Grünen-Parteitag:Linke bringt die Grünen durcheinander

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Eine wieder aufgeflammte Diskussion über Rot-Rot-Grün kommt den Grünen auf ihrem Parteitag und im Wahlkampf höchst ungelegen.

Daniel Brössler

Für das Wochenende haben sich die Grünen etwas vorgenommen: Sie wollen "optisch und physisch" in den Wahlkampf starten. Die Formulierung stammt von Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, die damit sagen will, dass es schöne Fernsehbilder geben wird aus dem Berliner Velodrom, wo die Grünen von Freitagabend bis Sonntag ihren 30. Parteitag veranstalten.

Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick plädierte für Rot-Rot-Grün auf dem Parteitag. Die Reaktion auf Schicks Vorschlag glich einem Gewitter. Später sagte Schick, er sei missverstanden worden. (Foto: Foto: dpa)

Geplant ist die Verabschiedung eines Programms für die Bundestagswahl namens "Der grüne Neue Gesellschaftsvertrag" und der Beschluss eines Wahlaufrufes. Zwar lassen 1241 Änderungsanträge - auch für grüne Verhältnisse Rekord - langwierige Debatten über das Programm erwarten, der wahre Sprengstoff aber steckt im vierseitigen "Aufruf zur Bundestagswahl".

Das Papier ist Ergebnis eines mühevollen Kompromisses verschiedener grüner Köpfe und Strömungen. Vorausgegangen war eine schwere Schlappe für die Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin, deren Überlegungen zu einer Ampel-Koalition mit SPD und FDP Aufruhr in Teilen der Basis ausgelöst hatte. Im Aufruf ist nun von einer Ampel nicht mehr die Rede, dafür von der Unmöglichkeit einer Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und FDP.

Die Erleichterung über den Text, der "auf einem breiten Konsens fußt", wie Künast es formuliert, war groß und hielt ungefähr bis Anfang der Woche. Als die Spitzengrünen am Montag zur Sitzung des Parteirates zusammenkamen, hatten sie alle die Lektüre eines Papiers ihres Parteirats-Kollegen Gerhard Schick hinter sich. Unter der Überschrift "Nötig wäre eine ökologisch-soziale Koalition" beschreibt der Finanzexperte Schick, dass er "derzeit nur eine Konstellation für eine überzeugende Antwort auf die Wirtschaftskrise" sieht, nämlich Rot-Rot-Grün.

Die Reaktion im Parteirat glich einem Gewitter. Vorbei an den grünen Kernthemen gehe das Papier, monierte Spitzenkandidatin Künast und warnte vor neuerlicher Spaltung. Andere aus dem Realo-Lager wurden deutlicher, warfen Schick vor, er habe sich "vergaloppiert". Seine Überschrift, verteidigte sich Schick, sei doch im "Konjunktiv irrealis" gehalten.

Schick fühlt sich missverstanden, macht geltend, ihm gehe es vor allem darum, aufzuzeigen, dass trotz der Verantwortung von historischem Ausmaß die SPD "große Schwächen" in der Wirtschaftspolitik zeige und die "Linke sich gleichzeitig auf eine fundamental-oppositionelle Position zurückzieht". Die Grünen müssten sich nun auf Inhalte konzentrieren. Die Empörten konnte Schick dennoch kaum beschwichtigen. In der Fraktionssitzung am Dienstag stellte Künast gar klar, dass sie sich für eine rot-rot-grüne Aussage im Wahlkampf nicht einsetzen werde.

Quelle des Grolls der Reformer ist das Gefühl, der Parteilinken mit dem kategorischen Nein zu Jamaika schon weit entgegengekommen zu sein. "Ich bin stinksauer auf die rot-rot-grüne Initiative", sagt Daniel Mouratidis, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg, aus dem auch Schick kommt. Der Landesvorstand habe einen klaren Beschluss gefasst, auf Koalitionsaussagen zu verzichten, was auch von der Basis getragen werde. "Ein Lagerwahlkampf verprellt gerade im Südwesten viele Grünen-Wähler. Gerhard Schick spielt mit dem Feuer, wenn er an dieser Stelle Debatten im Alleingang aufmacht", warnt Mouratidis.

Auch der Chef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, bekennt: "Ich bin relativ erbost." Realitätsfern sei die Meinung, "man könnte mit einer zusammengezimmerten rechnerischen Mehrheit eine linke gesellschaftsverändernde Regierung aufbauen". Das Parteiratsmitglied fügt hinzu: "Wir brauchen einen gesellschaftlichen Aufbruch. Dieser wird nicht von der Linkspartei repräsentiert." Das zeige auch die Erfahrung in Berlin, wo die Linkspartei mitregiert.

Nun ist die Parteiführung damit beschäftigt, den Nein-zu-Jamaika-Kompromiss zu retten. Höchstens kleinere Formulierungen bei der Beurteilung von SPD und Linkspartei sollen noch hinzugefügt werden. Nachdrücklich verbreitet Künast den Appell, "die Partei im Ganzen im Blick zu haben".

Nach dem Gerangel um ein ursprünglich gewünschtes und dann doch verworfenes Spitzenteam an der Seite von Künast und Trittin und der innerparteilichen Koalitionskrise ist die Grünen-Spitze nun um gnadenlosen Optimismus bemüht.

Parteichef Cem Özdemir versichert, die ganze Partei werde "leidenschaftlich in den Wahlkampf ziehen" und wertet die vielen Änderungsanträge als "Zeichen der Lebendigkeit". In der Tat dürften Streitpunkte wie Kindergrundsicherung oder Höhe des Arbeitslosengeldes II den Parteitag zwar beschäftigen, aber nicht wirklich bestimmen. Wohl, Wehe und Außenwirkung werden sich am Koalitionskonflikt entscheiden.

© SZ vom 08.05.2009/job - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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