Grünen-Politiker in Japan:Wie Jürgen Trittin den Japanern seinen Atomausstieg erklärt

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Der Fraktionschef der Grünen ist nach Japan gereist, um mit eigenen Augen zu sehen, was Tsunami und Reaktorkatastrophe angerichtet haben. Den Menschen, die er trifft, berichtet Jürgen Trittin mit Freuden, was es mit der deutschen Energiewende auf sich hat - und macht den Atomausstieg von Kanzlerin Merkel nebenher zum grünen Erfolg.

Michael Bauchmüller

Bei Makiko Tanaka, der ehemaligen Außenministerin, ist der deutsche Atomausstieg natürlich längst angekommen. Bei den Studenten der Tokioter Waseda-Universität ebenfalls. Und bei den Mitgliedern des japanischen Nationalen Presseclubs sowieso. Ist ja für Japaner interessant, was Deutsche so anstellen wegen einer Katastrophe in Japan.

Und so setzt sich Frau Tanaka nun ganz aufrecht hin, sie sagt: "Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Ist Deutschland eigentlich in der Lage, diesen Ausstieg wirtschaftlich zu meistern?" Ein Student der Waseda-Uni will wissen, was ein Ausstieg den Deutschen nutzt, wenn in Frankreich ein Reaktor hochgeht. Und im Presseclub, einer edlen Adresse im Herzen Tokios, wirft ein Journalist die Frage auf, wie sich denn der Ausstieg aus der CO2-armen Atomkraft so mit dem Klimaschutz vertrüge.

Da fragen sie mit Jürgen Trittin den Richtigen. Die Wirtschaft profitiere massiv vom Ausbau erneuerbarer Energien, nimmt Frau Tanaka interessiert zur Kenntnis; Frankreich, so erfährt der Student, werde auf kurz oder lang mehr Ökostrom erzeugen müssen, zulasten der Kernkraft. Und das Klima, so hören die Herren im Presseclub, das schädigten ausgerechnet die USA besonders stark, jenes Land also, das die meisten Atomkraftwerke beherbergt. Noch Fragen?

Und ob. Atomfragen gibt es in Japan reichlich. Für drei Tage ist der Fraktionschef der Grünen nach Japan gereist, er wollte wissen, was Tsunami und Reaktorkatastrophe mit dem Land gemacht haben. Doch die er trifft, sind durch die Havarie im Atomkraftwerk Fukushima häufig verunsichert, und der deutsche Atomausstieg wirft lauter neue Fragen auf: Sollte es tatsächlich möglich sein, auf Atomkraft zu verzichten? Wo es doch stets hieß, dies sei in Japan undenkbar?

Nur 19 der 54 japanischen AKW sind noch in Betrieb, alle anderen sind entweder seit dem Erdbeben stillgelegt oder aber für Wartungsarbeiten abgeschaltet. In vielen Regionen gibt es seit dem Unglück von Fukushima Vorbehalte, die Anlagen überhaupt wieder hochzufahren; der Pannenreaktor Hamaoka hat es schon hinter sich: Er wird abgeschaltet. Und während ständig neue Hiobsbotschaften von kontaminierten Fischen, verseuchtem Wasser und verstrahlten Böden publik werden, bahnt sich auch in Japan eine Energiewende an. "Es geht nicht weiter mit dieser Art der Energieerzeugung", sagt Ex-Außenministerin Tanaka. "Wir müssen sie umbauen, und dafür ist Deutschland ein Modell."

Wohl auch deswegen ist der Nationale Presseclub an diesem Freitagnachmittag voll wie die deutsche Bundespressekonferenz bei Ministerauftritten, hört der Generalsekretär der regierenden Demokratischen Partei Trittin ebenso an wie der Chef des atomfreundlichen Industrieausschusses. Sie erhalten einen Schnelldurchlauf in Netzausbau, Windturbinen und Gebäudesanierung, und am Ende erfahren sie noch, dass sie sich verrechnet haben. "Wenn sie die Kosten der Katastrophe in Rechnung stellen", so lehrt Trittin, "wird nie wieder jemand behaupten können, Atomenergie sei billig." Punkt für Grün.

Für kaum jemanden steckt darin so viel politischer Triumph wie für Jürgen Trittin; schließlich hatte er als Umweltminister im Jahr 2000 den ersten Atomausstieg mit ausgehandelt. Jenen Ausstieg also, aus dem Union und FDP im vorigen Herbst ausstiegen, um jetzt wieder darauf zurückzukommen. Das freilich soll dem japanischen Publikum nicht verborgen bleiben, Trittin erklärt das schlechterdings zum Geheimnis der schlagartigen deutschen Energiewende.

Und so erfahren die Studenten der Waseda-Universität nach artigem Applaus, wie alles wirklich war. "Die Geschichte beginnt in Wahrheit 1998", holt Trittin aus. Damals hatte die rot-grüne Regierung vereinbart, aus der Atomkraft auszusteigen. Trittin zeigt Kurven, grüne, rote, blaue, sie lassen die erneuerbaren Energien jährlich wachsen, am stärksten die grüne. Und dann ist da noch eine gelbe Kurve, die Atomkraft: starker Absturz. So sei das geplant gewesen. "Frau Merkel übernimmt, wenn Sie so wollen, mit zehn Jahren Verspätung die Position von Jürgen Trittin." Sagt Jürgen Trittin.

Es ist der Versuch, die Merkel'sche Wende im fernen Japan zum grünen Erfolg zu machen, er richtet sich auch an die eigenen Leute. Vielen Grünen geht dieser Ausstieg nicht schnell genug. "Das hier ist der Weg, den wir vor zehn Jahren begonnen haben, und der heute auf einen Konsens in fast allen Parteien stößt", sagt Trittin. Kein Zweifel, er will mit dem Ausstiegsplan der Regierungskoalition stimmen, ungeachtet mancher Vorbehalte in den eigenen Reihen. "Ich habe keine Lust, dass das, was die Grünen erreicht haben, mit Frau Merkel heimgeht", sagt er später noch.

Längst ist Deutschland, wie Italiens Anti-Atom-Referendum, Munition im Kampf vieler Japaner gegen Kernkraft, es kommt etwas in Bewegung. "Die Demos und die Politik in Deutschland haben uns viel Mut gegeben", sagt die Umweltaktivistin Akiko Yoshida. Und auch Frau Tanaka, die einstige Außenministerin, kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus. 17 Prozent Ökostrom, jetzt schon? 35 Prozent sogar, schon 2020? "Ich bin beeindruckt", sagt sie, "von der Entscheidung dieser Regierung." Bleibt allerdings trotzdem die von Merkel.

© SZ vom 18.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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