Grüne:Gut gebrüllt

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Nur wenn sie mutigere Töne anschlagen, können die Grünen wieder Antreiber gesellschaftlicher Debatten sein. Die neue Doppelspitze der Partei hat das schon mal vorgemacht.

Von Constanze von Bullion

Begeisterung kann ansteckend sein, und am Wochenende hat sie die Grünen infiziert. Die Partei hat in Annalena Baerbock und Robert Habeck zwei Vorsitzende gewählt, die daherkommen wie in der Campari-Werbung: lässiger Stil, unorthodoxer Ton und eine Haltung, die politischen Widersachern noch zu schaffen machen dürfte. Neben den neuen Grünen wirken die Merkels, Schulzens und Seehofers der Nation wie Figuren aus einer anderen Zeit. Aber reicht das schon, eine frische Fassade?

Keine Frage, der Personalwechsel an der Spitze von Bündnis 90/Die Grünen ist ein Aufbruch. Und er kommt zur richtigen Zeit. Die Partei ist mit ihren Anhängern in die Jahre gekommen, der Wunsch nach Erneuerung ist groß. Die Grünen, vor 38 Jahren von Friedensaktivisten, Ökostreitern und linken Querköpfen gegründet, galten lange als Repräsentanz einer rebellischen Jugend. Heute fehlt ihnen Nachwuchs, es dominiert die Generation 50 plus. Aus Revoluzzern sind Ärztinnen oder Anwälte geworden, gerne auch Eltern, die ihre Kinder auf die etwas bessere Schule schicken. Sicher ist sicher.

Die Partei muss mutigere Töne anschlagen, wenn sie wieder Antreiber von Debatten sein will

Aber auch das Land hat sich gewandelt. Die Bundesrepublik, das war mal eine Gesellschaft, die sich unter dem Druck der Generation 1968 und grüner Intellektueller ihrer Verantwortung für den Nationalsozialismus gestellt und das "Nie wieder" tief verinnerlicht hat. Ein Rückfall in völkisches Denken schien ausgeschlossen zu sein. Diese Gewissheit aber zerrinnt.

Heute sitzen Rechtsradikale im Bundestag, die Abgrenzung von Muslimen und Menschen anderer Kulturen gilt vielen als Ausweis politischer Vernunft. Die Zahl derer, die die Demokratie verachten, hat sich seit der deutschen Einheit und dem Flüchtlingsherbst 2015 multipliziert. Bei Youtube wurde jetzt ein 53 Jahre altes Interview zum Hit. Die Philosophin Hannah Arendt erzählt da, wie 1933 die deutsche Gesellschaft zerbrach. Warum das heute wieder interessiert? Weil die Angst vor einem solchen Zerbrechen zurück ist.

Die Lage, in der Baerbock und Habeck sich an die Spitze von Bündnis 90/Die Grünen stellen, könnte also einfacher sein. Die Grünen stellen im Bundestag die kleinste Fraktion. Gleichzeitig haben sie sich zum Lieblingsfeind der AfD und ihrer extremistischen Hintersassen gemacht. Wollen sie sich Gehör verschaffen, wird es nicht reichen, etwas jünger und hipper daherzukommen als die Altvorderen im Politikbetrieb. Die Grünen müssen ihre Anhängerschaft erheblich vergrößern und einen mutigeren Ton anschlagen, wenn sie wieder der Antreiber gesellschaftlicher Debatten werden wollen, der sie schon mal waren.

Wachsen aber kann eine Partei nur, wenn sie ihren Radius auf das Feld der politischen Konkurrenz ausdehnt. Die neuen Grünen-Vorsitzenden haben schon verraten, wohin die Reise gehen soll. In ihrer Bewerbungsrede ging Baerbock auf Union und SPD und deren Pläne zur Flüchtlingspolitik los. Die größte Schande im Land sei unsichtbare Armut, die Kindern benachteiligter Familien früh vermittle, dass sie nicht dazugehörten.

Gut gebrüllt, Löwin. Aber wie ändert man solche Dinge? Die Grünen haben das Thema Gerechtigkeit neu entdeckt, das ist strategisch klug, aber nur ein erster Schritt. In Ton und Gestus zielt Baerbocks Auftritt auf enttäuschte Anhänger der SPD, aber auch auf Studenten, Globalisierungskritiker und junge Streiter gegen rechts, die es zuletzt eher zur Linkspartei gezogen hat. Kein Wunder, dass die Linke nach dem Grünen-Parteitag am lautesten motzte. Ausgerechnet zwei grüne Realos gehen jetzt auf Jagd im roten Revier.

Denn auch Habeck, der in Schleswig-Holstein mit CDU und FDP regiert, hat die Gerechtigkeitsfrage gestellt. Umverteilen, Kapital höher besteuern, Reiche dürften sich nicht "nach oben verabschieden" - das sind andere Töne als bei Vorgänger Cem Özdemir. Immerhin war Habeck so ehrlich einzuräumen, dass zwischen denen, die Toiletten putzen, und denen, die bei Grünen-Parteitagen große Reden schwingen, Gemeinsamkeiten erst noch gefunden werden müssen.

Die Grünen, demnächst eine Volkspartei, auf Kosten von Linken und SPD? Wohl kaum. Die Habecks und Baerbocks wissen, dass sie auch Zuspruch aus dem verunsicherten bürgerlichen Mittelfeld der Gesellschaft brauchen, wenn ihre Partei wachsen soll. Gelingt es ihnen aber, aus der Mode gekommene Begriffe wie Zusammenhalt und Solidarität mit neuem Leben zu füllen, hat nicht nur ihre Partei gewonnen, sondern das ganze Land.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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