Grüne zur Prostitution:Bürokraten im Bordell

Hansastraße

Straßenstrich in Deutschland: Demnächst nur mit Behördendokumenten?

(Foto: ddp)

Der Freier kommt mit Gesundheitszeugnis, die Prostituierte hat eine behördliche Bewilligung: Führende Grüne wollen die Regeln des Gewerbes verschärfen - und sehen sich dabei im Einklang mit der Union.

Von Roland Preuß

Für Freier könnte das Gespräch mit einer Prostituierten künftig den Charme eines Behördenaktes annehmen: Vor allen Intimitäten legt er ein aktuelles Gesundheitszeugnis aufs Bett, während die Dame Einblick in ihre Konzession gewährt. Erst dann schreitet man zur Tat.

Dieses abseitige Modell ist einer der jüngsten Vorschläge, um die Regeln für Prostitution zu verschärfen. Die Forderung, der Freier müsse ein "jeweils aktuelles ärztliches Zeugnis" vorzeigen - zusammen mit weiteren Auflagen - soll auf dem Parteitag Ende April ins Wahlprogramm der Grünen aufgenommen werden. Den Antrag unterstützen immerhin die Grünen-Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg und Bayern, Thekla Walker und Dieter Janecek, sowie eine Reihe von Parteifreunden im Südwesten.

Der Vorstoß illustriert unabhängig von seinen Erfolgsaussichten vor allem eines: die Grünen verabschieden sich zunehmend vom rot-grünen Prostitutionsgesetz, das vor gut zehn Jahren eine weitgehende Legalisierung des Gewerbes einleitete. Schon im vorliegenden Entwurf für das Wahlprogramm bekennt die Partei, trotz der grundsätzlich erwünschten Legalisierung auf "Einschränkungen und restriktive Maßnahmen" zu setzen; gegen Freier, die Zwangsprostituierte besuchen, soll das Strafrecht helfen.

Damit ergeben sich sogar merkwürdige Parallelen zur Union, die dem Gewerbe seit jeher mit mehr Strafen zu Leibe rücken wollte anstatt mit einer Liberalisierung. Sowohl der Grünen-Antrag als auch Unions-Innenpolitiker fordern, dass sich Prostituierte regelmäßig beim Arzt untersuchen lassen, Bordellbetreiber müssten eine Zulassung einholen und ein Mindestalter für Prostituierte von 21 Jahren kommen.

Die Grünen-Landeschefin Walker geht noch darüber hinaus und verlangt eine Meldepflicht und Zulassungen für Prostituierte sowie einen Kondomzwang. Nur in Grundsatzreden unterscheiden sich Grüne und Union noch klar: Während die Union die rot-grüne Legalisierung als Teufelszeug ansieht, weil es Zuhälter gestärkt habe und der Polizei Razzien in Bordellen erschwere, loben die Grünen in ihrem Programm, es habe das Sexgewerbe "entkriminalisiert und die Doppelmoral beendet".

Zusätzlichen Schwung verleiht der Debatte eine Studie der Europäischen Union, welche die EU-Kommissarin Cecilia Malmström am vergangenen Montag vorgestellt hat. Demnach registrierten die Sicherheitsbehörden der EU-Länder zwischen 2008 und 2010 mehr als 23 000 Opfer von Menschenhandel, gut zwei Drittel von ihnen waren zur Prostitution gezwungen worden. Die EU hatte 2011 eine Richtlinie verabschiedet, welche schärfere Strafen und neue Tatbestände beim Menschenhandel vorsieht. 22 der 27 EU-Staaten haben die Richtlinie bis zum Ende der Frist Anfang April jedoch nicht voll umgesetzt, darunter Deutschland.

"Die Billigprostitution nimmt zu"

Ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums liegt zwar längst vor, die Union wollte die Novelle jedoch nutzen, um schärfere Regeln gegen Prostitution durchzusetzen. Das aber lehnen die Liberalen ab. Der Gesetzentwurf ist deshalb blockiert, eine Neuregulierung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung steht weiter aus. Die bestehenden Gesetze reichten aus, hieß es aus der FDP-Fraktion. Da stehen sich selbst CSU und Grüne näher.

Parteiübergreifend ist lediglich die allgemeine Enttäuschung über die Wirkung des rot-grünen Prostitutionsgesetzes von 2002. Seitdem gilt käuflicher Sex nicht mehr als sittenwidrig, Prostituierte können legal arbeiten, ihren Lohn im Streitfall einklagen und leichter in die Sozialversicherung kommen. Das kriminelle Milieu rund um Straßenstrich und Bordelle sollte so ausgetrocknet und die Arbeitsbedingungen der Sex-Dienstleister verbessert werden. Doch all dies wurde nach Einschätzung von Polizei und Beratungsstellen kaum erreicht.

Stattdessen sprechen Praktiker von einer neuen Ausbeutung und einem Notstand. "Die Billigprostitution nimmt zu", sagt Walker. Inwieweit dies mit dem Prostitutionsgesetz zu tun hat, ist allerdings umstritten. Fest steht allerdings, dass die EU-Erweiterung nach Osteuropa in den Jahren 2004 und 2007 die Lage völlig verändert hat. Junge Frauen aus Osteuropa wandern seitdem in die Bordelle in Deutschland und lassen die Preise verfallen.

Angeblich sind inzwischen 80 Prozent der Prostituierten in Deutschland Ausländerinnen, die meisten davon aus Rumänien und Bulgarien; die Länder gehören seit 2007 zur EU. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. "Faktisch ist das oft Zwangsprostitution", ist Walker überzeugt. Deshalb müssten wieder strengere Regeln eingeführt werden.

Kriminologen wie Monika Frommel warnen dagegen vor neuen Sanktionen. "Schärfere Strafen bringen gar nichts", sagt die Kieler Professorin. Mit Menschenhandel hänge die Legalisierung der Prostitution nicht zusammen. "In der Regel sind die Frauen freiwillig dort, aber unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen." Wer da mit dem Strafgesetzbuch komme, kriminalisiere Prostituierte und lasse damit wieder ein Milieu wachsen, in dem allerlei Straftaten stattfinden und Kriminelle viel Geld verdienen können. So wie vor der Legalisierung des Gewerbes.

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