Grüne:Die Besserwisser

Die Energie ist in diesem Bundestagswahlkampf überall, nur nicht bei den Grünen. Aber anstatt das lahmende Führungsduo zu unterstützen, lästern die Besserwisser an der Seitenlinie. Und drücken damit die Partei weiter in Richtung Fünf-Prozent-Hürde.

Von Stefan Braun

Ausgerechnet ein Streit zwischen Cem Özdemir und Winfried Kretschmann - existenzieller kann die Malaise der Grünen nicht zutage treten. Wenn die beiden schwäbischen Landsleute und engsten Verbündeten über die Strategie für die Bundestagswahl aneinandergeraten, müssen bei den Grünen alle Warnlampen leuchten. Da droht etwas ganz furchtbar schiefzulaufen.

Die Grünen sind in den Umfragen noch nicht in den Bereich der Fünf-Prozent-Hürde gesunken. Aber wenn sie so weitermachen, ist das nicht mehr ausgeschlossen. Die Spitzenkandidaten Özdemir und Katrin Göring-Eckardt schaffen es nicht, die Partei mitzureißen. Sie machen keine Fehler und bleiben trotzdem farblos. Niemand kann sagen, ob es an ihrem Naturell liegt oder an ihrer routinierten Geschmeidigkeit. Aber das eine große Thema, für das sie brennen und unbedingt siegen möchten, ist nicht erkennbar.

Ja, Özdemir ist ein Türkei-Experte. Um dieses Thema kümmert er sich, da kennt er sich aus, da will er etwas verändern. Hier ist er auch über die Parteigrenzen hinaus gefragt. Aber für die Grünen als Partei ist das kein Thema, an dem sich ihre Zukunft entscheidet. Noch gravierender sind Göring-Eckardts Schwierigkeiten. Sie sagt nie das Falsche; sie ist ganz versierte Parteipolitikerin, als Machtmanagerin würde sie viele Punkte einheimsen. Nur bei der Frage, wie man der Partei Feuer und Leidenschaft einflößt, kommt sie nicht weiter. Sie bräuchte noch mehr als Özdemir ein Herzensthema oder die Unterstützung derer in der Partei, die selbst für etwas brennen und sie anstecken.

Viele haben den Schuss nicht gehört, der die Partei gefährdet

Das aber ist das zweite Problem der Grünen im Jahr 2017. Sie haben zu viele Besserwisser an der Seitenlinie, aber viel zu wenige, die für die Spitzenkandidaten loyal eintreten. Sie haben viel zu viele, die gern erklären, dass die Vortänzer nun auch vorneweg tanzen müssten. Immerhin hätten sie die Rolle gewollt, also läge es jetzt alleine an ihnen, die Partei aus dem Tief zu führen. Dabei ignorieren diese Kritiker, was das Votum der Grünen-Basis auch für sie bedeutet. Es hat nicht nur zwei Gewinner hervorgebracht; es hat die anderen in der Partei auch verpflichtet, ihnen zu helfen.

Wer die Mitgliederbefragung als Kern parteiinterner Demokratie gut findet (und das tun die allermeisten Grünen), der muss das Resultat als Auftrag auch für sich selbst betrachten. Für die Kretschmanns, Trittins und Habecks müsste es selbstverständlich sein, den beiden da vorne jede Hilfe zu leisten. Doch genau das geschieht nicht. Im Gegenteil. Sie glauben fest daran, dass sie es besser können. Es wirkt, als hätten alle miteinander den Schuss nicht gehört, der die Grünen gefährdet.

Die Energie ist in diesem Wahlkampf überall, nur nicht bei den Grünen. Wer das erkennt, hat nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder er schaut zu und lästert, dann befördert er zynisch die Niederlage. Oder er stürzt sich an der Seite des Spitzenduos in den Kampf - und zwar gegen die politische Konkurrenz und nicht gegen die eigenen Leute.

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