Grüne:Wer das nicht feiert, müsste verrückt sein

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Nach dem Triumph in Baden-Württemberg herrscht pure Freude bei den Grünen. Auch in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt könnten sie bald mitregieren. Und da zeigen sich schnell die Probleme.

Von Stefan Braun, Berlin

Wie die Damen und Herren doch zufrieden mit sich sind an diesem Montag. Es ist Mittag in Berlin, und die Grünen geben sich die Ehre in ihrer Parteizentrale. Insbesondere die Co-Vorsitzende Simone Peter lacht, als hätten sie gerade die Bundestagswahl gewonnen. Das aber haben sie noch lange nicht geschafft. Auch wenn sie das in diesem Moment wahrscheinlich für möglich halten. Zu schön wirkt auf den ersten Blick dieser Wahlabend.

Und richtig ist ja auch, dass ihr schwäbischer Vormann Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg zum zweiten Mal Historisches erreicht hat. Die Grünen vor der CDU - das hätten vor wenigen Monaten nicht mal unverbesserliche Optimisten vorhersagen können, ohne sich lächerlich zu machen. Am Sonntag ist es gleichwohl geschehen. Wer das nicht feiern würde, der müsste verrückt sein.

Zumal auch die Grünen in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt eine Chance aufs Regieren haben. Beide sind in eine Lage geraten, die sie nicht nur in den Landtag bringt, sondern bald auch auf die Regierungsbänke befördern könnte. Wer wollte da nicht mal Probleme ausblenden?

Also gibt es am Montag Blumen für die Wahlsieger und lobende Sätze für alle. Der Co-Vorsitzende Cem Özdemir sagte, im Südwesten habe Kretschmann mit seinem "wertegeleiteten Pragmatismus" einen Riesenerfolg errungen. Und seine Kollegin Peter betont, in Baden-Württemberg hätten die Grünen bewiesen, dass sie mit "klassischen grünen Themen" punkten. Im Land sei die Umweltpolitik ganz oben gestanden; außerdem seien die Grünen "die sozialökologische Kraft, die Bildung und Gerechtigkeit in den Vordergrund" gestellt habe. In diesem Moment schauen Özdemir und Kretschmann zwar ein wenig erstaunt drein, weil sie sich vor allem an die Flüchtlingskrise als dem entscheidenden Thema erinnern. Aber warum soll die Parteivorsitzende nicht ihr eigenes Bild vom Erfolg zeichnen. Man will doch heute nicht über Kleinigkeiten streiten.

Der Kretschmann-Sieg lässt Grünen-Chefin Simone Peter jubeln - doch zwischen ihr und dem Ministerpräsidenten hatte es zuletzt Dissens gegeben. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Es ist halt auch zu schön gewesen am Sonntag. Als das Ergebnis aus Stuttgart verkündet wurde, konnte man eine jubelnde Simone Peter erleben. Kretschmann Superstar - es war gar nicht mehr anders zu denken. Was beim zweiten Blick freilich erstaunlich anmutet. Jenseits der im Wahlkampf üblichen Solidaritätsadressen hatte es zwischen Peter und Kretschmann in der Flüchtlingskrise erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben. Kretschmanns Kurs, seine Abwägungen bei den Asylgesetzen, seine Bereitschaft, für einen Erfolg an anderer Stelle auch einer Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer zuzustimmen, war von Peter stets kritisiert worden. Wer ihn hörte und danach ihrem Auftritt folgte, bekam nur einen Eindruck: dass ihr sein Pragmatismus aufstieß.

Aus diesem Grund wäre es am Montag natürlich interessant gewesen, wenn die Grünen öffentlich und intern die Frage diskutiert hätten, wie sie jenseits ihrer Freude mit der neuen Lage umgehen werden. Einer Lage, die noch mehr Pragmatismus verlangt als bisher schon. Trotz seines Erfolgs wird Kretschmann einen neuen Koalitionspartner brauchen. Das bedeutet: Er wird weitere Kompromisse machen müssen, um an der Macht zu bleiben. Sind die Grünen, auch die in der Hauptstadt, darauf vorbereitet? Haben sie darüber gesprochen? Wie man hört, ist genau das, was die Grünen in Stuttgart, Mainz und Magdeburg bald besonders herausfordert, kaum angesprochen worden. "Man hat sich lieber gefreut, als Probleme zu wälzen", heißt es von einem Teilnehmer, der dabei war. Das lässt nicht nur für Kretschmann neue Konflikte erahnen. Auch die Grünen in den beiden anderen Ländern stehen vor schwierigen Debatten, in Sachsen-Anhalt mit CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, in Rheinland-Pfalz mit der FDP.

Ein Grund für den gebremsten Blick in die Zukunft könnte freilich darin liegen, dass im Fall Kretschmanns seine Person ein besonderes Pfund war. Eine Debatte über Personen und Personalisierungen im Wahlkampf mag am Montag - jenseits eines Lobs für Kretschmann - niemand aufmachen. Zu groß wäre die Gefahr, damit den hart erkämpften, kalten Frieden innerhalb des Berliner Führungsquartetts zu gefährden. Also reden sie lieber über die Alternative für Deutschland. Hier sind die Fronten klar, ist die Einigkeit am größten. Peter kündigt einen entschlossenen Kampf an, mit "klarer Kante". Kretschmann will in Stuttgart schnell eine stabile Regierung bilden, um den Rechtspopulisten geschlossen zu begegnen.

Wie wichtig das bald sein wird, davon kann vor allem Claudia Dalbert berichten. Die Spitzenkandidatin von Sachsen-Anhalt erzählt, wie die Grünen im Wahlkampf attackiert wurden, mit Drohungen, Angriffen, Schmierereien auf den eigenen Haustüren. "Die Welt ist nicht mehr so wie sie war", sagt Dalbert noch. Ihr Lächeln ist da schon lange verschwunden.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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