Grüne:Zur Not machen es die Grünen auch mit der FDP

Die Partei richtet sich auf Koalitionsgespräche mit Union und FDP ein. Dabei galten die Liberalen lange als Urfeind der Grünen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Michael Kellner will gerade noch einmal ausholen, den Endspurt im Grünen-Wahlkampf preisen, da nähert sich ein älterer Herr von links. "Wenn ihr jetzt in die Koalition geht", sagt er, "dann müsst ihr aber was gegen den ganzen Plastikmüll tun." So hört sich das plötzlich an, bei der Wahlparty der Grünen. "Jetzt führen wir erst einmal die Gespräche", sagt Kellner knapp. Kellner war der Wahlkampfchef der Grünen und zählt mithin zu denen, die noch bis zum Sonntagnachmittag alles befürchten mussten, inklusive einer heftigen Schlappe. "Einen Endspurt wie diesmal habe ich noch nie erlebt", sagt Kellner. "Da haben wir eine Menge investiert."

So viel macht das aus: Noch kurz vor der Wahl schwankten die Grünen irgendwo zwischen sechs und acht Prozent. Hinter den Kulissen wetzten parteiinterne Kritiker der Grünen-Spitze schon die Messer, warnten vor "massiven Verwerfungen", sollte die Partei hinter die Ergebnisse von 2013 zurückfallen. Doch jetzt ist da ein neues Wort, es hallt durch das "Vollgutlager", jenen leicht morbiden Industriebau, den die Grünen für die Wahlparty gewählt haben: "Verantwortung".

"Wir haben ein Wahlergebnis, mit dem wir jetzt umgehen müssen", sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. "Das heißt Verantwortung." Kurz darauf ihr Kandidaten-Kollege Cem Özdemir: "Wir werden unseren Teil der Verantwortung übernehmen." Und das heißt: Koalitionsgespräche mit Union und FDP. Keiner stellt das an diesem Abend infrage. Halt, war da nicht was? Stimmt, bis vor wenigen Jahren waren die Liberalen der Urfeind der Grünen, das macht die Sache nicht leichter.

"Wir werden eine Reihe von grünen Kernthemen in den Vertrag hereinverhandeln müssen", sagt eine Spitzen-Grüne. "Sonst läuft es nicht." Özdemir selbst nennt dafür am Wahlabend schon erste Bedingungen, sie decken sich ziemlich mit seinen Wahlkampfreden. "Wir können nicht in eine Regierung gehen, ohne dass es eine klare Vorfahrt für den Klimaschutz gibt", sagt er. Auch für bessere Integration wolle die Partei antreten. "Uns geht es nicht ums Regieren um des Regierens willen", versichert der Parteichef.

Auch die Parteispitze ist erleichtert, Konflikte bleiben hinter den Kulissen

Andererseits spüren manche in der Partei schon die "staatspolitische Verantwortung": Wenn die SPD nun nicht mehr mit der Union koalieren will, gleichzeitig aber Jamaika am Widerstand der Grünen scheiterte - dann ginge die Partei mit einer schweren Hypothek in die Opposition oder gar in Neuwahlen. So manchem schwant, dass sich daraus ein unguter Druck ergeben könnte, in eine Koalition einzuwilligen, selbst gegen die eigenen Überzeugungen. Einstweilen aber gibt es einen neuen Feind für die Grünen: die AfD. Das schweißt zusammen gegen rechts - womöglich auch mit dem Erzfeind FDP. Ursprünglich hatten die Grünen weit höhere Ziele gehabt, zweistellig sollte das Ergebnis werden. Doch dann begann das Jahr mit der unseligen Debatte über den Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht und setzte sich mit einer Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen fort.

Erst in den letzten Wochen vor der Wahl schien sich die Stimmung zugunsten der Grünen zu ändern. Öko-Themen wurden wichtiger, auch wegen der Katastrophenbilder aus aller Welt. "Dieser Wahlkampf war ganz anders als der 2013. Damals dominierten andere Themen. Diesmal ging es wirklich um unsere grünen Themen, um Klima, Landwirtschaft, Verkehr", sagt Spitzenfrau Göring-Eckardt. "Das hat uns geholfen."

Auch die Parteispitze darf erleichtert sein, denn die Konflikte bleiben damit erst einmal hinter den Kulissen. Vor allem im linken Flügel gärt es. Schon jetzt werfen viele in der Partei der Spitze vor, sie habe das Profil der Grünen verwässert. Einen klaren Realo-Wahlkampf hatten Özdemir und Göring-Eckardt gemacht: wenig radikal, sehr offen für eine Koalition mit Union und FDP. Nicht ohne Grund flocht Özdemir in Wahlkampfreden gern ein Lob an die Polizei ein, die "diese Demokratie erst möglich macht", verteidigte die Kanzlerin gegen rechte Mobs. Die Parteilinke ließ es geschehen. Bei einem nur wenig schwächeren Ergebnis als gut neun Prozent wäre diese Debatte losgebrochen.

Göring-Eckardt kündigt "schwierige Gespräche" an

Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Partei und ihren Realpolitikern in den Bundesländern, allen voran Winfried Kretschmann. Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg ließ mehrmals durchblicken, wie wenig er etwa vom Verbot von Verbrennungsmotoren hält, einem der Kernthemen im Grünen-Wahlkampf. Der Glaubwürdigkeit der Partei half das nicht. Kretschmann, so argumentierten seine Kritiker, habe die Profilschwäche noch verschärft. Doch am Rande von Sondierungs- oder Koalitionsgesprächen werden die Grünen diese Konflikte kaum austragen.

Die Grünen lassen keinen Zweifel daran, dass sie zu solchen Gesprächen bereit sind. Auch nach der letzten Bundestagswahl hatte es solche Gespräche mit der Union gegeben, aber damals scheiterten sie - und es sah so aus, als hätten die Grünen die schwarz-grüne Koalition nicht gewollt. So soll es nicht noch einmal kommen. "Es werden komplizierte Gespräche, es werden schwierige Gespräche", sagt Göring-Eckardt noch am Wahlabend. "Aber wir sind eben keine einfache Partei."

Und mit diesem Ergebnis werden das diesmal die anderen spüren, nicht sie selbst.

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