Gutachten zu Sarrazin:"Eindeutig rassistisch"

Der Streit um die SPD-Mitgliedschaft von Bundesbank-Vorstand Sarrazin geht in die zweite Runde. Ein Gutachten weist ihm Rassismus nach.

Barbara Vorsamer

Er war Finanzsenator in Berlin, ist nun in Frankfurt/Main Vorstand der Bundesbank - und muss um seine SPD-Mitgliedschaft bangen. Der Fall Thilo Sarrazin kommt nicht zur Ruhe.

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Von kleinen Kopftuchmädchen und energieverschwendenden Hartz-IV-Empfängern: Thilo Sarrazin ist bekannt für provokante Aussagen.

(Foto: Foto: ddp)

Der SPD-Kreisverband Spandau und die Abteilung Alt-Pankow werfen ihm rassistische Äußerungen in der Kulturzeitschrift Lettre International vor und haben das jetzt mit einem Gutachten untermauert. Es soll die Landesschiedskommission der Partei dazu bewegen, Sarrazin doch aus der SPD auszuschließen.

Der von ihnen beauftragte Politologe Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam bezeichnet die Äußerungen Sarrazins in seiner Analyse als "eindeutig rassistisch". Vor allem die verallgemeinernde Wortwahl des 64-jährigen deute darauf hin, erklärt er im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Das 21-seitige Gutachten des Experten bewertet einzelne Passagen des Interviews als "herabwürdigend für Migranten". Der frühere Finanzsenator hatte unter anderem erklärt, Araber und Türken seien kaum produktiv für die deutsche Wirtschaft. Damit mobilisiere Sarrazin mit einem "bewussten Tabubruch" Vorurteile, die sonst von Rechtsradikalen geäußert würden, heißt es in dem Gutachten.

Ein Zitat aus Sarrazins Interview lautet zum Beispiel: "Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate." Weiter sagte der Bundesbanker: "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert."

Politologe Botsch sagt zu solchen Aussagen: "Die Forderung nach Zuwanderungsstopp und dem Stopp von Transferleistungen an bestimmte Migrantengruppen ist nur von Sarrazin und der NPD zu vernehmen." Das heiße aber keinesfalls, dass der Banker ein Angehöriger oder Anhänger der rechtsextremen Partei sei.

Für seine Analyse hat der Wissenschaftler die Rassismus-Definition von Albert Memmi verwendet, die Botschs Angaben zufolge dem Mainstream des akademischen Diskurses entspricht. Der Memmi-Definition zufolge müssen vier Kriterien erfüllt sein, damit man von Rassismus sprechen könne.

"Erstens braucht es die Konstruktion eines Unterschieds, zweitens muss ein wertendes Element vorhanden sein", erklärt Botsch. Drittens müssten die Aussagen verallgemeinernd sein. Und der vierte Aspekt sei die Funktion: Diese mache Sarrazin in seinem Text deutlich, wenn er von der Umverteilung zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen spricht.

Außerdem verwendete der Wissenschaftler in seinem Gutachten das Konzept des "sozialen Rassismus." Dieser findet sich zum Beispiel in Sarrazins Beschreibung der Unterschicht. "Die Verbindung von Abstammung und einer bestimmten Schichtzugehörigkeit im Sinne von Vererbung, das ist eindeutig rassistisch", erklärt Botsch.

Wissenschaftlicher Rassismus-Check

Weiter führt der Gutachter aus: "Mein dritter Rassismus-Check war die Suche nach zusätzlichen Ressentiments. Denn zahlreiche Studien haben ergeben, dass Vorurteile oft in Verbindung mit anderen Vorurteilen auftreten. Auch dies war in Sarrazins Äußerungen in Lettre International zu finden. Dieses Phänomen nennen Wissenschaftler 'gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit'."

Botsch betont jedoch: "Ich behandle nicht die Frage, ob Sarrazin ein Rassist ist oder nicht. Meine Fragestellung war, ob sich Herr Sarrazin in dem fraglichen Interview rassistisch äußert - und da komme ich zu einem eindeutigen Ergebnis: Ja."

Für seine Äußerungen in Lettre International hat sich Sozialdemokrat Sarrazin inzwischen öffentlich entschuldigt. Ein im Herbst angestrengtes Ausschlussverfahren aus der SPD gegen Sarrazin war von der Kreisschiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf abgelehnt worden. Anhand des Gutachtens geht dieser Streit nun in eine neue Runde.

Schon vor dem analysierten Interview ist Sarrazin mit provokanten Äußerungen aufgefallen. So sagte er im Gespräch mit dem Magazin Stern im Mai 2009 zum Thema Sozialsystem: "Die große Frage ist: Wie kann ich es schaffen, dass nur diejenigen Kinder bekommen, die damit fertig werden?".

Gegenwärtig würden manche Frauen zwei, drei oder mehr Kinder in die Welt setzen, obwohl sie "nicht das Umfeld" oder "die persönlichen Eigenschaften" hätten, "um die Erziehung zu bewältigen", erklärte Sarrazin. Deswegen müsse das Sozialsystem so geändert werden, "dass man nicht durch Kinder seinen Lebensstandard verbessern kann, was heute der Fall ist".

Weiter kritisierte der frühere Berliner Finanzsenator den Umgang vieler Hartz-IV-Empfänger mit Energie. Weil Städte und Gemeinden die Heizkosten übernähmen, gingen die Bedürftigen oft verschwenderisch mit Energie um. "Hartz-IV-Empfänger sind erstens mehr zu Hause; zweitens haben sie es gerne warm, und drittens regulieren viele die Temperatur mit dem Fenster."

Schlagzeilen waren Thilo Sarrazin immer gewiss - daran wird das SPD-Verfahren nichts ändern.

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