philipp Lahm. Aber den Hamburger SV, bei dem früher Uwe Seeler gespielt hat, Kevin Keegan, Franz Beckenbauer? Von dem haben offenbar viele Leute hier noch nie gehört, obwohl ihre grauen Wohncontainer und weißen Zelte nicht bei Bayern Munich stehen, sondern auf einem Parkplatz des HSV. Dieser Klub ist mehr oder weniger ihr Gastgeber - und neuerdings auch ein Gegner?

Ungefähr 1300 Flüchtlinge leben auf dem Areal, das der HSV von der Stadt gepachtet hat. Wiese und Asphalt gehören zu jenem Revier an Schneckenburgallee und A7, auf dem bei Heimspielen des ewigen Bundesligisten Anhänger ihre Autos abstellen. Dahinter liegt die Arena, die wieder wie früher Volksparkstadion heißt. 300 der 1500 Stellplätze sind von Modulen für Asylbewerber belegt, von Menschen aus Syrien, Irak, Eritrea, Kosovo. Täglich kommen neue Bewerber dazu, weshalb zuletzt außerdem Zelte aufgestellt wurden. Doch nun hat der HSV den Ausbau des Camps gebremst und die Debatte über Hamburgs Kapazitäten um einen besonders bizarren Fall erweitert.

Mit einer Unterlassungserklärung fordert der Pächter die Stadt auf, keine weiteren 400 Parkplätze mit Zelten zu überziehen. Es werde "mehr Fläche genutzt, ohne vorher Rücksprache mit uns zu halten", wird der HSV-Pressesprecher Jörn Wolf im Hamburger Abendblatt zitiert. Die Probleme der Stadt bei der angemessenen Unterbringung von Flüchtlingen erkenne man an. "Die Lösung kann aber nicht sein, uns zu enteignen." Das wiederum wundert die zuständige Behörde. Schließlich braucht Hamburg dringend Raum für Schutzbedürftige, und der Parkplatz des HSV steht außer bei den Partien meistens leer.

Rasch wuchs der Ärger im Netz. Einer spottet, der HSV hätte absteigen sollen, dann bräuchte er nicht mehr so viele Parkplätze. Ein anderer findet, man solle doch mal Zelte auf den Fischmarkt stellen oder vors Rathaus und sehen, was dann passiere. Die HSV-Führung versucht derweil auf ihrer Website den Befreiungsschlag. "Die Darstellung verletzt grob die Haltung, die Werte und die soziale Verantwortung unseres Klubs", klagt der Vorsitzende Dietmar Beiersdorfer. Man kooperiere "in vollem Umfang mit der Stadt Hamburg", und im Stadion seien bei fast jedem Spiel 40 bis 100 Flüchtlinge zu Gast. Es gehe "nicht um die Frage, ob weitere Flächen zur Verfügung gestellt werden, sondern wo".

Auch Innensenator Michael Neumann lobt in dieser Stellungnahme einen "positiven und konstruktiven Austausch". Man müsse nur klären, wie die Ausweitung der Unterkünfte mit dem Spielbetrieb vereinbart werden könne. Zu Hause treten die Profis in der nächsten Bundesliga-Saison zunächst am 23. August gegen den VfB Stuttgart an. Doch die Causa HSV ist jetzt in der Welt. Und sie passt zu zweierlei Krisen.

Zum einen hat der rot-grüne Senat der Hansestadt immer mehr Schwierigkeiten, Immigranten aus Armut und Gewalt einzuquartieren. 5725 Flüchtlinge wurden in der ersten Hälfte 2015 in Hamburg aufgenommen, so viele wie im ganzen Jahr 2014. Schon lange weicht die Sozialbehörde auch auf Container und sogar Zelte aus, weil selbst Hotels, Wohnschiffe oder Kasernen nicht mehr reichen. Inzwischen wird auch über ein Gelände am Stadtrand nachgedacht und darüber, Hilfesuchende in die Umgebung abzugeben. Hamburger sind generell tolerant, das macht die Geschichte als Hafen- und Handelszentrum, die Solidarität ist größer als die Ablehnung. Dennoch nimmt der Widerstand zu - im reichen Harvestehude zum Beispiel haben Kläger den Umbau eines vormaligen Kreiswehrersatzamtes zur Herberge gestoppt.

Zum anderen scheint sich der HSV wieder in einer Abwehrschlacht zu verirren, dabei war das Image bereits miserabel genug. Als einziges Mitglied ist der Altmeister zwar seit Einführung der Bundesliga stets dabei, die Uhr am Stadion zeigte gestern die Verweildauer von 51 Jahren und 328 Tagen an. Dem Absturz in die zweite Liga allerdings entkam der ehemalige Europapokalsieger gerade zum zweiten Mal hintereinander nur durch unverschämtes Glück im Entscheidungsmatch.

Da hat sich der Ruf des HSV bis nach Damaskus oder Teheran etwas verflüchtigt. "Die haben ja keine Ahnung", zetert ein Wachmann. Wobei die Syrer nebenan auf ihrer Flucht aus dem Krieg zu Fuß, mit Boot und Zug viel erlebt haben. Sie sind Deutschland und Hamburg dankbar, lernen Deutsch, sie wollen bleiben und arbeiten. Er werde dem Staat alles zurückgeben, auch diese Seife, die er da in der Hand hält, sagt ein syrischer Mechaniker. Er trägt den Wohnausweis Nummer 1214. Neben ihm hängen Gebetsteppiche statt Fahnen von Fans am Zaun, am Freitag war der Fastenmonat Ramadan zu Ende. Irgendwann, verspricht er, schaue er dieser Mannschaft zu, dem HSV.

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