Halbzeitbilanz der britischen Regierung:Koalition der Kälte

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In Umfragen abgerutscht: Premierminister David Cameron (r.) und sein Stellvertreter Nick Clegg. (Foto: REUTERS)

Die konservativ-liberaldemokratische Koalition gilt vielen Briten als historische Anomalie. Ihren Ruf als Regierung der sozialen Kürzungen will sie nun ablegen: Mit einer neuen Sozialoffensive hoffen beide Parteien, ihr Image zu verbessern.

Von Christian Zaschke, London

Es wurde an diesem Montag deutlich weniger gelächelt, als an jenem Tag im Mai 2010, an dem David Cameron und Nick Clegg im Garten von 10 Downing Street aufgetreten waren, dem Sitz des britischen Premierministers. Die Rosen blühten, der konservative Cameron und der liberaldemokratische Clegg hatten gerade die erste britische Koalitionsregierung seit dem Zweiten Weltkrieg gebildet, sie lobten einander in höchsten Tönen und versprachen eine goldene Zukunft. Beide waren so bewegt von ihrem Wahlsieg, dass ihre Gesichter vermutlich im Schlaf noch das selige Dauerlächeln des Gewinners zeigten.

An diesem Montag traten die beiden wieder zusammen in 10 Downing Street vor die Presse, um eine Halbzeitbilanz ihrer Arbeit zu ziehen und einen Ausblick zu geben. Ernst schauten sie, die Choreografie sah staatsmännisches Auftreten vor. Cameron beschrieb das Wirken der Koalition in Bildern, die nicht immer zusammenpassen wollten. Man habe "den Tank voller Benzin", ließ der Premier wissen, weshalb es nun "mit Volldampf vorwärts" gehe. Zudem erläuterte Cameron, dass die Staaten der Welt sich in einem "globalen Rennen" befänden, woraus folge: "Manche Länder werden sinken, andere werden schwimmen. Wir sind auf der richtigen Spur."

Die gemeinsamen Auftritte der beiden Politiker werden in Großbritannien stets mit Interesse betrachtet und stehen noch immer ein wenig im Rang einer Kuriositätenschau. Eine Koalitionsregierung ist im Land unüblich, das Mehrheitswahlrecht sorgt normalerweise für klare Verhältnisse. Das Gros der Fragen an Cameron und Clegg drehte sich entsprechend darum, wie die beiden Parteien miteinander auskommen.

Immerwährendes Staunen und permanenter Unglauben

Auf deutsche Verhältnisse übertragen wäre die konservativ-liberaldemokratische Koalition am ehesten mit einer schwarz-grünen Bundesregierung zu vergleichen. Die würde auch in der koalitionserfahrenen Bundesrepublik interessiert beäugt werden; in Großbritannien wird sie mit einer Mischung aus immerwährendem Staunen und permanentem Unglauben begleitet. Sie gilt vielen Beobachtern als historische Anomalie, die nach den nächsten Wahlen im Jahr 2015 Geschichte sein wird.

Inhaltlich wollen Cameron und Clegg der Regierung im zweiten Teil der Legislaturperiode einen sozialeren Anstrich verpassen. Cameron versprach Hilfen bei den Kosten für Kinderbetreuung und der Pflege von Familienangehörigen. Zudem soll es leichter werden, Immobilienkredite aufzunehmen. Ferner soll in Haus- und Straßenbau investiert werden. Wie diese Maßnahmen konkret umgesetzt werden, will die Regierung in den kommenden Wochen Stück für Stück erläutern.

Britische Kabinettssitzung mit Elisabeth II.
:Gruppenbild mit Königin

Zu Gast bei Premier Cameron: Queen Elizabeth II besucht eine Kabinettsitzung in Downing Street No. 10 - erstmals seit mehr als 200 Jahren nimmt somit wieder ein britischer Monarch daran teil. Zum Dank erhält die Königin Platzdeckchen - und gibt künftig 437.000 Quadratkilometer Eisfläche ihren Namen.

Koalition der sozialen Kürzungen

Bisher hat sich die Regierung trotz der Beteiligung der Liberaldemokraten einen Ruf als Koalition der sozialen Kürzungen erworben. Dass zugleich die Steuern für Einkommensmillionäre gesenkt wurden, erwies sich als PR-Desaster und liefert der oppositionellen Labour-Partei einen unerschöpflichen Fundus an Material für Attacken im Parlament. Besonders die Liberaldemokraten müssen sich vorhalten lassen, ihre Ideale verraten zu haben, um an die Macht zu gelangen. Als deutlichstes Beispiel gilt die Erhöhung der Studiengebühren. Die Libdems hatten im Wahlkampf gesagt, mit ihnen sei eine Erhöhung nicht zu machen. Kaum an der Macht stimmten sie der von den Konservativen vorgeschlagenen Verdreifachung der Gebühren zu.

Clegg verteidigte sich am Montag. "Nicht eine Sekunde habe ich an der Entscheidung gezweifelt, die Koalition einzugehen. Die Geschichtsbücher werden uns wohlwollend beurteilen", sagte er: "Es gibt diese Koalition, weil niemand eine absolute Mehrheit hatte. Wir hätten damals ewig streiten können oder im Sinne des nationalen Interesses eine Regierung bilden."

Auch Cameron zeigte sich äußerlich zufrieden mit der Zusammenarbeit: "Nach 32 Monaten der Koalition bleiben unsere Parteien standfest und vereint. Natürlich gab es Themen, bei denen wir nicht einer Meinung waren. Aber bei den wichtigsten Themen ist unsere Entschlossenheit und unser Wille, Ziele gemeinsam zu erreichen, sogar gewachsen." Kritiker der Koalition sagen, das liege daran, dass die Libdems allen Vorhaben der Tories zugestimmt haben. Die Libdems hingegen verweisen darauf, die Konservativen durchweg gemäßigt zu haben und zum Beispiel Steuererleichterungen für Geringverdiener erreicht zu haben.

Mit der neuen Sozialoffensive hoffen beide Parteien, ihr Image als Regierung der Kälte zu verbessern. In Umfragen sind die Libdems in den einstelligen Bereich gerutscht, die Konservativen liegen etwa zehn Prozentpunkte hinter Labour. Zumindest nach außen ficht das Cameron einstweilen nicht an: Er erlaubte sich dann doch ein feines Lächeln, als er sagte, dass er auch im Jahr 2020 gern noch Premierminister wäre.

© SZ vom 08.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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