Güterverkehr:Der Rhein soll tiefer werden

Mehr Schiffe sollen bald mehr Waren transportieren, um Straßen und Schienen zu entlasten. Die Anrainer hoffen auf besseren Schlaf. Derweil denkt ein Minister gar an ein Nachtfahrverbot.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Um die Ausgrabung der Elbe zwischen dem Hamburger Hafen und der Nordseemündung gibt es seit mehr als einem Jahrzehnt heftigen Zank. Bundesweit weniger beachtet und zumindest bisher weniger umstritten ist ein zweites großes Wasserstraßen-Projekt - die Vertiefung des Rheins zwischen Duisburg und Dormagen in Nordrhein-Westfalen und in seinem Mittelabschnitt im Dreiländereck zwischen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen. Die Anrainer-Länder versprechen sich viel von dieser Baumaßnahme, die der Bund organisieren und finanzieren muss.

Denn die Gütermengen wachsen, die von Nord nach Süd und umgekehrt durch Europa transportiert werden, auch wegen des neuen und größeren Sankt-Gotthard-Tunnels und der expansionsfreudigen Häfen in Belgien und den Niederlanden. Und sie werden weiter zunehmen, so die Prognose der Landesregierungen. Auf den Autobahnen ist kaum noch Platz für zusätzliche Laster. Und die Schienen sind mancherorts kein Ausweg mehr. Im schönen Mittelrheintal etwa, das den Titel Weltkulturerbe trägt, macht der Bahnlärm den Anwohnern schon heute das Leben zur Hölle.

Die Loreley Lorelei Schieferfelsen im UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal bei Sankt Goarshausen

Das Mittelrheintal soll leiser werden - indem der Fluss tiefer gelegt wird. So will man Straße und Schiene entlasten und den Lärm reduzieren.

(Foto: Hans Blossey/imago)

Zwischen Bingen und Rüdesheim hinauf nach Bonn rattern Tag für Tag und Nacht für Nacht auf engsten Strecken beiderseits des Flusses Hunderte Züge, die meisten davon Gütertransporte, und rauben den Einheimischen den Schlaf. Protestaktionen blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg, baldige Besserung ist nicht in Sicht. Die Region blutet aus, Touristen kommen insbesondere im Sommer gern - allerdings nur vom Sonnenaufgang bis zur Dämmerung. Nächtliches Obdach suchen sie wohlweislich anderswo. Das Tal ächzt. Was soll eine um 20 Zentimeter tiefere Fahrrinne zwischen Mainz und Sankt Goar am Loreleyfelsen an der miserablen Lage ändern?

Jede Tonne Ware, die über das Wasser transportiert werde, entlaste die Straßen und die Schienen im Mittelrheintal, argumentiert das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium. Es wird seit der Landtagswahl im Frühjahr vom FDP-Politiker Volker Wissing geführt. Und der hat die Rheinvertiefung zu einer der Prioritäten seines Hauses erklärt. Politisch korrekt heißt das Projekt "Abladeoptimierung Mittelrheintal", weil der Fluss nicht ausgegraben wird. Stattdessen sollen Änderungen am Fahrrinnenverlauf, Felsabtragungen und allerlei technische Hilfsmittel wie Buhnen und Leitwerke mehr Tiefgang für Transportschiffe ermöglichen. Ein Binnenschiff, so argumentieren die Befürworter des Ausbaus, fasse die Ladung von 200 Lastwagen. "Wir wollen und müssen Verkehr von den Straßen und Schienen auf das Wasser verlagern", sagt Wissing der Süddeutschen Zeitung. Für ihn ist der Fluss ein Standortplus für Rheinland-Pfalz, wirtschaftlich und ökologisch.

Güterverkehr: SZ-Karte

SZ-Karte

Tatsächlich hat die Binnenschifffahrt im Vergleich zu anderen Transportarten etliche Vorteile. Umweltschützer sind dagegen skeptisch: Die Auenlandschaften entlang des Rheins mitsamt Flora und Fauna würden leiden. Konflikte sind programmiert, wenn die Rheinvertiefung richtig in Gang kommt.

Noch ist es nicht so weit, erst 2031 soll der Ausbau nach bisheriger Planung fertig sein. Das sei unakzeptabel, das müsse schneller gehen, fordern die Anrainer-Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg vom Bundesverkehrsministerium. In allen vier Ländern sind die Grünen, bekanntlich Öko-Freunde und Landschaftsschützer, an den Regierungen beteiligt, in Wiesbaden und Stuttgart stellen sie auch die Verkehrsminister.

Vielleicht geht es etwas schneller, aber auch das wäre für die Menschen im Mittelrheintal kein Trost. Denn die Züge rattern weiter, Nacht für Nacht. Die sogenannten Flüsterbremsen, die nach den Plänen des Bundesverkehrsministeriums von 2020 an in Deutschland Pflicht sein werden, bringen womöglich Linderung. Aber nur dann, wenn tatsächlich alle Waggons ausgestattet werden und die EU das Vorhaben nicht durchkreuzt.

Wissing macht sich nichts vor: Die Vertiefung des Rheins allein, so sagt er, werde das Problem nicht lösen. Nötig seien außerdem eine alternative Schienenstrecke und schnellere Planungsverfahren für Verkehrsprojekte in Deutschland.

Eine neue Schienenverbindung längs durch Deutschland? Kein Bundesverkehrsminister welcher Partei-Couleur auch immer dürfte sich auf ein solches Unterfangen einlassen. Widerstand der Anwohner ist sicher, Widersprüche und gerichtliche Auseinandersetzungen würden einen solchen Plan zu einem Jahrhundertprojekt machen. Keine Hoffnung also für das Weltkulturerbe?

Eine Möglichkeit gibt es da noch: Das drastische Mittel eines Nachtfahrverbots für Güterwaggons am Mittelrhein, das die Anwohner seit Jahren fordern. Das darf ein Landesverkehrsminister verhängen. Wissing hält sich diese Option, die ihm Beifall und Dankbarkeit zwischen Rüdesheim und St. Goar, aber auch politischen Ärger mit der EU bescheren dürfte, zumindest offen. "Wenn sich beim Bund und in der EU-Kommission nichts bewegt, werde ich über Geschwindigkeitsbegrenzungen und Nachtfahrverbote nachdenken", sagt er. Die EU-Kommission hat Wissing schon klargemacht, dass sie in einem solchen Fall Klagemöglichkeiten prüfen werde. Das beeindrucke ihn nicht sonderlich, sagt Wissing: "Ich persönlich sehe einer solchen Klage gelassen entgegen. Es geht um Grundrechte, den Schutz der Gesundheit nämlich. Das dürfte auch der Europäische Gerichtshof so sehen."

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