Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung:Ein Institut, zwei Meinungen

Helfen gespeicherte Verbindungsdaten bei der Aufklärung von Morden? Zwei Gutachten des Max-Planck-Instituts geben auf diese Frage erstaunlich unterschiedliche Antworten. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger muss sich gegen Manipulationsvorwürfe wehren.

Wolfgang Janisch und Joachim Käppner

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wehrt sich gegen Vorwürfe, ein Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung in ihrem Sinne manipuliert zu haben. Dies hatte der Spiegel berichtet. Die FDP-Politikerin, die eine sechsmonatige Speicherfrist für Internet- und Telefonverbindungsdaten aus bürgerrechtlichen Gründen ablehnt, beruft sich dabei auf eine Studie des Freiburger Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht von 2011. Diesem zufolge hat die Aufklärung von Verbrechen statistisch nicht gelitten, seit das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung 2008 vorläufig stoppte. Zum selben Thema hatte dasselbe Institut dem Ministerium aber schon 2010 ein erstes Gutachten vorgelegt, in dem teilweise das Gegenteil steht und das nicht veröffentlicht wurde.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wirft Leutheusser-Schnarrenberger eine "skandalöse Verschleierungstaktik" vor. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) kritisierte "parteipolitisch motivierte Tricksereien" der Ministerin. Der SZ sagte er: "Der Streit innerhalb der Bundesregierung ist inzwischen ein Sicherheitsrisiko." Die Zentrale Internetrecherche des NRW-Landeskriminalamtes habe 2011 bei 172 Fällen von Kinderpornografie "die Täter wegen fehlender Telekommunikationsverkehrsdaten nicht ermitteln können".

Stephan Mayer, CSU-Innenexperte im Bundestag, nennt den Widerspruch der Gutachten "entlarvend". Die FDP dürfe "nicht davon ausgehen, dass wir uns damit zufrieden geben. Offenbar ist die erste Fassung nach Freiburg zurückgegangen mit der Bitte, sie im Sinne der Ministerin anzufüttern." Die Union will die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen.

Nach Darstellung des Bundesjustizministeriums (BMJ) war die erste Version vom August 2010 aber bloß eine "Rohfassung". Weil dort - entgegen der Vereinbarung - empirische Daten gefehlt hätten, habe man mit dem Max-Planck-Institut eine Erweiterung vereinbart. Das entspricht im Wesentlichen der Darstellung des Institutsdirektors Hans-Jörg Albrecht - wenngleich er das erste Papier nicht als Rohfassung sieht. "Wir haben die Aussagen des ersten Gutachtens nicht verändert, sondern die Datenbasis erweitert", sagte er der SZ.

Das erste Gutachten beruft sich stark auf Polizei und Behörden, das zweite untersucht zusätzlich die Aufklärungsquoten und kommt zu dem Ergebnis, ohne Vorratsdatenspeicherung seien diese nicht nennenswert gesunken. Die Freiburger hatten 2010 selbst darauf hingewiesen, dass es belastbare Daten zum Thema kaum gebe. Das Institut habe von Anfang an vorgeschlagen, die Aufklärungsquoten aufzunehmen, dies sei aber "wegen des großen Zeitdrucks" unterblieben: Das Justizministerium habe möglichst schnell etwas auf dem Tisch haben wollen.

Der Fortfall der Vorratsdatenspeicherung wird im ersten Gutachten - das der SZ vorliegt - als spürbares Problem der Verbrechensbekämpfung geschildert. Im zweiten, bereits publizierten, wird dies eher bestritten. Beispiel: Nutzen gespeicherte Verbindungsdaten, wie es sie bis 2008 gab, bei der Aufklärung von Morden? 2010 schrieb das Institut: Im Prinzip ja. Wörtlich: "Essentielle Bedeutung haben retrograde Daten (die es erlauben, elektronische Verbindungswege nachträglich nachzuvollziehen; SZ) nach der Erfahrung der Polizeipraktiker" besonders auch bei "Raubdelikten, schweren Gewalt- und Tötungsdelikten".

2011 heißt es: Eher nein - "für Kapitaldelikte sind Veränderungen in den Aufklärungsraten wegen fehlender Vorratsdaten nicht sichtbar geworden." Beispiel Kinderpornografie: 2010 heißt es, derzeit blieben ohne Vorratsdaten viele Fälle "offensichtlich unaufklärbar". Die Studie 2011: "Die Entwicklung der Fallzahlen zeigt keinen erkennbaren Einfluss der Speicherung von Verkehrsdaten."

Das Max-Planck-Institut wird bald eine weitere Untersuchung vorlegen. In drei Bundesländern sind alle erledigten Verfahren auf den möglichen Nutzen eines Zugriffs auf die Vorratsdaten untersucht worden. Für die BMJ-Gutachten sei diese Methode aus Zeitmangel nicht verfügbar gewesen. "Das ist ein ungeheurer Aufwand", sagt Albrecht - aber so könnten viel präzisere Aussagen getroffen werden als anhand von Aufklärungsquoten oder Praktikerbefragungen.

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