Grünen Parteitag in Dresden:Strippenzieher hinter grünen Vorhängen

Eine abgestrafte Vorsitzende und ein entschärfter Radikaler - Wege zur Selbsfindung auf dem Grünen-Parteitag.

Von Reymer Klüver

(SZ vom 1. Dezember 2003) Dresden, 30. November - Wie hat sie gezittert. Gebangt. Alle Selbstbeherrschung nimmt sie nun zusammen, stürmt im Laufschritt die paar Stufen zum Podest hinauf, zum mit grünen Stoffbahnen ausgeschlagenen Podium. Kommt in ihrem knöchellangen schwarzen Rock und den Schnürstiefeln fast aus der Bahn auf dem Weg zum Rednerpult, fängt sich, knipst ein Lächeln an für die Übertragungskamera.

Und alle im Saal sehen es auf den beiden Großleinwänden neben der Bühne, wie sie sich dazu zwingt. "Ich bitte euch", sagt sie, "um Unterstützung für die Kandidatur auf diesem Platz." Wenigstens auf diesem Platz.

Denn Angelika Beer hat es nicht geschafft, im ersten Anlauf Kandidatin ihrer Partei für das Europa-Parlament zu werden. Das Drama um ihre Person, das quälende Hin und Her der vergangenen Tage um eine allzu oft unbeholfen auftretende Bundesvorsitzende der Grünen, setzt sich fort auch an diesem Wochenende auf dem Bundesparteitag der Grünen in den Dresdener Messehallen.

Es ist ein Parteitag, auf dem zu studieren ist, wie erbarmungslos ehrlich es manchmal bei den Grünen zugeht, jedenfalls was die Beurteilung des eigenen Personals anbelangt. Und wie verschlungen die Wege werden, wenn auf solchen Versammlungen politische Positionen eingepflockt werden. Denn eigentlich haben die Delegierten die Einführung einer neuen Art der Vermögenssteuer beschlossen, ein Erfolg der Linken in der Partei, sollte man meinen.

Zugleich aber haben sie Formulierungen zugestimmt, die die Sache so verklausulieren, dass man am Ende glauben könnte, sie meinen das selbst nicht so ernst mit ihrer Forderung nach der so genannten Millionärssteuer. Was sich die Realos als Erfolg anrechnen.

"Hier bin ich, und hier stehe ich vor Euch"

Doch das liegt nun schon hinter den Delegierten, als es am Samstagnachmittag um die Posten im Europaparlament geht. Auf die Spitzenkandidatur hatte Angelika Beer schon verzichtet. Doch auch auf Platz drei (die geraden Plätze gehen bei den Grünen traditionell an Männer) wollen die Delegierten keine Kandidatin, die ihre Vorstellungsrede mit dem Satz eröffnet: "Hier bin ich, und hier stehe ich vor Euch."

Sie wählen lieber die biedere Schwäbin Heide Rühle, die bisherige Spitzenfrau der Grünen in Europa, die dezent darauf hingewiesen hatte, wer denn nun in den vergangenen vier Jahren für die Partei in Straßburg gerackert hat. Angelika Beer erhält von allen drei Bewerberinnen das schlechteste Ergebnis. Sie zieht gleich zurück und hofft offenbar, dass es für Platz fünf langt. Genauer gesagt, dass die Absprachen der Realo-Netzwerker auch wirklich halten.

Die hatten sich in der Nacht zuvor getroffen, allerdings auch die Linken, die mutierten Fundis. Die mussten verarbeiten, dass sie den sicher geglaubten Sieg in der Steuerfrage irgendwie doch noch verspielt hatten. Sie verabredeten sich nun, dass sie bei der Abstimmung über die Europakandidaten den Durchmarsch der Realos stoppen und mit Hiltrud Breyer eine Kandidatin durchsetzen müssten, die als die ihre gilt. Das war nichts anderes als eine Kampfansage an das Partei-Establishment, das sich seit Wochen für Beer eingesetzt hatte.

Kampfansage ans Partei-Establishment

Die Angehörigen des Realo-Netzwerkes dagegen waren am Freitagabend bei ihrem Treffen guter Dinge. Es gab keine Signale, dass Angelika Beer durchfallen könnte. Sie hatte zwar nicht viel mehr als eine brave Rede gehalten am Anfang des Parteitags.

Hatte alle aktuellen Punkte abgehakt, Sozialreformen, Vermögenssteuer, Türkei, und, ja, darauf hatten manche gewartet, sie hatte eine Art Entschuldigung für ihre Ausfälle gegen die Grünenkritiker von Attac über die Lippen gebracht. Angelika Beer erhielt für ihre abgelesenen Worte ostentativ Beifall, als wolle ihr der Parteitag kollektiv auf die schmalen Schultern klopfen und zuraunen: "Wird schon, Mädchen."

Rückhalt für den Vorstand

Damit war für die Netzwerker um den Alt-Realo Fritz Kuhn und den jungen Staatssekretär Matthias Berninger die Sache eigentlich klar. Auch Parteichef Reinhard Bütikofer teilte die Analyse. Blieb höchstens die Frage, wer sich denn nun auf Platz drei durchsetzte, die Vorsitzende oder Heide Rühle. Die hatte sich als Kandidatin des Südens positioniert, der einfach an der Reihe sei. Platz eins würde schließlich mit Rebecca Harms und damit mit einer Norddeutschen besetzt.

Selbst bei den Grünen kann man inzwischen im Namen des Regionalproporzes Stimmung machen. Doch auch für diese Frage hatten die Strippenzieher von der Realpolitikfraktion eine Lösung. Wer immer auf Platz drei nicht durchkommt, so der Deal, sollte auf Platz fünf an der Reihe sein. Fast wichtiger aber war den Strategen die Frage, wie sie es schaffen, übers Wochenende in den Medien klar zu machen, dass der Parteitag am Freitagabend kurz vor zehn Uhr abends eben nicht beschlossen hatte, was alle glauben.

Die vom Parteitag abgesegnete Vermögenssteuer werde nun wirklich nicht für die Unternehmen des Landes gelten. Denn erstens soll sie mit anderen Steuerarten verrechnet werden können. Und zweitens, ja schon auch Betriebsvermögen erfassen. Da hatten sich die Linken um Hans-Christian Ströbele und Jürgen Trittin durchgesetzt. Aber hatten die Delegierten nicht drittens Ströbele mit seinem radikaleren Antrag abblitzen lassen und vielmehr auf Drängen des Vorstands beschlossen, dass eine Substanzbesteuerung bei Betrieben vermieden werden soll? Was letztlich bedeutet, dass Betriebe keine Vermögenssteuer bezahlen würden.

Um genau diese Frage hatten sie am Freitagabend gestritten, am Rednerpult, vor allem aber in den Gängen und hinter den grünen Stoffvorhängen der Bühne. Dorthin zog sich Parteichef Bütikofer mehrmals mit Ströbele zurück. Doch auch die zähen Unterhandlungen halfen nicht. Ströbele wollte nicht auf einen eigenen Antrag zur Vermögenssteuer inklusive der Betriebsbesteuerung verzichten. Genauso wenig wie Jürgen Trittin.

Die Bindungskraft der Strömungen lässt nach

Er hatte sich in den Tagen zuvor zum Co-Referenten Ströbeles in Sachen Vermögenssteuer aufgeschwungen, und nun saß er vorne rechts am Podium auf der Bühne, worauf er als Minister einen Anspruch hat, und schüttelte den Kopf. Hatten nicht die Delegierten einen Satz Ströbeles mit Beifallsstürmen quittiert? "Geprüft haben wir die Vermögenssteuer genug, lasst jetzt Taten folgen." Nein, die Linken wollten siegen und ihren eigenen Antrag durchbringen. Die Stimmung schien ihnen Recht zu geben. Doch die Bindungskraft der Strömungen lässt offenbar nach in der Partei.

Und sie hatten nicht mit Anja Hajduk gerechnet, der Haushaltsombudsfrau der Bundestagsfraktion, einer kleinen, unerschrockenen Person. Vom Vorstand geschickt, ging sie Freitagabend, wie ein Boxer bei jedem Schritt die Schultern wiegend, in einer rot-braunen Lederjacke ans Rednerpult, dankte dem "lieben Christian" und sagte doch nichts anderes, als dass Ströbele überzieht mit seinem Vorschlag. Anja Hajduk bekam Beifall. Überraschend viel. Mehr als zuvor Ströbele oder Trittin. Und so kam es, dass die Delegierten in schriftlicher Abstimmung gegen den Antrag der Linken und für den eigenen Vorstand stimmten.

Was sie am Samstagnachmittag nun auch bei der Liste tun. Um viertel nach fünf, 90 lange Minuten, nachdem sie sich zum ersten Mal den Delegierten als Kandidatin vorgestellt hat, reißt Angelika Beer die Arme hoch. Endlich. Im zweiten Wahlgang hat sie es geschafft auf Platz fünf - gegen die Kandidatin der Linken. Als erster gratuliert Reinhard Bütikofer, ihr Ko-Vorsitzender. Sie herzt und umarmt ihn, er lässt es lächelnd geschehen. Und keiner weiß, wer von beiden erleichterter ist in diesem Moment.

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