Grünen-Parteitag:Gekämpft, gelitten, gezürnt - und jetzt?

Grünen-Parteitag: Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir auf dem Parteitag der Grünen in Berlin.

Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir auf dem Parteitag der Grünen in Berlin.

(Foto: AFP)
  • Auf dem Parteitag der Grünen in Berlin geht es vor allem darum, die Wunden nach den abgebrochenen Sondierungsgesprächen zu lecken.
  • Erst in einem zweiten Schritt können und wollen die meisten der 800 anwesenden Parteimitglieder sich auf weitere vier Jahre Oppostion einstellen.
  • Vor allem auf die FDP wird an diesem Samstag laut geschimpft.

Von Stefan Braun, Berlin

Draußen regnet es Bindfäden und drinnen strahlt die Sonne. Herrlich grüne Baumwipfel schmücken die riesige Wand hinter der Bühne. Ende November soll der Sommer ausbrechen, wo die Grünen tagen, hier in der Arena, einer Berliner Veranstaltungshalle, Marke alte Fabrik, typisch Kreuzberg. Sonnenblumen, Vogelgezwitscher, Aufbruchsstimmung - das hatten sie sich für diesen Tag vorgenommen. Eigentlich hätten hier und heute 800 Delegierte über Koalitionsverhandlungen entscheiden sollen. Jamaika, das sollte was Historisches werden.

Allein: Es ist nichts geworden. Und jetzt? Regnet es wie aus Kübeln, während die Grünen alles versuchen, um ihrer Enttäuschung mit besonderer Leidenschaft zu begegnen.

Das beginnt damit, dass sich so gut wie alle erst mal selbst loben. Den Anfang macht Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Er bittet um Beifall für die vielen Helfer draußen wie in der eigenen Parteizentrale; er bedankt sich für die Geschlossenheit der letzten Wochen. Und er lässt die beiden Spitzenkandidaten hochleben.

Eine ganze Partei steht auf

Hunderte Tage hätten sie im Wahlkampf gekämpft und geredet, Hunderte Interviews hätten sie gegeben, Tausende Kilometer runtergerissen und das Hybrid-Auto zum Ersatz-Wohnzimmer gemacht. Kaum sei das vorbei gewesen, hätten sie "unter mörderischem Druck"verhandelt - und diesen Druck in "wahnsinnige Energie verwandelt". Deshalb seien für ihn die letzten Monate "ein Fest und eine Ehre" gewesen.

Es folgt minutenlanger, rauschender Applaus. Ein Applaus, der - je länger er andauert - immer stärker nicht nur Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt gilt. Eine ganze Partei, so müssen sich in diesem Augenblick die 800 Delegierten fühlen, ist jetzt aufgestanden - und will das gute Gefühl der letzten Wochen am liebsten nie mehr aus den Händen geben.

Nicht viel anders dürfte sich danach Özdemir selbst gefühlt haben. Allerdings gibt er dabei nicht mehr den grünen Revoluzzer, sondern noch mehr als in den vergangenen Monaten schon den grünen Staatsmann, der er gerne sein möchte. Von der Verantwortung Deutschlands spricht er viel, von den Sorgen der europäischen Nachbarn und dem Ärger, dass es trotz übergroßer Mehrheit der demokratischen Parteien im Bundestag nicht gelungen sei, eine stabile Mehrheit gegen die AfD zusammenzubringen.

Özdemir greift die FDP wieder und wieder an

Die Schuld sieht Özdemir allein bei den Freien Demokraten. Und die Worte, die er wählt, sind sehr pathetisch: "Wenn Christian Lindner Kompromisse als Demütigung beschreibt, dann fehlt es ihm an der Demut vor Aufgaben, die manchmal größer sind als man selbst." Die Grünen, so Özdemir weiter, hätten im Gegensatz dazu das Wichtigste verstanden: "Für uns gilt nicht die Parole, erst die Partei, dann das Land; bei uns ist es umgekehrt: Erst das Land, dann die Partei." So einen Satz hätten die Grünen vor kurzem eher belächelt als bejubelt. An diesem Samstag in Berlin aber gibt es dafür rauschenden Beifall.

Was auch daran liegen könnte, dass Özdemir die FDP wieder und wieder angreift und dabei fast nebenbei "die vielen starken Frauen der Grünen" als einen besonderen Schatz der Partei hervorhebt. Ein rhetorischer Winkelzug, der ihm viel Zustimmung sichert. Er könne es nicht mehr hören, wenn "Alpha-Männchen" Frauen die Schuld an Problemen geben würden. Gescheitert seien die Herren von der FDP schlicht an sich selber.

Lob gibt es von Özdemir für alle. Dabei fällt auf, wie laut er Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt preist - und wie er mit alten und neuen Konkurrenten umgeht. Bei der Aufzählung der 14 Mitglieder des Verhandlungsteams tauchen die Namen von Jürgen Trittin und Robert Habeck unter ferner liefen auf. Özdemir will deutlich machen, dass zum jetzigen Zeitpunkt immer noch er es ist, der die Reihenfolge vorgibt.

Sorge vor vier weiteren Jahren Opposition

Dazu verteidigt er die Linie, die man bei den Sondierungen vertreten habe. Ja, Jamaika hätte Verbesserungen gebracht, da gebe es keinerlei Zweifel. Beim Klimaschutz, beim Essensgeld für Schüler, für Start-up-Unternehmer. Özdemir weiß, dass es kritische Worte geben könnte. Denen will er schon in der ersten Stunde den Wind aus den Segeln nehmen. Zu wichtig ist ihm die neue Geschlossenheit, die will er auf keinen Fall riskieren. Jetzt komme es darauf an, "dass wir die Fahne derer tragen, die für Weltoffenheit und für Klimaschutz eintreten". So stürmisch der Applaus in diesem Augenblick ausfällt - spätestens an der Stelle schwingt die Sorge mit, dass das in weiteren vier Jahren Opposition ziemlich schwer werden könnte.

Nicht anders klingen Anton Hofreiter, Göring-Eckardt und die meisten anderen, die an diesem Tag auftreten. Alle spüren, wie gut es getan hat, im Team zu kämpfen. Und alle ahnen, dass vier Jahre als kleinste Fraktion im Bundestag blöd werden könnten. Umso lauter beschwört auch Hofreiter die Gemeinsamkeiten: "Es wäre ein historisches Versagen, wenn die letzte handlungsfähige progressive linke Partei in alte Streitereien zerfiele."

Und umso harscher attackieren er und alle anderen die Damen und Herren von den Freien Demokraten. Nichts von dem, was die so genannte neue FDP im Wahlkampf über sich selbst behauptet habe, sei richtig gewesen, heißt es bei Hofreiter. Christian Lindner sei es allein um Christian Lindner gegangen, erklärt Göring-Eckardt. Sie ruft alle dazu auf, künftig mehr um Wähler der Liberalen zu werben, die den Rechtsruck der FDP-Spitze in der Flüchtlings- und Europapolitik eben doch nicht mittragen würden.

Nachdenkliche Stimmen bleiben die Ausnahme

Und Winfried Kretschmann? Der attackiert das Bestreben der Liberalen, die Gesellschaft weiter zu polarisieren. Und stellt offen die Frage, wo es den politischen Liberalismus nun hintreibe. Ausgerechnet die, die eigentlich für Liberalität, Toleranz, Freiheit eintreten müssten, torpedierten Kompromisse, die eine Demokratie in Wahrheit ausmachten. "Rückgrat beweist der, der schwierige Kompromisse macht. Nicht der, der sagt: Ist mir alles egal, Hauptsache, mein eigener Laden ist zufrieden." Auch Kretschmann ist sauer. Er hat die Sorge, dass dieses Land tatsächlich auseinanderfallen könnte.

Die FDP ist der Grund für großen Zorn und Frust. Aber sie bringt die Grünen an diesem Samstag auch mehr denn je zusammen. Deshalb überrascht es nicht, dass selbstkritische Fragen in der Arena Ausnahmen bleiben. Dabei gibt es sie auf diesem Parteitag. Eine davon stellt Reinhart Bütikofer, der Europaparlamentarier. Er warnt in Berlin, dass es bei diesem Treffen nicht darum gehen dürfe, vor allem sich selbst zu loben. Wichtiger sei es, sich zu fragen, "ob wir Allianzen in die Gesellschaft hinein schmieden können oder uns einrichten im Wartesaal der politischen Macht". Bütikofer zählt zu den Rastlosen in der Politik, das zeigt er auch diesmal.

Habeck fordert die Partei auf, über die Zukunft nachzudenken

Robert Habeck, möglicher Parteichef der Zukunft, warnt angesichts "dramatischer Verschiebungen nach rechts" massiv davor, sich im Jetzt einzurichten. Auch er lobt den Zusammenhalt der letzten Wochen. Aber er fordert die Partei zugleich auf, sich nun erst recht zu überlegen, was die Veränderungen für die Grünen bedeuten. "Was und wie und wer wollen wir als Partei sein?" Diese Frage will er bis zum planmäßigen Wahlparteitag im Januar klären. Noch einer, der von seiner Partei gleich wieder etwas verlangt, statt nur die verwundeten und enttäuschten Seelen zu streicheln.

Und so gibt es durchaus Stimmen an diesem Tag, die Nachdenken einfordern. Ja, sie dürften in den nächsten Wochen noch lauter werden. Aber viele wollen sich darauf noch nicht richtig einlassen. Es ist eben alles andere als einfach, wenn man so nah am Regieren dran war und jetzt sehen muss, dass es wieder nicht klappt. Da fällt es den allermeisten schwer, schon jetzt über eine unangenehm offene Zukunft nachzudenken. Zu groß könnte das Loch werden, in das viele dann erst mal fallen werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: