Grundrechte:Durchs Raster gejagt

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Der frühere Grünen-Abgeordnete Volker Beck kritisierte die Asylpolitik. (Foto: Stefan Boness/imago/IPON)

Spektakuläre Überwachungstechnik bedroht laut dem Grundrechte-Report die Privatsphäre. Doch bedenklich sind auch scheinbar harmlose Rechtsänderungen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ist erst ein paar Tage her, dass Alexander Dobrindt mit dem Wort von der "Antiabschiebe-Industrie" Aufsehen erregt hat. Man wird Volker Becks Vorschlag daher als bürgerrechtliche Antithese dazu sehen können. Warum, so überlegte der frühere Grünen-Abgeordnete, sollte man für Flüchtlinge nicht gleich eine unabhängige Rechtsberatung einrichten? Etwaige Ansprüche würde damit rasch geklärt - das diene doch der Beschleunigung der Verfahren, übrigens auch für jene, die kein Bleiberecht erhielten. "Mit Rechtsberatung kann man viel Klarheit in die Sache bringen."

Volker Beck präsentierte am Dienstag in Karlsruhe den Grundrechte-Report, den alternativen - oder nach anderen Lesart den wahren - Verfassungsschutzbericht mehrerer Bürgerrechtsorganisationen. Die richtige Plattform also für Forderungen zu den Rechten von Flüchtlingen, die nach einer "Kaskade" von Gesetzen zu ihrer "Entrechtung" auf den Schutz der Zivilgesellschaft angewiesen seien.

Mehrere der 45 Kurzbeiträge widmeten sich diesem Thema. Einen gewissen Schwerpunkt bildeten indes - wieder einmal - Überwachung und Sicherheitsbehörden. Die aktuelle Reform des bayerischen Polizeigesetzes war zwar noch kein Thema, wohl aber die Änderung von 2017, die wesentliche Elemente einer seit Jahren anhaltenden Entwicklung abbildet: die Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen. Die Polizei ist zur Gefahrenabwehr da, die "Gefahr" legitimiert Grundrechtseingriffe. Sie bildet eine Schwelle, die man im Fall Bayerns nun niedriger gesetzt hat: Für viele Maßnahmen soll nun eine "drohende" statt einer "konkreten" Gefahr genügen. Es ist letztlich eine schiefe Ebene hin zu immer mehr polizeilicher Ermächtigung, das zeigte der Beitrag von Anna Katharina Mangold zum "Gefährder". Denn was eine "Gefahr" ist, lässt sich aus Sicht der Wissenschaftlerin noch halbwegs klar umreißen: als eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Schadens. Was bei der Einstufung als "Gefährder" maßgeblich ist, sei dagegen reichlich schemenhaft. Sie sei eine Prognose, jemand werde künftig Gefahren schaffen. Da aber die Annahme einer "Gefahr" selbst eine Prognose sei - etwas wird passieren -, laufe der Begriff Gefährder auf die "Prognose einer Prognose" hinaus. Dünnes Eis mit anderen Worten.

Weitere Beiträge handelten von Gesichtserkennung per Video, von Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung - also von "intelligenten" Überwachungssystemen. Ihnen ist gemeinsam, dass neue Technik immer tiefer in die persönliche Sphäre eindringen kann; von einer Videokamera aufgenommen zu werden, ist weitaus harmloser, als automatisiert durch ein Identitätsraster gejagt zu werden. Aber es ist nicht nur die spektakuläre Technik, die an der Freiheit nagt, es sind auch die scheinbar harmlosen Änderungen. Peter Schaar, einst Bundesdatenschutzbeauftragter, wies darauf hin, dass digitale Passbilder neuerdings von Polizei, Nachrichtendiensten und anderen Behörden automatisiert abgerufen werden dürfen. Theoretisch bleibe eine biometrische Zentraldatei zwar verboten, praktisch schaffe die Änderung aber die Voraussetzung dafür, "dass die verteilten Datenbestände der Pass- und Ausweisbehörden online zusammengeschaltet werden können".

Und wie lässt sich daraus nun eine Summe ziehen? Volker Beck erinnerte an das Vorratsdaten-Urteil von 2010. Darin mahnte das Bundesverfassungsgericht, das Gesamtbild der Datensammelei in den Blick zu nehmen. "Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland."

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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