Grüne nach der Bundestagswahl:Partei ohne Plan

Klausurtagung des Grünen-Bundesvorstandes

Simone Peter und Cem Özdemir bei der Klausurtagung der Grünen.

(Foto: dpa)

Die Grünen haben ausgerechnet bei ihrem Kernthema - der Energiewende - kein Konzept, hinter dem alle stehen. Die Ökopartei ist auf der Suche nach sich selbst. Unklar ist, wer die Richtung vorgeben wird.

Von Stefan Braun und Michael Bauchmüller

Eigentlich ist alles klar bei den Grünen zum Start ins neue Jahr. Die wichtigsten Ämter sind verteilt, die Sprecherposten in der Bundestagsfraktion ebenso. Außerdem wissen alle in der Partei- und der Fraktionsspitze, dass man auch die nächsten vier Jahre in der Opposition sitzt. Und weil die meisten das schon seit acht Jahren kennen, müsste alles bereit sein für eine schlagkräftige Reaktion auf die schwarz-rote Regierung.

Doch was auf den ersten Blick stabil und klar erscheinen mag, entpuppt sich beim zweiten Blick als ziemlich brüchige Fassade. Hinter den Ämter- und Aufgabenverteilungen schlummern viele offene Fragen. Inhaltlich wie personell. Wer wird künftig die Richtung vorgeben? Die Partei mit Simone Peter und Cem Özdemir an der Spitze? Die Fraktionsführung mit Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter? Oder die Vertreter aus den Ländern, weil sie in zahlreichen Landesregierungen sitzen? Daran schließt sich sofort die Frage an: Kann programmatisch alles so bleiben wie es ist - jetzt, da Jürgen Trittins Ausflüge in die Steuer- und Finanzpolitik in den Hintergrund rücken? Peter sagt, die Partei werde sich wieder auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, also auf die Energie- und die Klimapolitik. Geht das so einfach?

Was aus der Kernkompetenz geworden ist, hat ausgerechnet Peter am Wochenende vorgemacht. Kaum war der Vorschlag von Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) für einen milliardenschweren Energiewende-Kredit in der Welt, da polterte die Grünen-Chefin los. Statt sich um die echten Baustellen der Energiewende zu kümmern, verschiebe Aigner die Kosten auf andere, befand Peter. "Das ist absurd und vertagt nur ein Problem, das man heute anpacken muss." Peter hat durchaus Ahnung von Energiepolitik, sie hat jahrelang für die Ökostrom-Branche lobbyiert.

Ahnung hat allerdings auch Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionschef, zuständig für - genau - Energie. Keine Stunde nach Peter meldete er sich zu Wort. Der Vorschlag aus dem Hause Aigner, so wertete er das, sei "ein sinnvoller Debattenbeitrag". Es sei "richtig, darüber nachzudenken". Peter versus Krischer - das zeigte nur eine kleine Reibung auf, aber eine mit Symbolkraft: Ausgerechnet beim ökologischen Umbau der Wirtschaft, ihrem Kernthema schlechthin, haben die Grünen derzeit keinen Plan, der ausgereift ist.

Unbequemen Fragen nicht mehr ausweichen

Woran das liegt? Darüber rätselt auch die Partei. Zu lange, sagt ein Spitzengrüner, habe man sich nur um die Verteidigung der Energiewende bemüht. "Die Debatte war zuletzt allein auf Kosten fokussiert. Damit sind wir ein Stück weit in die Defensive geraten." Andere verweisen auf Jürgen Trittin. Der einstige Umweltminister sei lange Zeit unangefochtenes Sprachrohr für große Fragen gewesen. Und jetzt, da er nicht mehr Chef der Bundestagsfraktion und Machtzentrum sei, herrsche ein Vakuum, das noch niemand ausfülle.

Die Bundestagsfraktion ist sich dessen immerhin bewusst - und hat das Thema Energiewende in den Mittelpunkt ihrer dreitägigen Klausur in Weimar gestellt, die an diesem Mittwoch beginnt. Konflikte, vielleicht sogar Streit sind da keineswegs ausgeschlossen. Am Donnerstag wird dort Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck ein Konzept vortragen und dabei auch Reformvorschläge für jenes Ökostrom-Gesetz formulieren, das die Grünen bislang so vehement verteidigen. "Wir müssen schnell eigene Vorschläge vorlegen", sagt Habeck. "Die Grünen müssen zeigen, wie die Energiewende auch in den nächsten Jahren funktioniert."

Wer dabei den Ton angeben wird, ist mitnichten sicher. Während Peter in Berlin vor allem die neue Koalition attackiert, kommen maßgebliche Impulse für Reformen aus den Ländern. Die Grünen stellen dort mittlerweile sieben Energie- und Umweltminister. Das sagt viel aus über die Kräfteverhältnisse zwischen Bund und Ländern.

Immerhin beweisen die Parteichefs Peter und Özdemir, dass sie den unbequemen Fragen nicht mehr ausweichen möchten. Zum Treffen des Bundesvorstands Anfang der Woche hatten sie den Parteienforscher Joachim Raschke geladen. Der 75-Jährige ist nicht bekannt dafür, mit den Grünen sanft umzugehen. Mitten in der rot-grünen Regierungszeit hatte er ihnen in einem Buch jede Regierungsfähigkeit abgesprochen. So weit ist er diesmal offenbar nicht gegangen.

Beunruhigendes, so heißt es, hatte er dennoch im Gepäck. So hätten die Grünen unter den kleinen Parteien das größte Potenzial. Gleichzeitig habe keine Partei zuletzt so viele Stammwähler verloren. Wie sich das wieder ändert? Raschke, berichten Teilnehmer, sei da eindeutig gewesen. Klare Konzepte in der Klima- und Umweltpolitik seien nötig. Alles andere spiele fast keine Rolle.

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