Grüne bereiten sich auf Bundestagswahl 2013 vor:Wegweiser ins Unbekannte

Sozialpolitik? Haben SPD und Linke schon besetzt. Das nachhaltige Wirtschaften nach dem "Green New Deal"? Zu sperrig. Der Klassiker Atomkraft? Läuft nicht mehr so recht. Bei ihrer Neujahrsklausur in Weimar suchen die Grünen frische Ansätze, mit denen sie bei der Bundestagswahl 2013 ihre Wähler begeistern können. Doch das große Thema für einen Regierungswechsel fehlt der Partei bislang.

Michael Bauchmüller, Weimar

Die Optik soll schon stimmen bei den Grünen, mindestens das. Aus Pappe haben sie sich dicke Pfeile fertigen lassen, den "Wegweiser 2012" - als Thema ihrer Neujahrsklausur in Weimar. Für jeden Parlamentarier gibt es den Wegweiser sogar als kleinen Sticker fürs Revers. Allerdings haben die Dinger einen Nachteil. Sie lassen sich leicht drehen, zeigen mal nach oben, mal hierhin und mal dorthin. Was dann wieder einiges über den Weg der Grünen in diesem Jahr aussagt: So genau kennen sie den nicht, nach der Klausur ebenso wenig wie zuvor.

Klausurtagung der Buendnis 90/Die Gruenen-Fraktion

Wer führt die Grünen in die Bundestagswahl 2013? Jürgen Trittin ist die Nummer eins der Fraktion - doch wird er auch die Nummer eins im Wahlkampf sein? Renate Künast hat ihre Position nach dem verpatzten Anlauf auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin in Berlin wieder festigen können.

(Foto: dapd)

Stattdessen haben sie nun sieben "Schwerpunkte", an denen sie weiterarbeiten wollen, in Vorbereitung auf die nächste Bundestagswahl. Etwa die Energiewende, der unter Union und FDP "ein zukunftsfähiges Konzept" fehle; der Klimaschutz, der nicht vorankomme; eine unsoziale Steuerpolitik, mangelnde Mitsprache bei großen Projekten, die "Spaltung der Gesellschaft", zum Beispiel durch Altersarmut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse - lauter Aufgaben für grüne Politik, aufgelistet in der "Weimarer Erklärung".

Das ist alles nicht neu. Klingt alles nicht neu? Ist es auch nicht. Dennoch spricht die Fraktionsvorsitzende Renate Künast am Freitag, zum Ende der dreitägigen Klausur, von einem "großen Fortschritt". Schließlich seien nun die "richtigen Weichenstellungen identifiziert". Alles weitere werde sich in den nächsten Monaten weisen."Wir sind in einem Arbeitsprozess", sagt die Fraktionschefinnoch.

Wirtschaftsfragen drohen alles zu überlagern

Dabei hat sich in Weimar vor allem eines erwiesen: Das große Thema für einen Regierungswechsel fehlt der Partei bislang, der schöne Wegweiser zeigt einstweilen ins Unbekannte. Da wäre etwa der "Green New Deal", jenes Wirtschaftsprogramm, mit dem die Grünen schon in den vergangenen Wahlkampf gezogen waren. Er sollte Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung versöhnen, eine Art Rundum-sorglos-Paket für nachhaltige Entwicklung.

Und 2012? Da haben manche Grüne Zweifel, ob sich das Motto so erneut verwenden lässt. "In der Öffentlichkeit", sagt Verkehrspolitiker Toni Hofreiter, "hat sich das Thema Green New Deal mittlerweile totgelaufen."

Auch der Kampf um ein solidarisches Europa, so wird in Weimar klar, taugt nicht so recht: Dafür ist Europa in weiten Kreisen derzeit zu schlecht beleumundet. Sozialpolitik ist den Grünen zwar heilig, aber auch bei SPD und Linkspartei verortet; und die Energiewende haben Union und FDP selber angezettelt, was die Argumentation erschweren könnte. Der Klassiker Atomkraft läuft ohnehin nicht mehr so recht, seit die Grünen dem Ausstieg im Sommer zustimmten. Obendrein drohen Wirtschaftsfragen alles andere auch 2013 zu überlagern.

Grünen wollen Koalition mit der SPD

So soll jene "Glaubwürdigkeit" zum entscheidenden Merkmal der Grünen werden, die Umfragen zufolge viele Wähler an der Partei schätzen. "Deutschland braucht eine Regierung, die mit Werten und Leitbildern an die Probleme herangeht", sagt Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin. Und diese sollen eben nun Thema für Thema entstehen, im Laufe des Jahres. In Weimar verabschiedeten die Abgeordneten deshalb auch ein Konzept für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der sich nur noch auf das dringend nötige beschränken solle. Und sie beschlossen einen "grünen Konvent", der sich im Februar mit der Zukunft Europas beschäftigen wird.

Immer deutlicher wird auch, dass die Partei mit einer Koalitionsaussage zugunsten der SPD in den Wahlkampf ziehen wird. Das gebietet nach dem derzeitigen Stand der Dinge die Arithmetik: Sollte es, was derzeit recht wahrscheinlich ist, für ein schwarz-gelbes Bündnis nicht mehr reichen, käme neben einer Koalition aus SPD und Grünen nur noch eine große, aus Union und SPD, in Frage. "Ich bin sicher, wenn Schwarz-Gelb abgelöst wird, kommt es auf die Grünen an", sagt Künast. "Damit die SPD nicht auf falsche Gedanken kommt."

Wer aber die Grünen in den Wahlkampf führen wird, das ist auch nach der Klausur offen. Künast, die aus dem wenig erfolgreichen Kampf um das Rote Rathaus in Berlin angeschlagen hervorgegangen ist, hat ihre Position wieder festigen können. Dennoch bleibt Trittin die Nummer eins der Fraktion. Aber wird er auch die Nummer eins im Wahlkampf sein? Noch ist alles drin, bis hin zu einer Viererspitze, der dann auch die Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir angehören könnten - zu entscheiden gegen Ende des Jahres. Bis dahin wird es hübsch harmonisch bleiben, ganz wie in Weimar. Da gaben sich die Grünen nächtlich sogar einer spontanen Sangesstunde hin, um anschließend, in extrem seltener Eintracht, per Polonaise durchs Hotel zu ziehen. Immer schön im Kreis herum.

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