Guantanamo:Ein Schandfleck als Erbe

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Guantanamo steht für den moralischen Verfall der Führungsmacht USA. Das Lager wird Obamas erste Bewährungsprobe auf dem Weg, den Ruf seiner Nation wieder aufzupolieren.

Gökalp Babayigit

Barack Obama ist noch nicht einmal im Amt, da drängen sich schon Entscheidungen auf, die seiner Präsidentschaft eine maßgebliche Richtung geben werden. Obama, der Heilsbringer, der den für Amerikaner so wichtigen Ruf der USA in der Welt wieder aufpolieren soll, wird vor allem einer Frage viel Beachtung schenken müssen: Was geschieht mit Guantanamo?

Gefangenenlager Guantanamo: Eine Lösung für die 250 Insassen hat der neue Präsident Obama noch nicht. (Foto: Foto: Reuters)

Seit sechs Jahren steht das Gefangenenlager "Camp X-Ray" auf Kuba als Sinnbild für den Krieg der Amerikaner gegen den Terror. Aber vor allem steht es für den moralischen Verfall der Führungsmacht der freien Welt.

Seit sechs Jahren leben Terror-Verdächtige und Unschuldige in einem rechtlichen Vakuum, das das Hochsicherheitsgefängnis darstellt - außerhalb der Reichweite von Rechtsstaatlichkeit oder internationalem Völkerrecht, ohne Anspruch auf ihre Menschenrechte. Mehr als 250 Menschen werden noch heute ohne Anklage, ohne Rechtsbeistand oder faires Gerichtsverfahren auf Kuba festgehalten.

Amnesty International widmet den Umständen in Guantanamo regelmäßig ein eigenes Dossier, die internationale Staatengemeinschaft macht ebenfalls keinen Hehl daraus: Mit dem Gefängnis für Terrorverdächtige auf Kuba sind die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrem Kampf gegen den Terror viel zu weit gegangen, so der Tenor.

Auch in Amerika prangern unzählige Menschenrechtsorganisationen die schiere Existenz des Gefängnisses an. Nicht nur deshalb hatten beide Präsidentschaftskandidaten, Barack Obama und John McCain, bereits früh im Wahlkampf klar Stellung bezogen: Beide wollten mit Bushs Politik brechen und das Lager sofort schließen, sobald sie im Weißen Haus ihre Arbeit aufnehmen.

Für Barack Obama ist dieser Tag nun nur noch wenige Wochen entfernt. "Wenn wir unsere eigenen Standards erhöhen, bringen wir nicht nur unsere Verbündeten wieder an unsere Seite - wir festigen auch unsere Position in der Welt und unsere moralische Autorität." An dieser Aussage, die er im Wahlkampf zum Thema Guantanamo traf, wird sich der 44. Präsident messen lassen müssen. Doch einfach das Gefangenenlager auf Kuba zu schließen und die Insassen aufs Festland zu verlegen, damit ist es freilich nicht getan. Guantanamo birgt mehr und gewichtigere Probleme als die geographische Lage.

Nach ersten Berichten über Obamas Pläne beabsichtigt die neue Regierung, die Gefangenen quasi in drei Gruppen zu unterteilen. Der ersten Gruppe soll in den USA vor Zivilgerichten der Prozess gemacht werden, alle verfassungsmäßig zustehenden Rechte für den Angeklagten inklusive. So weit, so rechtsstaatlich.

Doch schon mit der zweiten Gruppe beginnen die Probleme, vor denen das Team von Obama steht: jene Häftlinge, die aus Mangel an Beweisen nicht angeklagt werden und folglich freigelassen gehören - die aber nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, weil ihnen dort Folter und Tod droht. Die 17 muslimischen Uiguren aus China sind das prominenteste Beispiel aus dieser Gruppe.

Und dann ist da noch die dritte Gruppe, bestehend aus den besonders schwerwiegenden Fällen, deren Schuld mit Hilfe von Geheimdienstinformationen bewiesen werden soll. Für sie sind Sondergerichte vorgesehen, um nicht vor einem öffentlichen Gericht verhandeln zu müssen - wenn man den Gerüchten aus dem Umfeld der Obama-Mannschaft glauben darf.

Denis McDonough, ein enger Berater in Obamas "Transition-Team", ruderte zwar sogleich zurück: Ja, Obama plane nach wie vor, Guantanamo schnellstmöglich zu schließen. Aber: Nein, es sei noch keine Entscheidung darüber getroffen worden, wie und ob den Insassen des Lagers in den USA der Prozess gemacht wird.

Die Meldung aber, die Obama-Regierung plane eigens für die dritte Gruppe die Einführung neuer Sondergerichte mit zurechtgestutzten Rechten für die Angeklagten, wurde in den US-Medien heftig diskutiert. Für Thomas Bauer vom Münchner Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) ist die Idee nicht aus der Luft gegriffen. Manche Fälle stützten sich unter Umständen auf Geheimdienstinformationen, die in einem herkömmlich, also transparent geführten Prozess zu Tage gefördert würden. "Wenn man sämtliche Quellen, etwa von eingeschleusten Informanten, preisgeben müsste, würde das dem Schutz nationaler Sicherheitsinteressen zuwiderlaufen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Amerika in der Causa Guantanamo von den Europäern erwartet

Guantanamo
:Ein Schandfleck als Erbe

Guantanamo steht für den moralischen Verfall der Führungsmacht USA. Das Lager wird Obamas erste Bewährungsprobe auf dem Weg, den Ruf seiner Nation wieder aufzupolieren.

Gökalp Babayigit

Andreas Paulus, Direktor des Göttinger Instituts für Völkerrecht, ist anderer Meinung: "Obama würde einen Irrweg weitergehen, wenn er mit Sondergerichten agieren will. Es wäre die gleiche Prozedur wie zuvor mit Bushs Militärtribunalen, nur unter anderem Namen."

Die Gefangenen bräuchten, so Paulus, vor allem eins: ein transparentes Gerichtsverfahren, das den Namen auch verdient - also mit allen in der US-Verfassung verankerten Rechten, die dem Beschuldigten zustehen. "Es ist nur ein Vorwand, mit Verweis auf das nationale Sicherheitsinteresse erneut Sondergerichte einrichten zu wollen, um die sensiblen Geheimdienstinformationen zu schützen, so es denn welche gibt. Es gibt ausreichende Mittel zur Geheimhaltung sensibler Informationen im bestehenden US-Justizsystem, einschließlich des Ausschlusses der Öffentlichkeit."

Auch die Amerikanische Bürgerrechtsunion (ACLU) rügte prompt die Pläne. Direktor Anthony Romero ließ in einer Pressemitteilung verbreiten, dass alle Versuche Obamas, den Insassen auf neuartigen Wegen den Prozess zu machen, zum Scheitern verurteilt seien. "Wir haben das beste Justizwesen der Welt. Es gibt keinen Grund, wieso die Guantanamo-Häftlinge nicht vor herkömmliche US-Gerichte gestellt werden sollten."

Ein weiterer Streitpunkt, in dem auch die internationale Staatengemeinschaft - allen voran Europa - involviert ist: Was soll mit jenen passieren, die nicht angeklagt werden, die aber auch nicht zurück in ihre Heimatländer können? Es handelt sich dabei um eine Gruppe von 50 bis 60 Menschen - darunter die Uiguren -, deren Zukunft ungewiss bleibt. Sie einfach in den Vereinigten Staaten auf freien Fuß zu setzen, weckt vor allem bei konservativen Kräften ein mulmiges Gefühl nach der Devise: "Wir haben ihnen sechs Jahre Furchtbares angetan. Wir dürfen sie nie aufs Festland lassen."

"Die Europäer stehen vor einem Glaubwürdigkeitsproblem"

Den Amerikanern schwebt offensichtlich vor, dass Europa sich bereit erklärt, diese Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen. Sie sind damit nicht allein. Erst vor kurzem haben sich fünf Menschenrechtsorganisationen mit einem Appell an Deutschland und andere europäische Staaten gewandt.

Auch Thomas Bauer sieht Europa in der Pflicht: "Die Europäer stehen vor einem Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie sich jetzt verweigern. Sechs Jahre haben sie gegen Guantanamo gewettert. Jetzt haben wir die moralische und politische Verpflichtung, diesen Leuten zu helfen."

Völkerrechtler Paulus sieht die Sache anders: "Wenn die USA nun verlangen, dass Europa diese Menschen aufnimmt, weil ihnen in ihren Heimatländern Strafe und Folter droht, dann ist das eine klassische Verwechslung von Ursache und Wirkung." Die Amerikaner seien für diese Situation selbst verantwortlich. "Bei der Lösung dieses selbstgeschaffenen Problems können wir ihnen nach unseren Möglichkeiten helfen, aber diese Verantwortung können wir ihnen nicht abnehmen."

Egal, welchen Weg Obama nun in Sachen Guantanamo einschlagen will: Er wird im Kongress Überzeugungsarbeit leisten müssen - auch in seiner eigenen Partei. Während die Republikaner große Probleme damit haben, Häftlinge aufs Festland zu lassen, ist von liberalen Demokraten heftiger Widerstand gegen neue Sondergerichte zu erwarten.

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