Grüne:Auf der Lauer

Offiziell schweigt jeder in der Partei zu möglichen Posten in Jamaika-Zeiten. Aber natürlich überlegen alle, wer was werden könnte. Und ob das Außenamt besser passt oder das Finanzministerium.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Jamaika-Sondierungen starten

Quartett auf dem Weg zum Regieren? Grünen-Chefin Simone Peter (l.) und Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, kommen zusammen mit Grünen-Chef Cem Özdemir (Mitte) und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter zu den Sondierungsgesprächen.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Im Bundestagsbüro von Jürgen Trittin hängt an der Wand ein Schwarz-Weiß-Foto. Zu sehen ist unter einem Cowboyhut der kühle Blick von Texas Joe, einem Revolverhelden aus dem Western "Für eine Handvoll Dollar". Texas Joe alias Clint Eastwood ist ein Sonderling, der nirgends richtig dazugehört. Und weil er nicht nur gut schießt, sondern auch ein Meister des Hinterhalts ist, spielt er alle Rivalen und Bösewichte gegeneinander aus.

Ob es auch mit dem grünen Einzelgänger Jürgen Trittin so kommen wird, der bei den Jamaika-Sondierungen am Dienstag für seine Partei die Finanzen auslotet, weiß derzeit keiner. Auch bei den Grünen rätseln manche, ob "der Jürgen" eigentlich am Ende noch Finanzminister werden will. Trittin schweigt dazu wie Texas Joe. Im Übrigen war der partelinke Ex-Umweltminister schon vor Jahren der Meinung, dass sich die Grünen stärker für Finanzen und Wirtschaft interessieren sollten, weil sich damit viel bewegen lasse, ob beim Klima oder in der Europapolitik.

Womit sich die Frage stellt, wer bei den Grünen eigentlich welchen Posten besetzen soll, falls eine Jamaika-Koalition kommt. "Über die Ressortverteilung reden wir erst ganz am Schluss. Das Amt kommt zum Manne, und da wir bei den Grünen sind, sage ich: oder zur Frau", sagt dazu Parteichef Cem Özdemir. Hinter den Kulissen aber zerbrechen sich die Grünen längst die Köpfe, wie Realos, Linke, Frauen und Männer angemessen im grünen Gesamtkunstwerk platziert werden können. Ambition steht da bisweilen der Vernunft im Weg, befürchten manche, und Platzhirschentum dem Generationswechsel.

Drei Ministerien wollen die Grünen sich sichern, auch wenn das öffentlich noch keiner fordert. Zudem muss die Partei die Fraktionsspitze im Bundestag neu besetzen und dazu die Parteispitze, jeweils doppelt und idealerweise mit Vertretern beider Parteiflügel und Geschlechter - und auch mit Jüngeren. Im Personalkarussell beginnt es nun zu knirschen. Ein Grund: Cem Özdemir. Er will nicht mehr Parteichef sein, sondern Minister, vorzugsweise Außenminister, heißt es. Özdemir sagt dazu nichts, aber auch bei ausdauernden Gesprächen mit Grünen aller Strömungen findet sich niemand, der bezweifelt, dass Özdemir das Außenamt will, unbedingt. Ohne repräsentatives Schlüsselressort wollen die Grünen sich nicht abspeisen lassen. Das Innenministerium aber dürfte an die CSU gehen, Finanzen an CDU oder FDP - wenn nicht noch Texas Joe dazwischenkommt. Bliebe das Auswärtige Amt.

Vom Gastarbeitersohn zum Außenminister - das dürfte eine Geschichte nach Özdemirs Geschmack sein. Im eigenen Laden aber sorgt sie für Kopfschütteln. "Außenministerium ist Käse", hört man da. Oder: "Außen- und Europapolitik macht Angela Merkel. Das bringt uns nicht viel." Die FDP sei mit Außenminister Guido Westerwelle baden gegangen, warnen andere. In einer internen Aussprache soll kein Grüner für den Griff nach dem Auswärtigen Amt plädiert haben, außer Özdemir.

Und was wird eigentlich aus Robert Habeck?, fragen sich viele Grüne. Der 48-Jährige ist eine Art Berufsjugendlicher der Partei, ewiger Hoffnungsträger und größte Enttäuschung, sozusagen Billy the Kid unter grünen Cowboys. Habeck, Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, wäre ein frisches Gesicht und gut fürs Bundesumweltministerium, finden etliche Grüne - um gleich einzuschränken: Habeck werde wohl leer ausgehen. Fragt man Habeck, ob er vorhat, Minister zu werden - oder anderenfalls als Parteichef zu kandidieren - sagt er: "Ich helfe meiner Partei, so gut ich kann. Aber ich bin nicht auf Jobsuche." Es klingt nicht begeistert und so, als suche da einer noch seine Rolle. Habeck zahlt jetzt zum zweiten Mal die Zeche für die Urwahl der grünen Spitzenkandidaten, bei der er im Januar knapp unterlag. Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt wurden Spitzenkandidaten und bekommen deshalb den ersten Zugriff auf mögliche Ministerposten. Aber auch die Flügellogik steht Habeck im Weg: Neben Göring-Eckardt und Özdemir wäre er der dritte Realo-Minister. Zudem soll Göring-Eckardt deutlich gemacht haben, dass sie Umweltministerin werden will, wenn Jamaika kommt. Dritter Minister könnte der Parteilinke Anton Hofreiter werden, etwa für Verkehr oder Landwirtschaft.

Robert Habeck will nicht Parteichef werden. Womöglich aber Sven Giegold

Warum eigentlich nicht mehr Posten für Frauen und dazu ein grünes Sozial- und Familienministerium?, fragen nun jüngere Abgeordnete. "Gerade angesichts einer AfD, die offen frauenfeindliche Politik macht, muss Jamaika im Bereich der Gleichstellung vorankommen", sagt Vize-Fraktionschefin Katja Dörner. Ob Rückkehrrecht in Vollzeit oder Frauenquote, "die Baustellen in der Frauenpolitik sind groß". Luise Amtsberg, 33 Jahre alt und flüchtlingspolitische Sprecherin, will die grünen Männer nicht einfach durchwinken. "Ich will im Parteivorstand und den Ministerien natürlich eine gleichwertige Repräsentanz von Frauen haben", sagt sie. Zwei männliche Minister wären für sie akzeptabel, wenn es "eine weibliche Doppelspitze in der Fraktionsführung" gäbe.

Infrage käme dafür neben Britta Haßelmann etwa Annalena Baerbock, Völkerrechtlerin und Allrounderin mit furchtlosem Mundwerk aus Brandenburg. Bei den Grünen genießt sie Respekt, viele hätten sie gern als nächste Parteichefin. Nur: Baerbock, die zwei kleine Kinder hat und dazu ein Bundestagsmandat, hat andere Pläne. "Der Parteivorsitz kommt für mich derzeit nicht infrage", sagt sie. Katja Dörner, auch als Fraktionschefin im Gespräch, sieht sich so wenig wie Baerbock zur Parteichefin berufen. "Bundesvorsitzende zu werden strebe ich nicht an", sagt sie. Die Sache mit den Frauen und dem Parteivorsitz werde noch zum Riesenproblem, murrt ein älterer Grüner. Und dass es doch mal Zeit für einen personellen Aufbruch sei.

"Es gibt eine große Sehnsucht nach Erneuerung und auch nach neuen Gesichtern. Wir müssen mal lüften", sagt die grüne Innenpolitikerin Irene Mihalic, eine der Jüngeren. Wird sie nach dem nächsten Parteichef gefragt, nennt sie Attac-Gründer Sven Giegold - das tun bei den Grünen viele. Vielseitiges Talent, bringt viel in Bewegung, sagt Mihalic. Und siehe da: Giegold würde wollen. "Grundsätzlich finde ich das natürlich eine spannende Aufgabe", sagt er. "Wenn Robert Habeck kandidiert, dann unterstütze ich das. Wenn er das nicht tut, überlege ich mir sehr ernsthaft anzutreten." Das immerhin klingt nach Ja.

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