Grundsatzentscheidung des Obersten US-Gerichts:US-Regierung unterliegt in Guantanamo-Verfahren

Grundsatzentscheidung des Supreme Court: Die Insassen des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba haben das Recht auf Zugang zu ordentlichen Gerichten in den USA.

Die US-Regierung hat im Streit um die Rechte der Insassen im Gefangenenlager Guantanamo eine neuerliche Niederlage vor dem Obersten Gericht in Washington erlitten. Die höchsten US-Richter stellten sich in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Grundsatzurteil auf die Seite der klagenden Gefangenen und räumten diesen das Recht ein, vor Zivilgerichten in den USA ihre Inhaftierung anzufechten.

Grundsatzentscheidung des Obersten US-Gerichts: Ein Gefangener in Guantanamo streckt seine Finger durch einen Zaun - nun kommt Hoffnung durch das Urteil des Supreme Court

Ein Gefangener in Guantanamo streckt seine Finger durch einen Zaun - nun kommt Hoffnung durch das Urteil des Supreme Court

(Foto: Foto: Getty Images)

Die Weigerung der US-Regierung, den Gefangenen dieses Recht zu gewähren, verstoße gegen die Verfassung. Auf die US-Justiz könnte nun eine Klagewelle der rund 270 unter Terrorverdacht in Guantanamo auf Kuba eingesperrten Gefangenen zukommen.

US-Präsident Bush kritisierte das Urteil: "Ich bin mit dieser Entscheidung nicht einverstanden", sagte Bush nach einem Treffen mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi in Rom. Trotzdem werde die Regierung dem Urteil Folge leisten. Das Weiße Haus kündigte an, die Entscheidung sorgfältig zu prüfen.

Die Regierung hatte bislang darauf bestanden, dass nur eigens eingerichtete Militärtribunale für die Gefangenen zuständig seien, in denen Angeklagte und Verteidigung weniger Rechte hatten als vor ordentlichen Gerichten. Diese umstrittene Praxis verwarfen die Obersten Richter in ihrer mit fünf gegen vier Stimmen ergangenen Entscheidung.

"Freiheit und Sicherheit kein Widerspruch"

Deren Kernbefund lautet, dass die Insassen "das verfassungsmäßige Recht auf Habeas Corpus haben". Unter diesem alten Grundsatz (lateinisch: "Du sollst über deinen Körper verfügen") versteht die US-Verfassung das Recht eines jeden Gefangenen, die Gründe für seine Inhaftierung von einem Gericht prüfen zu lassen.

Für die US-Regierung könnte der Richterspruch bedeuten, dass sie die weitere Inhaftierung der Guantanamo-Insassen in jedem einzelnen Fall individuell begründen muss. Die meisten der Gefangenen werden seit bis zu sechs Jahren ohne formelle Anklage festgehalten, das Urteil dürfte ihnen die Türen zu US-Bundesgerichten öffnen.

Bislang hat sich die Regierung immer geweigert, die individuellen Haftgründe zu erklären. Sie verwies dabei auf Geheimhaltung im Interesse der nationalen Sicherheit im Rahmen des Kampfs gegen den Terrorismus. Dieses Argument wiesen die Richter zurück. "Die Gesetze und die Verfassung sind so gestaltet, dass sie gerade auch in außergewöhnlichen Zeiten Bestand haben", heißt es in dem von Richter Anthony Kennedy formulierten Urteil der Richtermehrheit. "Freiheit und Sicherheit sind kein Widerspruch."

Zunächst keine Wertung aus dem Weißen Haus

Die Regierung hatte vor dem Obersten Gericht für eine Beibehaltung der bisherigen Praxis geworben und dabei argumentiert, dass die Habeas-Corpus-Regelung nicht für die Guantanamo-Häftlinge gilt, da diese weder US-Bürger seien noch sich auf US-Territorium befänden. Die Richter erkannten zwar an, dass Guantanamo auf Kuba liegt, allerdings verhielten sich US-Behörden dort so, als seien sie auf US-Staatsgebiet. Deshalb kämen den dort Inhaftierten all jene verfassungsmäßigen Rechte zu, die auch den Bewohnern der USA zustünden.

Bei Bürgerrechtlern stieß der Richterspruch einhellig auf Zustimmung. Das Urteil helfe, "die Rolle der USA als Modell für rechtstaatlichkeit weltweit wiederherzustellen", erklärte William Neukom, Präsident der amerikanischen Anwaltskammer.

Zum dritten Mal ein Riegel vorgeschoben

Amnesty International sprach von einem "bedeutenden Schritt vorwärts in Richtung Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit". Es sei an der Zeit für die US-Regierung, ihre Praktiken im Antiterrorkrieg "endlich in Einklang mit internationalen Standards zu bringen". Die US-Organisation ACLU erklärte, der "Gesetzlosigkeit der gescheiterten Guantanamo-Politik der Bush- Administration" sei in starker Form eine Absage erteilt worden. Die ACLU wie auch Amnesty forderten zudem eine Schließung des Lagers.

Es war das dritte Mal, dass das Gericht der Guantanamo-Politik von Bush einen Riegel vorschob. Bereits 2004 und 2006 hatte das Supreme Court der Regierung in Guantanamo-Verfahren eine Niederlage bereitet und damit jeweils zu gesetzlichen Nachbesserungen geführt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: