Grundsatzurteil erwartet:Karlsruhe regelt Schutz von Telefondaten

Im größten Massenklageverfahren seiner Geschichte wird das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung mit Spannung erwartet - aller Voraussicht nach werden die 35.000 Kläger zumindest teilweise Erfolg haben.

Wolfgang Janisch

Im größten Massenklageverfahren seiner Geschichte verkündet das Bundesverfassungsgericht an diesem Dienstag sein Urteil. Der Erste Senat entscheidet, ob die Speicherung der Telefon- und Handyverbindungsdaten aller Bürger für sechs Monate ohne jeden Verdacht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Aller Voraussicht nach werden die 35.000 Kläger zumindest teilweise Erfolg haben. Es wird erwartet, dass die Richter die Nutzung der Daten allenfalls in engen Grenzen erlauben.

Das Gericht hat bereits im Jahr 2008 in zwei einstweiligen Anordnungen die Verpflichtung der Telekommunikationsdienstleister zur Speicherung zwar gebilligt, für den Abruf der Daten aber strenge Beschränkungen angeordnet. Die Verbindungsdaten dürfen deshalb vorerst nur zur Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Abwehr dringender Gefahren für Leib und Leben genutzt werden; für Nachrichtendienste gelten ebenfalls enge Vorgaben.

Weil auch in der Anhörung vergangenen Dezember - über etwa 60 Fälle wurde in Karlsruhe exemplarisch verhandelt - einige Verfassungsrichter ihre Skepsis deutlich zeigten, wird erwartet, dass sich die Grundtendenz der Eilbeschlüsse auch im Urteil widerspiegelt. Damit würde ein zentrales Instrument zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingeschränkt. Zwar sind von der Datensammlung, mit der eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt worden war, nur die Telekommunikationsverbindungsdaten, nicht aber die Inhalte von Gesprächen oder Mails betroffen. Aus Sicht von Experten lassen sich aber aus den Informationen - wer hat wann und wo mit wem wie lange telefoniert oder Mails ausgetauscht - private Beziehungen oder auch die Bildung sozialer und politischer Gruppierungen ablesen, und zwar effizienter als aus abgehörten Gesprächen.

Handys als Ortungswanzen

"Verbindungsdaten können aussagekräftiger als Inhaltsdaten sein, nicht zuletzt deshalb, weil sie automatisiert analysierbar sind", heißt es in einer Stellungnahme des Chaos Computer Clubs (CCC), dessen Sprecherin Constanze Kurz als Sachverständige in der Anhörung aufgetreten war. Zudem könnten die 110 Millionen Handys in Deutschland bald bis auf wenige Meter genau geortet werden und würden damit - weil auch ihre Standortdaten gespeichert werden - automatisch zu Ortungswanzen.

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der am Dienstag zum letzten Mal vor seinem Ausscheiden ein Urteil verkünden wird, fragte zudem, wie sicher die Daten bei den privaten Providern seien. Laut CCC lassen sich große Datenmengen leicht schmuggeln: Die Verbindungsdaten sämtlicher Festnetzteilnehmer in Deutschland über mehrere Tage hinweg passten auf eine Speicherkarte von der Größe eines Fingernagels.

Konflikt um Kompetenzen

Weil die Speicherpflicht im Grundsatz EU-rechtlich vorgegeben ist - mit Fristen von sechs Monaten bis zwei Jahren -, würden die Richter einen Konflikt um ihre Kompetenzen heraufbeschwören, wenn sie das Gesetz komplett für grundgesetzwidrig erklärten. Allerdings könnte ihr Urteil die Meinungsbildung in Brüssel beeinflussen: Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission, will laut Spiegel bis Jahresende die EU-Richtlinie überprüfen, denn "die Vorratsdatenspeicherung kann jedermanns Grundrecht auf Privatsphäre einschränken".

Auch für weitere Erfassungspläne könnte die Entscheidung relevant sein - etwa für die derzeit diskutierte Speicherung von Fluggastdaten, wie eine Vertreterin von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Dezember angemerkt hatte.

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