Guido Westerwelle:Im Knäuel der Krisen

Spätestens im Herbst 2013 endet wohl die Amtszeit von Guido Westerwelle. Der Außenminister reist rastlos um die Welt, derzeit ist er in Ägypten. Er dürfte inzwischen alle Rekorde im Hauptstadthüpfen gebrochen haben, die Hans-Dietrich Genscher je aufgestellt hat. Für Westerwelle geht es um viel. Der ehemalige Star der FDP kämpft um sein politisches Vermächtnis.

Daniel Brössler

Die Nachricht aus Kairo erreichte Guido Westerwelle irgendwo zwischen Moskau und Paris. Der neue Präsident Mohammed Mursi hätte demnächst, wurde ausgerichtet, Zeit für den deutschen Außenminister. Rasch besprach sich Westerwelle mit seinen Leuten. Danach stand für Montag und Dienstag im Terminkalender: Ägypten.

Aussenminister Westerwelle besucht Aegypten

Außenminister Westerwelle kämpft um sein Vermächtnis.

(Foto: dapd)

Seit einer Woche hat Westerwelle keinen ganzen Tag mehr in Deutschland verbracht. Vor Kairo war er kurz in Berlin und davor in Paris und davor in Moskau und davor in Rom und davor schon mal in Paris. Es hat einmal einen Außenminister gegeben, über den wurde gespöttelt, er begegne sich auf seinen zahllosen Reisen gelegentlich selbst in der Luft. Es fehlen präzise offizielle Statistiken darüber, aber Guido Westerwelle dürfte inzwischen alle Rekorde im Hauptstadthüpfen gebrochen haben, die Hans-Dietrich Genscher je aufgestellt hat. Fünfzehn Monate nach seinem Rückzug als Vorsitzender der FDP rast Westerwelle, der Außenminister, durch die Welt, als gebe es kein Morgen.

Neulich im eleganten Hotel Le Bristol in Paris: Westerwelle hat sich von seinem Sprecher beim Frühstück kurz über die Presselage unterrichten lassen. Im orientalisch inspirierten Hof zwitschern die Vögel und warten die Journalisten. Westerwelle tritt heraus. Es ist üblich, dass der Außenminister am Morgen, für die Kameras und die Agenturen, sagt, worum es gehen wird am Tag. Diesmal geht es um Syrien. Westerwelle verkündet, dass Deutschland seine humanitäre Hilfe um 500.000 Euro auf 8,5 Millionen Euro erhöhen werde.

Er spricht vom "Mitgefühl für die Menschen, die unter dem Regime Assad leiden". Und er redet davon, dass es auch Erwartungen gebe an die Opposition. Die Konferenz der "Freunde des syrischen Volkes", zu der man sich in Paris versammelt habe, sei ein "Zeichen der Solidarität, aber auch ein Zeichen der Erwartung". Während Westerwelle diesen Satz sagt, sind bei der Entourage des Außenministers leichte Zuckungen zu beobachten. Ein guter Satz, keine Frage. Aber es ist der Satz für die Tokioter Afghanistan-Konferenz. Und die ist ja erst am Wochenende. Im Knäuel der Krisen ist es nicht immer leicht, den richtigen Faden zu finden.

Wenig später sitzt Westerwelle neben Hillary Clinton. Sie trägt ein schwarz-weißes Kostüm und das Haar offen. Wach und kämpferisch schaut sie aus, was in den vergangenen Monaten nicht immer der Fall gewesen ist. Vor den "Freunden des syrischen Volkes" hält die amerikanische Außenministerin ein leidenschaftliches Plädoyer, greift nicht nur Russen und Chinesen an wegen ihrer schützenden Hand über Baschar al-Assad, sondern auch alle jene, die das ihrer Meinung nach geschehen lassen. Während der Rede blickt Westerwelle abwechselnd auf Clinton und ihr Manuskript, in dem sie noch kurz vor ihrer Redezeit wild herum gekritzelt hat. Später, nach seiner eigenen, etwas weniger kämpferischen Rede, wird Westerwelle sagen, wie richtig er alles fand, was Clinton gesagt hat.

"Rockstar-Außenministerin" auf Abschiedstournee

Clinton, die von der New York Times kürzlich als "Rockstar-Außenministerin" bezeichnet wurde, befindet sich auf einer Art gigantischen Abschiedstournee. Nach der Präsidentenwahl im November, egal wie sie ausgeht, wird sie aufhören als oberste Diplomatin der USA. Sie will Bücher schreiben und kann sich angeblich, was amerikanische Journalisten eher nicht glauben, ein Leben ohne Politik und mit viel Schlaf vorstellen.

Tokyo Conference on Afghanistan

Auch für US-Außenministerin Hillary Clinton ist es die letzte Amtszeit.

(Foto: dpa)

Die Wege des Deutschen und der Amerikanerin kreuzen sich ziemlich oft dieser Tage. Es gehört folglich nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, dass beide auch mal über solche Dinge reden und sei es beim Whalewatching vor der Küste von Los Cabos während des G-20-Gipfels. Nach menschlichem Ermessen endet die Amtszeit Westerwelles spätestens im Herbst 2013. Was wird und was bleibt, sind zwei Fragen, die ihn beschäftigen.

Im 20. Stock des Prince Park Tower haben Mitarbeiter der deutschen Botschaft das Bett aus einem Hotelzimmer tragen und vier Stuhlreihen sowie zwei Pulte hineinstellen lassen. In einer Ecke steht noch der Nachttisch. Die Bühne ist bereitet für den Außenminister und Dirk Niebel, den Entwicklungsminister. Als beide hinter ihre Pulte treten, ist Niebels Sakko leicht zerknittert und geöffnet, was Westerwelle beides nicht passieren würde.

Niebel ist es dann, der die saftigen Zitate zur Tokioter Geberkonferenz liefert, der von einem "neuen Marshall-Plan für Afghanistan" spricht, der - was ein etwas schräger Vergleich ist - verlangt, ein "zweites Somalia" müsse verhindert werden. Der zugeknöpfte Westerwelle nennt, nicht zum ersten Mal, die Konferenz diplomatisch einen "Meilenstein", erwähnt pflichtschuldig "Solidarität" sowie "Erwartung" und entwirft im kleinen Hotelzimmer noch einmal das größere Bild. "Es bleibt beim Abzug unserer kämpfenden Soldaten. Wir sind der Meinung, dass eine politische Lösung nötig ist", sagt er.

In Tokio, wo es ums Geld geht, hat das auch niemand bezweifelt, aber Westerwelle hat es sich zur Regel gemacht, wann immer er nach Afghanistan gefragt wird, beim Abzug der Soldaten und der politischen Lösung zu beginnen. Die Reporter im Hotelzimmer gewinnen folglich den Eindruck, dass es längst um Geschichtsschreibung geht und weniger um Nachrichten. Der Abzug aus Afghanistan soll so etwas wie Westerwelles Vermächtnis werden. Er sieht eine Ironie der Geschichte darin, dass zu Zeiten einer rot-grünen Bundesregierung der Bundesrepublik größter Militäreinsatz begonnen hat und dass es eine schwarz-gelbe ist, die dessen Ende einläutet.

Die "politische Lösung" ist dabei so etwas wie der rote Faden geworden, den Westerwelle selbst durch seine Amtszeit ziehen möchte, vom Abzug aus Afghanistan über Deutschlands Sonderrolle in Libyen bis Syrien, wo ja fast alle, einschließlich der Amerikaner, einen Einsatz mit Waffengewalt derzeit ablehnen. Einerseits fühlt sich Westerwelle bestätigt darin, dass es keine militärische Lösung gibt, andererseits reift dieser Tage ein beunruhigender Gedanke: Womöglich gibt es auch keine politische Lösung.

In einer Suite im Prince Park Tower kommt es auch zu einer Begegnung mit dem iranischen Außenminister Ali Akbar Salehi. Es geht ums Atomprogramm, den Ärger um einen iranischen Konsulatsmitarbeiter, der in Frankfurt am Main versucht haben soll, ein zehnjähriges Mädchen zu missbrauchen - und natürlich Syrien. Iran unterstützt das Regime von Assad, und nach dem Gespräch mit Salehi hat Westerwelle keinen Anlass zu glauben, dass sich daran irgendetwas ändern könnte. Vielmehr ergibt sich so etwas wie ein Gesamtbild. Ein paar Tage zuvor in Moskau hat ihn ja schon Sergej Lawrow, der Außenminister Russlands - der zweiten großen Stütze Assads - auflaufen lassen.

Von Lawrow gedemütigt

Außenminister Westerwelle in Russland

Der russische Außenminister Sergej Lawrow machte sich über seinen Amtskollegen Westerwelle lustig.

(Foto: dpa)

Das war jener Besuch, bei dem sich Lawrow lustig gemacht hat über ein angebliches Asylersuchen, das Kanzlerin Angela Merkel bei Präsident Wladimir Putin für Assad gestellt haben soll. Aufschlussreich ist der Vorlauf dieser Entgleisung. Bei der Pressekonferenz ist Lawrow genervt wegen der Frage nach einem russischen Gesetz, das aus Mitarbeitern ausländisch finanzierter Organisationen "Auslandsagenten" macht. Aggressiv empfiehlt er Westerwelle, er solle doch mal bei seinem nächsten USA-Besuch nachfragen, denn dort habe man das Gesetz quasi abgeschrieben. Westerwelle ergreift außerplanmäßig das Wort und stellt klar: "Ich komme direkt aus Berlin." Er spreche hier ausschließlich als Außenminister Deutschlands. Lawrow merkt, dass er zu weit gegangen ist und redet sich auf einen Übersetzungsfehler hinaus. Und doch bleibt der Eindruck, dass die russische Führung Mühe hat, weltpolitisch in Deutschland etwas anderes zu sehen als ein amerikanisches Anhängsel.

In der internationalen Krisendiplomatie ist Deutschland eingezwängt in einer Lage, die man als Sandwichposition bezeichnen könnte. Es ist groß genug, um Erwartungen zu rechtfertigen - jene etwa, es könnte Russland von seiner harten Haltung abbringen. Es ist aber zu klein, um wirklich etwas zu bewegen. An die speziellen Anforderungen dieser Position hat sich Westerwelle angepasst. Er zeigt permanente Präsenz, angemessenen Einsatz und, wenn es etwa um den arabischen Frühling geht, im Rahmen seines Naturells auch Leidenschaft. Hin und wieder kann er die Früchte ernten, etwa wenn ihn Mursi als ersten westlichen Politiker empfängt.

In der aus deutscher Sicht bedrohlichsten Krise, jener Europas, liegen die Dinge gewissermaßen umgekehrt. Hier kommt es ganz und gar auf Deutschland an, als Außenminister aber hat Westerwelle vergleichsweise wenig zu melden. In der Euro-Krise kommt zuerst Merkel, dann lange nichts und dann Finanzminister Wolfgang Schäuble. Mit Hilfe einiger Spitzenbeamter versucht Westerwelle seit einiger Zeit, aus der Not eine Tugend zu machen und das Auswärtige Amt als Ort des Sinnens über die Zeit nach der Krise und die Zukunft der Europäischen Union zu präsentieren. Im März lud er zu diesem Zweck mehrere Außenministerkollegen in die Berliner Villa Borsig.

Es ist eine "Zukunftsgruppe" dabei entstanden, die mittlerweile auch schon einen Zwischenbericht veröffentlicht hat, der keine Visionen, aber Vorschläge für ein paar Vertiefungen enthält. So zäh die Arbeit auch läuft, gibt sie Westerwelle doch die Chance, sich ein wenig als Pro-Europäer zu profilieren. Sein Wortpaar gegen diese Krise ist der "Wert Europas", und er redet so viel davon, dass einige sich fragen, ob irgendwo da draußen in Europa eine berufliche Zukunft für Westerwelle liegen könnte für die nahende Post-Außenminister-Zeit. Zwar kokettiert auch Westerwelle ab und an mit der Aussicht aufs Bücherschreiben und Schlafen wie Hillary Clinton. Die Amerikanerin wird dieses Jahr allerdings 65, Westerwelle ist gerade erst 50. Manchen fällt jedenfalls bereits auf, wie sehr sich Westerwelle einsetzt für EU-weite Spitzenkandidaten bei der nächsten Europawahl.

Noch aber hat Westerwelle nicht einmal erklärt, ob er im September nächsten Jahres wieder für den Bundestag kandidiert. Er müsste dann auch sagen, ob er - so wie bei den vergangenen Wahlen - wieder Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen FDP sein möchte. Klar ist, dass er sich dann häuten müsste, Schicht für Schicht jenen Diplomaten abtragen, der den Liberalen weder Glück noch Renommee noch Stimmen gebracht hat. Und vielleicht, während der Außenminister noch rastlos durch die Welt reist, hat diese Häutung schon begonnen.

Euro-Bonds sind weder ein Ziel noch ein Fernziel", lautet einer von Westerwelles neuen Wiederholungssätzen. Die FDP hat einen Feldzug gegen alles begonnen, was nach "gesamtschuldnerischer Haftung" in der Europäischen Union riecht, und je mehr sich die Krise verschlimmert, desto schärfer wird sie diesen Feldzug führen. Das Bild vom nachdenklichen Europäer passt nicht dazu, und es taugt auch nicht für den Wahlkampf, jedenfalls sicher nicht für den nächsten. Darin wird vielleicht bald die kleine Tragik in der diplomatischen Karriere des Guido Westerwelle liegen. Als er endlich in sein Amt wuchs, war es schon wieder Geschichte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: