Grüne:Kretschmanns einstiger Kronprinz ist zu weit gegangen

Boris Palmer

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer will gewaltbereite Syrer zurück ins Kriegsgebiet schicken.

(Foto: dpa)

Boris Palmer versteht sich als Aufklärer unter grünen Moralisten. Abschiebungen nach Syrien hätte er trotzdem nicht fordern sollen. Das war ein Tabubruch zu viel.

Kommentar von Josef Kelnberger

Er ist ein großer Mann, in dessen Vokabular das Wort Angst fehlt. 24 Stunden täglich ein Todesverächter. Derart überschwänglich wird in dem Film Kentucky Fried Movie ein Episodenheld angekündigt, der, nein, nicht Boris Palmer heißt, sondern Rex Kramer. Sein Job: Gefahrensucher. Ganz in Weiß, mit Helm und Schutzanzug bewehrt drängt er sich in eine Gruppe von überaus stämmigen Afroamerikanern und brüllt nach Leibeskräften: "Niggers!". Dann rennt er weg.

Boris Palmer als grüner Rex Kramer? Der Tübinger Oberbürgermeister würde sich heftig gegen den Vorwurf wehren, ihn treibe die Lust an der ebenso sinnfreien wie politisch inkorrekten Profilierung. Er nimmt für sich in Anspruch, die Debattenkultur in Deutschland zu bereichern und das Spektrum seiner Partei zu erweitern. Palmer tut das mit Vorliebe in der Flüchtlingspolitik, dem Hort des grünen Moralismus, der ihm als Mathematiker zutiefst wesensfremd ist. Mit seiner Kritik an Merkels Wir-schaffen-das-Politik zielte Palmer vor allem auf die eigene Partei. Das bescherte ihm jede Menge Schlagzeilen. Aber mittlerweile hat er den Bogen überspannt.

Wenn Palmer nun fordert, gewaltbereite syrische Asylbewerber notfalls auch in das Bürgerkriegsland zurückzuschicken, mag er ein moralisches Dilemma aufgreifen: Wo endet der Schutz von Flüchtlingen, wo muss der Schutz der Einheimischen beginnen? Er bricht damit ein Tabu, doch der Tabubruch ist kein politischer Wert an sich. Wer als Politiker solche Fragen aufwirft, muss auch gangbare Lösungen formulieren, was Palmer nicht tut. Er begibt sich so in merkwürdige Nähe zur Provokations-Partei namens AfD, auch die wertet den Sturm der öffentlichen Empörung als Beleg dafür, dass sie die Wahrheit sagt.

Eine Form des Wegrennens vor der Verantwortung.

Für die Grünen und für Palmer ist das ein Jammer. Palmer zählt zu den großen Talenten der Partei. Er kann zuspitzen. Er weiß, wie man Wahlen gewinnt. Er liebt die politische Rauferei in der Tradition seines Vaters Helmut, in Baden-Württemberg berühmt als Remstal-Rebell, der für seine Überzeugungen ins Gefängnis ging. Manche glauben sogar, Palmer sondiere mit seinen gefährlichen Expeditionen das politische Terrain im Auftrag seines Freundes und einstigen Mentors Winfried Kretschmann - und werde als Lohn dafür irgendwann in dessen Fußstapfen treten.

Tatsächlich hält der Ministerpräsident große Stücke auf Palmer. Lange Zeit galt Kretschmann selbst als grüner Gefahrensucher, manchmal spielt er die Rolle noch heute. Kretschmann und Palmer eint die Skepsis gegenüber grüner Prinzipienreiterei, gegen die Attitüde der moralischen Überlegenheit. Gemeinsam haben sie vor der Bundestagswahl 2013 gegen die Steuererhöhungspläne opponiert. Mittlerweile jedoch taucht der Name von Gefahrensucher Palmer nicht mehr auf, wenn über die Nachfolge Kretschmanns spekuliert wird. Wer eine 30-Prozent-Partei führen will, muss ein Mindestmaß an Teamgeist an den Tag legen. Boris Palmers intellektuelle Rechthaberei ist auch eine Form des Wegrennens vor der Verantwortung.

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