Grüne:Kampfkandidatur geplatzt

Der Rückzug trifft die Partei überraschend: Im Rennen um den Bundesvorsitz verzichtet Volker Ratzmann zugunsten von Cem Özdemir - und enttäuscht damit die Basis.

Daniel Brössler

Im Kampf um den Grünen-Vorsitz gibt der Berliner Landespolitiker Volker Ratzmann auf. Für diesen Donnerstag kündigte er eine Erklärung an. Aus Parteikreisen verlautete, der 48-jährige Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus werde seine im Juni erklärte Bewerbung um den Vorsitz zurückziehen. Zu den Gründen wurde zunächst nichts bekannt.

Grüne: Getrennte Wege: Bei der Kandidatur um den Grünen-Vorsitz überlässt Volker Ratzmann (links) Cem Özdemir das Feld.

Getrennte Wege: Bei der Kandidatur um den Grünen-Vorsitz überlässt Volker Ratzmann (links) Cem Özdemir das Feld.

(Foto: Foto: ddp)

Ratzmann hatte einen kleinen Kreis von Grünen-Politikern eingeweiht, mit diesen aber Vertraulichkeit vereinbart. Der Rückzug trifft die Partei überraschend. Einziger Anwärter um die Nachfolge des scheidenden Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer bleibt nach dem Rückzug Ratzmanns der Europaparlamentarier Cem Özdemir.

Gewählt wird der neue Vorsitzende während eines Parteitages Mitte November in Erfurt. Theoretisch sind weitere Kandidaturen um die Bütikofer-Nachfolge möglich. Sie gelten aber als unwahrscheinlich.

Wahlwerbung in Blogs

Im Vorsitzenden-Duo der Grünen dürfte daher Özdemir neben Claudia Roth treten, deren Wiederwahl als nahezu sicher gilt. Während Roth der Parteilinken zugerechnet wird, zählt Özdemir zum Lager der Reformer. Der 42-jährige Politiker aus Baden-Württemberg will sich zudem im kommenden Jahr um ein Bundestagsmandat bemühen.

1994 war er erstmals in den Bundestag gewählt worden. Wegen Kritik an der Annahme eines Kredites von dem PR-Berater Moritz Hunzinger und im Zusammenhang mit der Affäre um Bonusmeilen der Lufthansa zog er sich 2002 vorübergehend aus der Politik zurück. Der Sohn türkischer Eltern wäre im Falle seiner Wahl der erste Vorsitzende einer Bundestagspartei mit einem Migrationshintergrund.

Im Rennen um den Parteivorsitz befand sich der seit den neunziger Jahren profilierte Özdemir gegenüber dem bundesweit deutlich weniger bekannten Berliner Landespolitiker Ratzmann in einer guten Ausgangsposition. Zugute kam ihm auch seine langjährige Verwurzelung im Lager der Realos, die sich mittlerweile Reformer nennen.

In Blogs und über E-Mails wurde intensiv für Özdemir geworben. Die Kandidatur des von Fraktionschefin Renate Künast unterstützten Ratzmann galt aber keineswegs als aussichtslos. Er selbst hatte sich noch vor kurzem hoffnungsfroh über seine Aussichten geäußert.

Beide Politiker hatten sich auf einen zumindest nicht offen konfrontativen Wahlkampf verständigt. Im Kreis der grünen Reformpolitiker und in den Landesverbänden traten sie gemeinsam bei Diskussionsveranstaltungen auf. Dabei konnte Özdemir durch Eloquenz, Ratzmann durch Sachkenntnis in schwierigen Politikfeldern Sympathien gewinnen. Unterschiede in inhaltlichen Positionen traten kaum zu Tage.

So äußerten sich sowohl Ratzmann als auch Özdemir skeptisch zur in Hessen angestrebten rot-grünen Koalition mit Duldung der Linkspartei. Auch die Aussichten eines Zusammengehens mit der CDU/CSU nach der Bundestagswahl beurteilten sie angesichts des Streits um die Atompolitik einvernehmlich als schlecht.

Prinzipiell gelten beide aber als offen für schwarz-grüne Koalitionen. Ratzmann ist im Berliner Abgeordnetenhaus Exponent einer gegen den rot-roten Senat gerichteten "Jamaica-Opposition" aus Grünen, FDP und CDU.

Der Rückzug Ratzmanns dürfte bei der grünen Basis Enttäuschung auslösen. Die Kandidatur zweier Bewerber war auf große Zustimmung gestoßen und als Beleg für parteiinterne Demokratie gewertet worden. Verbunden mit der Kampfkandidatur war auch die Hoffnung auf mediales Interesse und erhöhte Aufmerksamkeit für Anliegen der Grünen im Jahr vor der Bundestagswahl.

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