Grünen-Parteitag:"Wir sind eine Partei der Besserverdienenden"

Grünen-Vordenker Ralf Fücks über den Wandel seiner Partei, Auslandseinsätze der Bundeswehr, und warum es so wichtig ist, sich gut mit der FDP zu verstehen.

T. Denkler und E. Jung

Seit 1996 ist Ralf Fücks Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Davor war er fünf Jahre lang Umweltsenator in einer Bremer Ampel-Koalition. Fücks schloss sich 1982 den Grünen an. Entschieden setzte er sich dafür ein, die Grünen zu einer reformerischen Partei zu machen und gemeinsam mit der SPD eine neue politische Mehrheit zu bilden.

Grünen-Vordenker Ralf Fücks wünscht sich eine offensivere Partei. Foto: boell-stiftung/Ludwig Rauch

Grünen-Vordenker Ralf Fücks wünscht sich eine offensivere Partei.

(Foto: Foto: boell-stiftung/Ludwig Rauch)

sueddeutsche.de: Herr Fücks, am Wochenende haben Spitzenpolitiker der Grünen an den Castor-Protesten von Gorleben teilgenommen. Parteichefin Claudia Roth hat sogar eine Nacht bei den Demonstranten verbracht. Sind die Grünen für so etwas nicht zu alt?

Ralf Fücks: Ich würde eher sagen: Die Grünen sind sich treu geblieben. Der Atomausstieg ist ein Herzstück grüner Reformpolitik. Es ist folgerichtig, dass die Grünen sich jetzt am außerparlamentarischen Protest gegen ein Comeback der Atomenergie beteiligen. Wenn die Atomlobby den Ausstieg in Frage stellt, suchen wir den Schulterschluss mit den außerparlamentarischen Bewegungen.

sueddeutsche.de: Es war aber nicht gerade Graswurzelarbeit, was die Grünen seit der Regierungsübernahme 1998 geleistet haben.

Fücks: Natürlich verändern sich die Rollen in der Regierung. Wer regiert, kann gestalten. Wer opponiert, muss kritisieren und Druck aufbauen. Wir müssen uns für unsere Regierungsjahre nicht genieren. Zur Opposition von heute gehört auch, die Erfolge aus der rot-grünen Regierungszeit zu verteidigen.

sueddeutsche.de: Da spricht ja auch nichts dagegen.

Fücks: Richtig - der Atomausstieg ist dafür ein gutes Beispiel. Aber die Verteidigung der Erfolge von gestern ist sicher zu wenig - wir müssen Begründungen für grüne Politik finden, die nach vorne weisen.

sueddeutsche.de: Wie können die aussehen? Oder anders gefragt: Wie sollen die Grünen den Wählern erklären, dass sie ab 2009 unbedingt wieder mitregieren müssen?

Fücks: Weil sie die Herausforderung des Klimawandels ernst nehmen und mit der Erneuerung unserer Wirtschaft verbinden, mit technologischer Innovation und zukunftssicheren Jobs. Und weil sie Lösungen entwickeln für das zunehmende Problem der sozialen Marginalisierung - die wachsende Zahl von Leuten, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Da haben die Grünen gute Ansätze. Es fehlt aber noch ein bisschen an Zuspitzung, die mobilisieren und Identifikation schaffen könnte.

sueddeutsche.de: Es fehlt ein bisschen nur?

Fücks: Ich sehe das Problem. Wir bewegen uns zu oft auf der Ebene einzelner fachpolitischer Forderungen. Etwa die progressive Staffelung von Beiträgen zur Sozialvericherung - eine richtige Idee, mit der man aber keine Leute mitreißen kann.

sueddeutsche.de: Ihnen fehlt der Change-Faktor, wie in Barack Obama zelebriert hat.

Fücks: Es war doch ein Phänomen, wie sich 200.000 Menschen an der Berliner Siegessäule für einen Wechsel in den USA begeistert haben. Aber im eigenen Land ist Reform ein in Misskredit geratener Begriff. Die Grünen müssen wieder eine Partei des Wandels werden. Dafür wäre manchmal mehr Mut nötig, gegen das Verharren im Gewohnten anzugehen.

sueddeutsche.de: Warum ist der nicht vorhanden?

Fücks: Veränderung wird von vielen als Verlust von Sicherheiten erlebt und gefürchtet. Und Sicherheit ist zu einem Leitbegriff unserer Gesellschaft geworden. Aber so wie es war, kann es nicht bleiben. Globalisierung, demographischer Wandel, Klimaveränderung - alles Gründe, nicht stehenzubleiben.

sueddeutsche.de: Sie wollen große Linien. Was aber von den Grünen derzeit kommt, wirkt eher wie Klein-Klein.

Fücks: Mit dem Klimawandel und der anstehenden ökologischen Transformation des Kapitalismus haben wir ein großes Thema. Aber wir erzählen das nicht besonders mitreißend. Vielleicht fehlt uns ein wenig produktive Unruhe. Die Geschlossenheit, die die Grünen in den vergangenen Jahren erreicht haben, ist sicher wertvoll im Vergleich zu den brutalen Flügelkämpfen der Vergangenheit. Aber Geschlossenheit ist kein Selbstzweck. Man kann nur innovativ sein, wenn man Lust am produktiven Streit hat.

sueddeutsche.de: Ein Beispiel?

Fücks: Gut fand ich die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen. Da prallte utopisches Denken auf nüchterne Realpolitik. Am Ende haben wir ein Konzept beschlossen, das den Sozialstaat weiterentwickelt, statt ihn auf den Kopf zu stellen.

Auf der nächsten Seite: Die Angst, überflüssig zu werden.

"Wir sind eine Partei der Besserverdienenden"

sueddeutsche.de: Vor 15 Jahren noch hätten die Grünen ohne zu zögern ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle gefordert. Jetzt sind die Grünen irgendwie für Grundeinkommen - aber mit Ausnahmen und vielen Bedingungen. Die erste Forderung klingt eher nach Grün.

Grünen-Parteitag: Der designierte Grünen-Chef Cem Özdemir zusammen mit Renate Künast und Thilo Hoppe (re.) bei den Anti-Castor-Protesten in Gorleben.

Der designierte Grünen-Chef Cem Özdemir zusammen mit Renate Künast und Thilo Hoppe (re.) bei den Anti-Castor-Protesten in Gorleben.

(Foto: Foto: ddp)

Fücks: Von uns wird heute erwartet, dass unsere Ideen der Wirklichkeit standhalten. Die Entkopplung von Arbeit und Einkommen ist volkswirtschaftlich eine Illusion, und sie entspricht auch nicht unserem Menschenbild. Denn soziale Teilhabe ist nicht nur eine Frage des Einkommens, sondern der Tätigkeit.

Es geht nicht um eine Ruhigstellungsprämie, sondern um Chancengleichheit, um den Zugang zu Bildung und Arbeit für alle. Aber es stimmt, dass niemand es bisher geschafft hat, grüne Sozialpolitik auf eine griffige Formel zu bringen. Es fehlt die politische Zuspitzung, wie das mit dem Atomausstieg der Fall ist.

sueddeutsche.de: Bleibt das Markenthema der Grünen: die Ökologie. Wie lässt sich das für die nächsten 20 Jahre neu formulieren?

Fücks: Wir müssen es verknüpfen mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Dabei geht es ja nicht nur um Verteilungsfragen, wie die Linken suggerieren. Wir brauchen eine neue Basis für die ökonomische Wertschöpfung um unseren Wohlstand auch in Zukunft zu sichern.

Die alten Industrienationen sind dabei, ihr Monopol auf Hightech und innovative Produkte zu verlieren. Die neuen Mitspieler in Asien sind längst nicht mehr nur Billiglieferanten. Die investieren massiv in Hochtechnologie.

sueddeutsche.de: Wie können die Deutschen im Spiel bleiben?

Fücks: Wir brauchen eine neue Welle von technischen Innovationen und qualifizierten Dienstleitungen. Und die müssen grün sein. Das wird das großes Thema der kommenden Jahre: Ein "Grüner New Deal" als Antwort auf Klimaveränderung und die drohende Weltwirtschaftskrise.

sueddeutsche.de: Warum sind die Grünen so wenig mit eigenen Lösungen für Finanzkrise und drohender Rezession aufgefallen?

Fücks: Wir könnten da offensiver sein. Wenn wir schon staatliche Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft brauchen, dann reicht es nicht, nur den Konsum anzufeuern. Wir müssen darauf bestehen, dass damit eine zukunftsfähige Infrastruktur aufgebaut und ökologische Innovationen gefördert werden.

sueddeutsche.de: In der Öko-Frage waren die Grünen früher die Antreiber. Heute ist der Klimawandel Chefthema in der großen Koalition. Müssen sich die Grünen nicht auf die Suche nach neuen Nischen machen?

Fücks: Ganz im Gegenteil. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere politische Reichweite enorm vergrößert. Wir sind inzwischen in einem kontinuierlichen Dialog mit Unternehmen, mit der Wissenschaft, mit allen möglichen Verbänden und können auf vielen Politikfeldern gesellschaftliche Mehrheiten ansprechen.

Die wählen uns nicht unbedingt, treten uns aber doch mit viel Sympathie und Interesse entgegen. Es wäre fatal, wenn die Grünen sich aus der Angst, überflüssig zu werden, als kleine radikale Minderheit definieren würden.

sueddeutsche.de: Wie sieht der typische Grünen-Wähler heute aus?

Fücks: Die Grünen sprechen Menschen an, die sich mit Werten wie Selbstbestimmung, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und globale Fairness identifizieren. Es gibt bei unseren Wählern einen ausgeprägten Sinn für die Zukunft, auch über die engen persönlichen Interessen hinaus.

sueddeutsche.de: Der grüne Prototyp ist also bereit zu geben, wenn es einer guten Sache dient?

Fücks: Richtig. Wir sind statistisch gesehen eine Partei der Besserverdienenden. Gleichzeitig sind wir eine Partei, die für den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen eintritt. Wir beteiligen uns nicht am Wettlauf um Steuersenkungen, sondern treten für eine solide öffentliche Finanzierung ein. Davon hängt ab, wie erfolgreich wir in Wissenschaft, Bildung und Kultur sind.

sueddeutsche.de: Sie sprechen von einer starken Grundwerteorientierung der Grünen-Wähler. Gleichzeitig aber versuchen die Grünen gerade ihre Koalitionsoptionen maximal auszudehnen. In Hamburg geht es mit der CDU, in Hessen ist das rot-rot-grüne Experiment nicht an den Grünen gescheitert. Und Sie werben für eine Annäherung an die FDP. Werden die Grünen zur Beliebigkeitspartei?

Fücks: Die grüne Grundsatztreue lässt sich doch nicht an der Frage messen, mit wem wir koalieren. Entscheidend ist, dass wir zu unseren Zielen und Werten stehen.

sueddeutsche.de: Das sagen Politiker gerne. Aber genauso wichtig sind doch die handelnden Personen. Die Trittin-Grünen mit der Westerwelle-FPD, das geht schon atmosphärisch nicht.

Fücks: Ich kann es da nur mit Joschka Fischer halten: Realistisch betrachtet, haben die Grünen für 2009 nur in einem Bündnis mit der FDP eine Regierungsperspektive. Das sollte Grund genug sein, mit ein paar Lockerungsübungen gegenüber der FDP anzufangen.

Fortsetzung auf der nächsten Seite: Lockerungsübungen mit FDP-Chef Guido Westerwelle.

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Lockerungsübungen verlangt Ralf Fücks von seinen Grünen gegenüber der FDP.  Foto: ddp

Lockerungsübungen verlangt Ralf Fücks von seinen Grünen gegenüber der FDP.

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Da werden einige in Ihrer Partei laut "igitt!" schreien?

Fücks: Die FDP ist nicht in allen Fragen der Hauptfeind. Es gibt Felder, auf denen sich Grüne und Liberale durchaus nahekommen können: Bürgerrechte, eine weltoffene Migrationspolitik, Förderung des Mittelstands, ein höherer Stellenwert für Wissenschaft und Kultur. Da könnte man mehr Gemeinsamkeiten ausloten.

sueddeutsche.de: Dann machen Sie mal Lockerungsübungen und loben sie Guido Westerwelle.

Fücks: (lacht) Darum geht es nicht. Koalitionen sind keine Liebesheirat, sondern Zweckbündnisse zur Durchsetzung der eigenen Ziele.

sueddeutsche.de: Die Grünen werden nicht den Atomausstieg in Frage stellen können. Die FDP wird nicht der Steuersenkung abschwören. Wie soll da eine Grundlage für Koalitionen entstehen?

Fücks: Ich bin vorsichtig geworden mit Aussagen wie: "Das geht nie zusammen." Wenn es für beide Parteien die einzige Chance ist, eine große Koalition zu verhindern und mitzuregieren, wächst auch der Wille zum Kompromiss.

Klar ist aber auch: Koalitionsverhandlungen können nicht als Kapitulationsverhandlungen geführt werden. Es gibt Kernpunkte, die die Identität der jeweiligen Partei betreffen, die nicht verhandelbar sind. Umso wichtiger wäre es, jetzt mal auszuloten, wo die Kompromisslinien sein können.

sueddeutsche.de: Die Parteien nennen erst einmal ihre Wunschkonstellationen, nicht aber mögliche Alternativen.

Fücks: Deshalb ist es für die Grünen umso wichtiger, so stark zu werden, dass aus der Wunschkonstellation der FDP nichts wird. Es liegt doch auf der Hand: In einer Ampelkoalition ist für die FDP die Angst groß, nur das fünfte Rad am Wagen zu sein. Für die Grünen gilt in einer Jamaika-Variante natürlich das Gleiche.

sueddeutsche.de: Der Preis ist also jeweils höher.

Fücks: Genau. Jene Partei, die das Lager wechselt, braucht eine besondere Prämie. Der muss man einen größeren Spielraum geben. Sonst scheitert eine solche Konstellation.

sueddeutsche.de: Geht es auch ohne die FDP?

Fücks: Im Prinzip schon, aber 2009 wird es schwierig. Für Rot-Grün wird's kaum reichen, Schwarz-Grün sehe ich nicht, das Bündnis mit der Linkspartei ist in Hessen erst mal baden gegangen. Da kommen die Grünen kaum um die FDP herum, wenn sie wieder regieren wollen.

sueddeutsche.de: Wäre es nicht besser, gleich die Opposition anzustreben?

Fücks: Nicht doch! Die Grünen müssen anstreben, wieder in eine Mitbestimmungsposition zu kommen. Gerade wenn es um Kernanliegen wie die Verteidigung des Atomausstiegs geht. Oder wenn wir in der Klimapolitik dafür sorgen wollen, dass es nicht bei Sonntagsreden bleibt. Das ist auch die Erwartung unserer Wähler.

sueddeutsche.de: Die Grünen scheinen irgendwie undogmatischer zu sein. Ist es für die grüne Klientel einfacher, der Partei in eine Jamaika-Koalition zu folgen, als es für die FDP-Wähler wäre, in eine Ampel-Koalition zu gehen?

Fücks: Das ist eine erstaunliche Charakterisierung, die aber wahrscheinlich sogar zutrifft. Die FDP hat in den vergangenen Jahren das neoliberale Mantra rauf und runter gebetet. Die sind jetzt mit der Finanzkrise hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen.

sueddeutsche.de: Die Liberalen legen aber in den Umfragen zu.

Fücks: Das allein macht sie noch nicht regierungsfähig - mit einer Politik, die den Staat ausblutet und dem Markt alles zutraut. Ich glaube nicht, dass sie bei den Wahlen damit erfolgreich sein werden. Die FDP wird vielmehr ihre sozialliberalen Traditionen wiederentdecken müssen, wenn sie nicht als kleine marktradikale Minderheit gelten will.

sueddeutsche.de: Ist es für die Grünen also einfacher, das Lager zu wechseln?

Fücks: Es bliebe eine hochriskante Operation, keine Frage. Sowohl mit Blick auf die eigene Partei, als auch mit Blick auf unsere Wählerschaft, die ja immer noch - und das durchaus zu Recht - gegenüber der Union ein großes Misstrauen hegt, vor allem in gesellschaftspolitischen und kulturellen Fragen.

sueddeutsche.de: Sind Sie erstaunt darüber, dass ihre Kollegen in Hamburg berichtet haben, die CDU hätte sie wesentlich fairer behandelt als je die Sozialdemokraten?

Fücks: Nein. Das war in vielen anderen Koalitionen auf kommunaler Ebene auch so. Wir haben in großen Städten wie in Köln, Frankfurt, Essen oder Kiel bereits die Erfahrung gemacht, dass die Umgangsform oft respektvoller ist als bei Rot-Grün.

sueddeutsche.de: Warum ist das so?

Fücks: Weil wir mit der CDU nicht um die gleiche Wählerschaft konkurrieren. Und weil die Union die Grünen nicht als Abtrünnige des eigenen Stammes betrachtet. Von der SPD werden wir einerseits wie selbstverständlich vereinnahmt, und gleichzeitig wird uns immer noch verübelt, dass es uns gibt. Aus der Distanz zur Union lässt es sich rationaler kooperieren, als es die gespannte Nähe zur SPD oftmals zulässt.

Auf der nächsten Seite: Warum die Grünen sich für einen Einsatz im Irak wappnen sollten.

"Wir sind eine Partei der Besserverdienenden"

Mit Joschka Fischer wurden Deutschland auch zu einer militärischen Größe. Fücks meint, die Anforderungen werden wachsen.  Foto: ap

Mit Joschka Fischer wurde Deutschland auch zu einer militärischen Größe. Fücks meint, die Anforderungen werden wachsen.

(Foto: Foto: ap)

sueddeutsche.de: Für was würde eigentlich Cem Özdemir in einer Jamaika-Koalition stehen, der ja am Wochenende neuer Parteichef werden soll?

Fücks: Cem ist der Repräsentant einer neuen Generation, die sich nicht mehr vorrangig an der Rechts-links-Achse orientiert. Er ist nicht von Lagerdenken, sondern von ergebnisorientiertem Denken geprägt. Und er ist flexibel, wenn es um die Frage geht, wie man Ziele verwirklichen kann. Insofern ist gerade Cem jemand, der für unorthodoxe Bündnisse gute Voraussetzungen mitbringt. Er ist kein Ideologe, der auf Polarisierung aus ist.

sueddeutsche.de: Also werden die Grünen keinen Lagerwahlkampf führen?

Fücks: Ich zumindest bin kein Anhänger dieser Idee. Für die Grünen liegt es zwar nahe, einen Wahlkampf gegen Schwarz-Gelb zu führen, um diese Konstellation zu verhindern. Aber das darf man nicht überziehen, wenn man nach der Wahl noch handlungsfähig bleiben will. Wir dürfen nicht Gefangene der eigenen Rhetorik werden. Deshalb sollten die Grünen einen Wahlkampf führen, in dem sie die eigenen Anliegen in den Vordergrund rücken.

sueddeutsche.de: Ist mit der Linkspartei Politik zu machen?

Fücks: In einzelnen Sachfragen sicher. Gerade weil sie eine sehr heterogene Partei mit vielen Strömungen ist. Für den Bund sehe ich 2009 aber keine inhaltliche Grundlage. Eine rot-rot-grüne Koalition wäre sowohl außen- wie auch sozialpolitisch rückwärtsgewandt. Da hat die Linkspartei noch einige Häutungen vor sich.

sueddeutsche.de: So, wie sie die Grünen durchmachen mussten.

Fücks: Auch wir haben Zeit gebraucht, bis wir ernsthaft als Regierungspartei in Frage kamen. Das Drama ist, dass die Linkspartei gegenwärtig eine Art Veto-Position gewinnt, vor allem in sozialpolitischen Fragen. Sie blockiert damit notwendige Veränderungen, weil sie bis in SPD und CDU hinein die Furcht vor Veränderung schürt.

sueddeutsche.de: Was muss eine moderne Linke können?

Fücks: Sie muss sich Veränderungen stellen können und nicht die Parole "Vorwärts, wir müssen zurück" ausgeben - in den scheinbar idealen Sozialstaat und den außenpolitischen Schonraum der siebziger und achtziger Jahre.

sueddeutsche.de: Inwiefern ist die Linkspartei direkte Konkurrenz für die Grünen?

Fücks: Wir buhlen schon zum Teil um die gleiche Wählerschaft. Auch der Konflikt um die Frage militärischer Auslandseinsätze, den wir mit der Linkspartei haben, wirkt bis in die Grünen hinein.

sueddeutsche.de: Die Grünen waren nie eine pazifistische Partei.

Fücks: Die Linkspartei aber noch viel weniger. Das ist ja ein Witz, dass ehemalige SED-Leute sich jetzt als Pazifisten aufspielen.

sueddeutsche.de: Trotzdem tun sie das und sagen: Kein Krieg mit niemandem nirgendwo.

Fücks: Dahinter steckt der alte Anti-Imperialismus. Da geht es nicht gegen Krieg, sondern gegen die Nato und Amerika.

sueddeutsche.de: Wie werden sich die Grünen künftig bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verhalten?

Fücks: Entscheidend ist das Völkerrecht. Ein Grenzfall war die Kosovo-Intervention 1999. Der Sache nach handelte es sich um die Verhinderung einer großangelegten ethnischen Säuberung. Das war völkerrechtlich geboten. Zugleich blockierte Russland einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrates. Wir standen also vor dem Dilemma einer humanitären Intervention ohne UN-Mandat. Das darf keinesfalls zur Regel werden. Wir sollten aber offensiv vertreten, dass die Bundesrepublik und die Europäische Union eine internationale Ordnungsaufgabe zu erfüllen haben. Man kann nicht einerseits den amerikanischen Unilateralismus kritisieren und gleichzeitig nicht bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.

sueddeutsche.de: Ist es denkbar, dass der neue US-Präsident Barack Obama sagt: "Kommt mit in den Irak!" - und die Grünen müssen folgen?

Fücks: Kampfeinsätze im Irak sehe ich nicht auf uns zukommen. Aber sehr wohl ein stärkeres Engagement, was den zivilen Aufbau des Irak betrifft, einschließlich der Polizeiausbildung. Das ist die eigentliche Stärke der EU. Und da wird es zu Recht Erwartungen an uns geben. Ein stabiler und halbwegs demokratischer Irak liegt übrigens auch in unserem eigenen Interesse.

sueddeutsche.de: Einfach nur noch Nein sagen beim Thema Irak geht jetzt also auch nicht mehr.

Fücks: Es kommt darauf an, wozu. Man darf nur nicht den Fehler machen, dass man aus dem begründeten Nein gegenüber der amerikanischen Intervention ableitet, dass wir uns nie im Irak engagieren werden. Aber noch mal: Es geht dabei nicht um Kampftruppen.

sueddeutsche.de: In Südafghanistan würde es um Kampftruppen gehen.

Fücks: Wir sind schon mit Kampftruppen zum Schutz des zivilen Aufbaus im Norden und sollten diesen Job so gut wie möglich erledigen. Hier gibt es noch viel zu tun. Wenn wir einen Strategiewechsel für Afghanistan fordern, der den Schwerpunkt auf den zivilen Aufbau legt, dann müssen wir auch bereit sein zu liefern.

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