Grundschulen:Eltern auf der Flucht

Eine neue Studie zeigt: Dürfen Mütter und Väter die Grundschule ihres Kindes frei wählen, dann verstärkt das die Trennung von Schülern nach Schichten und Herkunft.

Von Johann Osel

Eigentlich ist die Grundregel bei der Einschulung einfach: "Kurze Beine, kurze Wege." Das bedeutet, dass Kinder die nächstgelegene Grundschule besuchen. Häufig hört man in Städten von allerlei Tricks, um diese "Sprengelschulen" zu umgehen, wenn dort etwa viele Migrantenkinder lernen. Da werden Töchter und Söhne zum Schein bei Tanten angemeldet - um dem Amt vorzugaukeln, im Einzugsgebiet einer vermeintlich besseren Schule zu leben. In Nordrhein-Westfalen hat 2008 die damalige schwarz-gelbe Regierung das Sprengel-Prinzip abgeschafft und die freie Wahl erlaubt; Schulen wollte man so durch Konkurrenz zu mehr Qualität anspornen. Eine Studie zeigt nun, wie stark dies die Trennung sozialer Schichten fördert.

Tenor der Analyse, die Regionalforscher der Uni Bochum mit der Stadt Mülheim im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellten: Kinder einzelner Schichten bleiben in der Grundschule unter sich. So kommt es in benachteiligten Quartieren teils zu starken Wanderungen. "Gleich und gleich gesellt sich gern", so der Titel der Studie. Ausgewertet wurden die Daten von 4000 Erstklässlern zwischen 2008 und 2012 in Mülheim an der Ruhr. Die Stiftung geht davon aus, dass die Ergebnisse exemplarisch für Ballungsgebiete stehen. Eine Wahlfreiheit gibt es demnach in NRW und Hamburg, andernorts werde aber darüber diskutiert.

Zur Zeit der verbindlichen Bezirke gingen in Mülheim gut zehn Prozent der Kinder per Ausnahme-Genehmigung an eine nicht nahe gelegene Schule. Anlass war da etwa ein passenderes Musik-Förderangebot. Der Anteil stieg dann nach der Änderung und pendelte sich bei 25 Prozent ein. Die Wahl hängt klar vom Ruf der Schule ab sowie vom Geldbeutel der Eltern. Abschreckend dabei: niedriger sozialer Status von Mitschülern oder eine fremde Herkunft.

Vor allem Eltern mit mittlerem Sozialstatus nehmen die Wahl-Option in Anspruch. Das passt zum Trend, dass in diesen Familien Bildungsaufstieg eine oft zentralere Rolle spielt. Es greift das Prinzip, das der Soziologe Heinz Bude als "Bildungspanik" beschreibt - die Angst vor schlechten Startchancen für die Kinder und vor einem sozialen Abstieg in der nächsten Generation. Seltener gibt es Wanderungen in der Oberschicht - da in deren Wohngegenden ohnehin meist ein ähnliches Publikum an Schulen vorzufinden ist. Eltern mit niedrigem Bildungsstatus wählen kaum entferntere Grundschulen. "Da offiziell weder Noten noch Übergangsquoten einzelner Grundschulen bekannt sind, treffen Eltern ihre Entscheidung auf Basis informellen Wissens", schreiben die Autoren. Das ist häufig der Anteil von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte - obwohl das nicht im Kontext mit der Qualität stehen muss.

Dass trotz Sprengel-Prinzips Schichten unter sich bleiben, fanden schon Forscher des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration heraus. In Berlin gehen demnach zwei Drittel aller Migrantenkinder auf eine Grundschule, in der Mitschüler mit fremden Wurzeln die Mehrheit stellen. Dies sei nicht nur durch den Einzugsbereich zu erklären; sondern auch durch Flucht aus Einrichtungen: mit Tricks oder dem Kampf für Ausnahme-Genehmigungen.

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