Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin:Spitze ohne Doppel

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Es sind gute Zeiten für Jürgen Trittin: Während sich Renate Künast im Berliner Wahlkampf abmüht, kann sich ihr Co-Fraktionschef für seriöseste Ämter empfehlen. Lieblingsthemen: Marode Staatsfinanzen und Euro-Rettung. "Der Spiegel" sagt ihm gar Ambitionen aufs Finanzministerium nach. Das ist zwar nicht akut, aber immerhin lacht niemand darüber. Immer mehr wird der Ex-Umweltminister zur heimlichen Spitze der Grünen.

Michael Bauchmüller

Nein, Renate Künast kann leider nicht dabei sein, die kämpft wieder mal um jede Berliner Wählerstimme. Jürgen Trittin muss die Presse jetzt allein unterrichten, wie er auch schon die Sitzung allein geleitet hat, macht ja nichts. Feiner Anzug, die Hände vor dem Gürtel gefaltet, verschmitztes Lächeln: So präsentiert der Fraktionschef der Grünen eben jetzt ohne Co-Chefin Künast, was die Abgeordneten bei ihrer Klausur so alles diskutiert haben.

Die Doppelspitze der grünen Bundestagsfraktion: Renate Künast und Jürgen Trittin. Viele in der Fraktion erwarten, dass nach der Berlin-Wahl Trittins Einfluss steigen wird. (Foto: dpa)

Nichts, aber auch gar nichts davon sei banal gewesen. Lange debattierte die Fraktion über die Zukunft Europas. Sie sprach über die große Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Über die Zukunft der Demokratie. Über die innere Sicherheit in Zeiten des globalen Terrors. Und natürlich über Trittins neues Lieblingsthema, den bedachten Umgang mit den Staatsfinanzen. "Ich kann sagen, meine, unsere Fraktion arbeitet in diesem Herbst mit großer Freude", sagt Trittin. Von seiner eigenen Freude ganz zu schweigen.

Jürgen Trittin fungiert dieser Tage als der grüne Staatsträger schlechthin. Vor allem mit seinem Papier zur Konsolidierung der Staatsfinanzen konnte er sich zuletzt profilieren, und während die Regierungskoalition noch um ihre Haltung zum Euro ringt, stehen die Grünen wie eine Eins hinter der Rettung der Gemeinschaftswährung. "Wir sehen mit Sorge die Uneinigkeit im rechten Lager", sagt Trittin süffisant.

Künasts Schwäche stärkt Trittin

Der Spiegel hat ihm zu Beginn der Woche Ambitionen auf das Amt des Finanzministers nachgesagt, was weder zwingend noch ausgeschlossen ist - und auch nicht akut. Was aber für Trittin viel wichtiger ist: Kein Mensch hat darüber gelacht. Während Künast sich in Berlin abstrampelt, empfiehlt sich der Ex-Umweltminister für die seriösesten Ämter.

Das gemischte Doppel in den Führungsämtern zählt zu den elementaren Gepflogenheiten der Partei. Doch vieles deutet darauf hin, dass sich im Herbst 2011 die Gewichte im Fraktionsspitzen-Duo zu Künasts Ungunsten verändern. "Wenn der Wahlkampf nicht noch eine massive Wendung nimmt, geht sie beschädigt daraus hervor", sagt ein Fraktionskollege. Unwahrscheinlich zwar, dass sie den Posten der Fraktionschefin verliert, wenn der Vorstand im Oktober neu gewählt wird - zumal sich derzeit keine Frau aus dem Reformer-Lager für die Nachfolge aufdrängt. Nur würde Künasts Schwäche implizit Trittin als heimlichen Kopf der Grünen weiter stärken.

Damit droht der Partei vom Herbst an auch die gefürchtete Kandidatendebatte für die nächste Bundestagswahl. Auf ihrem Parteitag im November wollen die Grünen das Instrument einer Urabstimmung in ihre Satzung aufnehmen, es soll den Mitgliedern ermöglichen, auch über Personalien abzustimmen. Rein prophylaktisch wolle man dies einführen, heißt es in der Parteispitze, niemand denke dabei an die Kür eines Kanzlerkandidaten - die ohnehin nur dann in Frage komme, wenn es für die Grünen überhaupt Chancen auf eine Regierungsführung gäbe. Sollte es Neuwahlen schon vor 2013 geben, "dann sind wir bereit", sagt Trittin. Unwahrscheinlich sei dies ja nicht.

Diesen Samstag aber wird er erst einmal im Berliner Wahlkampf unterwegs sein. "Wir stehen alle hinter Renate", sagt Trittin. Und nach der Wahl? Solange ein Ziel erreichbar sei, spekuliere er nicht über die Folgen der Verfehlung, sagt er. "Das habe ich mir abgewöhnt."

© SZ vom 03.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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