Grünen-Parteitag:Waffen liefern, nicht liefern, liefern, nicht liefern...

Bundesparteitag der Grünen

Wohin steuern die Grünen in der Außenpolitik? Darüber wird beim Parteitag in Hamburg diskutiert.

(Foto: dpa)

Gut 15 Jahre nach dem historischen Kosovo-Beschluss debattieren die Grünen auf dem Parteitag in Hamburg wieder über außenpolitische Grundsätze. Aber egal, wie sie sich positionieren: Die Partei läuft Gefahr, in die Handlungsunfähigkeit zu steuern.

Von Thorsten Denkler, Hamburg

Die Halle kocht. Buh-Rufe und Trillerpfeifen. Die Frontleute der Grünen werden als "Kriegshetzer" und "Heuchler" beschimpft. Ein Farbbeutel fliegt und landet am rechten Ohr von Joschka Fischer. Riss im Trommelfell.

Bielefeld im Mai 1999. Die Grünen ringen um ihren Kurs zu einem Militäreinsatz im Kosovo. Am Ende steht eine schmerzvolle Häutung. Der Parteitag gibt der frisch in die Bundesregierung gewählten Parteispitze die nötige Handlungsfreiheit. Und billigt damit die von der Luftwaffe geflogenen Angriffe gegen Stellungen der Serben. Ohne den Kosovo hätten die Grünen womöglich nie dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zugestimmt.

Sporthalle Hamburg, 15 Jahre später. Die Grünen regieren seit neun Jahren nicht mehr. Wieder steht auf einem Bundesparteitag das Thema Krieg und Frieden auf der Tagesordnung. Es ist der brutale Krieg, den die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gegen die Bürger im Irak und Syrien führt. Enthauptungen, Vergewaltigungen, archaische Gewalt. Im Norden des Irak kämpfen Kurden mit großen Verlusten gegen den IS. Sie sind womöglich die einzigen, die den IS überhaupt noch besiegen können.

Gar die Bundeswehr schicken?

Die Grünen suchen eine Haltung dazu. Waffen liefern? Im Bundestag haben die Grünen mehrheitlich nicht zustimmen wollen. Die Entscheidung bleibt aber umstritten. Gar die Bundeswehr in den Irak schicken? Nur wenige Grüne haben sich dafür offen gezeigt. Oder doch lieber komplette militärische Zurückhaltung?

Mit dem Leitantrag soll den Vereinten Nationen jede Entscheidungsgewalt übertagen werden. De facto eine Haltung, die die Grünen davor schützt, sich entscheiden zu müssen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist mal wieder blockiert.

Aber selbst wenn die Bundesregierung überraschenderweise ein UN-Mandat für einen Militäreinsatz gegen den IS erreichen würde: Es fehlt eine klare Linie, wie sich die Grünen dann eine deutsche Beteiligung vorstellen würden.

Vorlagen widersprechen sich deutlich

Sollen deutsche Soldaten in den Kampfeinsatz geschickt werden? Oder sollen nur Minenräumer und Sanitäter geschickt werden? (Wobei dann die Frage wäre, wer diese absichert.) Oder bedanken sich die Grünen brav bei den Vereinten Nationen und der Bundesregierung für so ein Mandat, verweigern sich aber jeder deutschen Beteiligung? Ein Beschluss des Parteitags zum Thema "Europäische Friedensordnung" soll Antworten geben. Doch schon die Vorlagen widersprechen sich zum Teil deutlich.

Drei Optionen stehen den Grünen zur Auswahl, sollte es etwa zu einem unwahrscheinlichen Mandat der Vereinten Nationen kommen:

  • Eine deutsche Beteiligung wird geprüft, so würde der Bundesvorstand das gerne formulieren.
  • In anderen Anträgen wird eine Beteiligung abgelehnt oder ...
  • ... nur als vorstellbar angesehen, wenn deutsche Bodentruppen ausgeschlossen sind.

Wieder Andere - und das ist die vierte Option - können sich eine deutsche Beteiligung sogar gänzlich ohne UN-Mandat vorstellen.

Da ist also alles dabei. Und wie steht es mit Waffenliegerungen? Dafür braucht es kein UN-Mandat. Parteichef Cem Özdemir reizt die Grenzen der Grünen da gerne aus. In der Bundestagsfraktion gehört er zur Minderheit, die Waffenlieferungen an die Kurden für geradezu notwendig halten.

Özdemirs Besuch im Irak

Er war kürzlich im Irak, zusammen mit dem früheren UN-Chef in Kabul, Tom Koenigs, und der Grüne-Jugend-Chefin Theresa Kalmer. Sie haben ihre Eindrücke in einem Papier verarbeitet und daraus politische Forderungen abgeleitet.

Natürlich, es müsse eine humanitäre Offensive geben. Militärisch aber gehen die drei weiter als die Bundestagsfraktion. "Nach den Waffenlieferungen müssen die Peshmerga-KämpferInnen an den Waffen in größerem Umfang ausgebildet und militärtaktisch geschult werden. Dafür ist mehr Bundeswehrpersonal von Nöten", schreiben sie etwa. Was unterstreicht, wie wenig sie vom Nein der Fraktion halten.

Eine militärische Option versteckt sich auch in diesem Satz: "Deutschland muss sich für internationale Schutzzonen einsetzen, damit bedrohten Minderheiten, wie z.B. die Jesidinnen und Jesiden Schutz geboten werden kann." Auch so eine Schutzzone müsste mit Soldaten abgesichert werden.

Folgenreich aber wäre vor allem diese Forderung: "Die Menschen im Sindschar-Gebirge müssen von der ISIS-Belagerung befreit werden. Dafür müssen die kurdischen Kämpfer in die Lage versetzt werden."

Das kann nur bedeuten: Waffen

Sie in die Lage versetzen, das kann nur bedeuten, ihnen die dafür zumindest die nötigen schweren Waffen zu Verfügung zu stellen. Wenn nicht sogar Soldaten zu schicken.

Im dem Leitantrag zur "Europäischen Friedensordnung" finden sich diese Forderungen so konkret nicht wieder. Aber dort, wo die Formulierungen eher in Richtung Özdemir gehen, werden sie auch gleich wieder strittig gestellt.

Der Bundesvorschlag präferiert die Formulierung, dass der Parteitag das Nein der Fraktion zu Waffenlieferungen begrüße, allerdings "respektieren (wir) jedoch auch die Gewissensfreiheit der Abgeordneten, die zu einer anderen Einschätzung gelangt sind".

Die alte Haut von vor 1999

In anderen Versionen wird nur noch das Nein aus unterschiedlichen Gründen begrüßt. Die Respekt-Klausel aber taucht nicht auf.

Der Punkt ist: Wer schon zu Waffenlieferungen Nein sagt, wird kaum deutsche Soldaten in einen Krieg schicken, auch wenn es noch so gerechtfertigt erscheint.

Nach Bielefeld 1999 laufen die Grünen Gefahr, sich programmatisch in die außenpolitische Handlungsunfähigkeit zu manövrieren. Es könnte erneut zu einer Häutung kommen. Aber vielleicht ist das auch das falsche Wort. Womöglich sind die Grünen auch dabei, sich ihre alte Haut von vor 1999 wieder überzustreifen. Das wäre ein Rückschritt. Die alte Haut mag sich gut und bequem anfühlen. Aber für eine bequeme Haltung werden die Grünen nicht gewählt.

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