Guttenberg und der Fall Klein:Der Persilschein-Minister

Provokation mit losen Reden: Wie Verteidigungsminister zu Guttenberg bewirkt, dass Oberst Klein ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird.

Heribert Prantl

Natürlich ist Afghanistan kein rechtsfreier Raum. Natürlich dürfen deutsche Soldaten dort nicht tun, was sie wollen. Gleichwohl hat aber nicht nur der Verteidigungsminister ein merkwürdiges Gefühl, wenn das Handeln der Soldaten an Hand eines Gesetzbuches geprüft würde, das üblicherweise für Ladendiebe, Anlagebetrüger und S-Bahn-Schläger gilt. Das allgemeine Strafgesetzbuch ist kein Gesetzbuch, mit dem sich Militäraktionen juristisch gut qualifizieren lassen.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)

Seit einigen Tagen Verteidigungsminister: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)

(Foto: Foto: dpa)

Das Gefühl der Unangemessenheit des allgemeinen Strafrechts gepaart mit rechtlicher Unkenntnis hat Militärs zu dem Satz verleitet, dass ein Strafverfahren gegen Oberst Klein für die Bundeswehr "katastrophale Folgen" hätte. Ex-Minister Jung meinte in seiner Abschiedsrede, Soldaten im Ausland dürften nicht mit Ermittlungen konfrontiert werden.

Es wäre eine Katastrophe, wenn nicht untersucht würde

Sein Nachfolger Guttenberg versuchte soeben, das Strafrecht mit einer juristischen Vokabel wegzuschieben: Das von Oberst Klein befohlene Bombardement sei "angemessen", also verhältnismäßig gewesen. Diese Wertung ist unangemessen, weil es Sache der Justiz ist, das zu prüfen. Sie liegt, wo sie hingehört: auf dem Tisch des Generalbundesanwalts.

Es ist keine Katastrophe, wenn ermittelt wird; es wäre eine Katastrophe für den Ruf der Bundeswehr und das deutsche Ansehen, wenn die von Oberst Klein befohlene Bombardierung, die bis zu 142 Zivilisten getötet hat, strafrechtlich nicht untersucht würde. Prüfungsmaßstab sind aber nicht - das Unbehagen darüber ist berechtigt - die Paragraphen des allgemeinen Strafgesetzbuchs von 1871, sondern die vierzehn Paragraphen des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs von 2002.

Es gehört zu den fundamentalsten und zugleich unbekanntesten deutschen Gesetzen. Es hat sich ins allgemeine Bewusstsein noch nicht eingeprägt - ist aber genau für diese afghanischen Konstellationen gemacht: Es beschreibt und bestraft kriminelle Verhaltensweisen in bewaffneten Konflikten.

Zuständig für die Verfolgung ist der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Diese Rechtslage ist so eindeutig, dass man sich wundert, wie lange die Staatsanwaltschaft in Dresden gebraucht hat, um die Akten nach Karlsruhe abzugeben. Es gibt wohl, in Dresden wie Karlsruhe, einen Annäherungsvermeidungskonflikt, also eine gewisse Scheu vor dem Völkerstrafgesetzbuch.

Das, was Guttenberg nicht zusteht

So klar die Zuständigkeit, so unklar ist die Bewertung des Sachverhalts: Zu prüfen ist Paragraph 11 des Völkerstrafgesetzbuchs, überschrieben mit "Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung".

Die Scheu vor dem Völkerstrafgesetz rührt wohl auch her von dieser Benennung der Paragraphen; sie alle sind mit "Kriegsverbrechen" überschrieben, obwohl die Strafvorschriften selbst von "Krieg" gar nicht mehr reden, sondern vom "bewaffneten Konflikt".

Im Fall Oberst Klein ist Paragraph 11 Absatz 1 Nummer 3 zu prüfen: Wer "mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht", wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft; wenn Menschen getötet werden, nicht unter fünf Jahren.

Oberst Kleins Strafbarkeit dürfte aber daran scheitern, dass nicht nachzuweisen ist, dass er das Missverhältnis (von zivilen Opfern im Vergleich zum militärischen Vorteil) "sicher erwartet" hat. Es steht Minister Guttenberg aber nicht an, diese juristische Prüfung vorwegzunehmen und einen Persilschein auszustellen. Das kann er nicht - und das ist auch gefährlich.

Der Verteidigungsminister beschwört mit seinen losen Reden herauf, dass Oberst Klein ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird. Der wird nämlich dann tätig, wenn die zunächst zur Strafverfolgung berufenen Nationalstaaaten "unwilling or unable" zur Strafverfolgung sind.

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