Grünen-Rebell Boris Palmer im Interview:"Natürlich habe ich bewusst provoziert"

Bundesparteitag Bündnis 90/Die Grünen

Verbündete: Boris Palmer (links) im Gespräch mit Winfried Kretschmann.

(Foto: dpa)

Er wurde ausgepfiffen, seine Anträge abgeschmettert: Boris Palmer zog auf dem Parteitag der Grünen mit wirtschaftspolitischen Vorschlägen viel Zorn auf sich. Im Gespräch erklärt der Tübinger Oberbürgermeister und Realo-Sprachführer, warum er trotz allem sicher ist, noch in der richtigen Partei zu sein.

Von Michael König, Berlin

Der Mann eckt an: Boris Palmer, 40, steht für den konservativen Flügel der Grünen. Der Oberbürgermeister von Tübingen kokettiert mit einer Vorliebe für die CDU und fordert mehr Wirtschaftsfreundlichkeit seiner Partei. Im November 2012 wurde er aus dem Parteirat abgewählt, nach dem Vorstand das wichtigste ständige Gremium.

SZ.de: Herr Palmer, die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl schrieb bei Twitter über Sie: "Arroganz kommt vor dem Fall".

Boris Palmer: Da vermisse ich etwas das Argument in der Sache.

Kotting-Uhl ist nicht allein. Sie wurden auf dem Parteitag ausgebuht und ausgepfiffen, Ihre wirtschaftspolitischen Anträge mit großer Mehrheit abgeschmettert. Sind Sie noch in der richtigen Partei?

Selbstverständlich.

Kein Zweifel?

Mein politisches Lebensthema ist die Ökologie. Da kann man nur bei den Grünen sein. Unser Parteiprogramm hat 200 Seiten, davon stören mich nur etwa 20 Zeilen. Die Übereinstimmung liegt bei 99 Prozent.

Die Grünen haben doch Maß und Mitte verloren. Den Schluss lassen zumindest Ihre Reden zu.

Zur Streitkultur gehört es, vor und auf dem Parteitag zu sagen, was man für falsch hält. Aber jetzt ist unser Programm beschlossen und wir vertreten es gemeinsam. Die Richtung stimmt, wir müssen der wachsenden materiellen Ungerechtigkeit in der Gesellschaft entgegentreten. Und dank der Fraktionsvize Kerstin Andreae haben wir Realpolitiker eine wichtige Klarstellung erreicht: Niemand soll überfordert werden und niemand soll mehr Belastungen tragen, als er kann. Das steht jetzt so im Programm.

Sie wollten erreichen, dass der Grundsatz "Gleiches Geld für alle" in der Leiharbeit erst ab sechs Monaten gilt. Und dass Arbeitsverhältnisse ohne Sachgrund weiterhin befristet werden können. Das hätte auch aus dem bürgerlichen Lager kommen können.

Was ich verteidigt habe sind Beschlüsse der Regierung Schröder-Fischer. Wirtschaftsfreundliche Politik vergrößert den Verteilungsspielraum, weil es mehr zu verteilen gibt.

Haben Sie die Buh-Rufe provoziert? Sie machten Angela Merkel zu ihrer Kronzeugin und hielten ihren Parteifreunden vor, sie sollten doch "einmal einen Beschluss fassen, der wirtschaftsfreundliche Signale aussendet". Da wurde es laut im Saal.

Ich bin ja Realist. Natürlich habe ich bewusst provoziert. Mir ging es um ein Signal: Passt auf, überdreht die Schraube nicht.

Das Signal ist nicht angekommen.

Ich glaube doch, die Buhrufe galten ja genau dieser Botschaft, sie wurde also gehört. Und Anträge, die 59 Prozent Spitzensteuersatz, Verdienstobergrenzen für Manager oder eine Vermögenssteuer in der nächsten Legislaturperiode wollten, wurden allesamt abgelehnt.

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