Grün-Rot in Baden-Württemberg:Zähe Wende

Viele Jahrzehnte dominierte die CDU den Südwesten und die Umweltschützer wussten, wer Freund und wer Gegner war. Nun regiert Grün-Rot - und vieles ist anders: Bislang Grünen-nahe Gruppen und Konservative blockieren mitunter den Weg vom Atomstrom zu erneuerbaren Energien. Die umweltpolitischen Wende nähert sich trotzdem - trotz aller Gräben.

Roman Deininger, Stuttgart

Die Mittagssonne fällt durch große Fenster auf die Gesichter der fünf Herren, die im Runden Saal der Villa Reitzenstein vor den Mikrofonen sitzen. Die Bühne ist bereitet für wichtige Verkündigungen. Dabei haben die Herren dann nicht viel mehr zu sagen, als dass sie sich ganz gut verstehen. Aber das allein ist schon wichtig genug.

Steht der ersten grün-roten Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik vor: Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Winfried Kretschmann möchte verhandeln, nicht klagen.

(Foto: Reuters)

Zwei Grüne sitzen da, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Umweltminister Franz Untersteller. Sie werden eingerahmt von drei Männern, die man wohl Schwarze nennen darf: vom Vorsitzenden des Landes-Industrieverbands, vom IHK-Präsidenten, vom Handwerks-Chef. Das neue Baden-Württemberg trifft hier auf das alte, das fast sechzig Jahre von der CDU regiert wurde. Und beide müssen jetzt irgendwie miteinander zurechtkommen.

Am Montagvormittag haben sie am Dienstsitz des Ministerpräsidenten über die Energiewende gesprochen. Baden-Württemberg galt bis vor kurzem als Atomstrom-Land, die Wende ist hier ein besonders heikles Manöver. Die Wirtschaftsfunktionäre treibt die Furcht vor Versorgungsengpässen und Preissteigerungen beim Strom um. Nun sagt Kretschmann: "Wir konnten darstellen, dass wir nicht Angst vor irgendwelchen Horrorszenarien haben müssen."

Ziemlich konkrete Horrorszenarien hatten sich viele Wirtschaftsvertreter schon bei Kretschmanns Amtsantritt im Mai ausgemalt, nicht nur im Hinblick auf die Energiewende. Der Ministerpräsident hatte angedeutet, sein zentrales Projekt, die Versöhnung von Wirtschaft und Ökologie, notfalls mit der "Innovationspeitsche" forcieren zu wollen. Inzwischen gibt Kretschmann auch Unternehmern gegenüber gern den verbindlichen Staatsmann und sanften Landesvater; man vergisst darüber fast, dass er in der Sache hart geblieben ist, dass er etwa weiter keine neue Straßen will und auf den alten weniger Autos.

"Gemeinsamer Lenkungskreis" statt "Innovationspeitsche"?

Zumindest hat sich Grün-Rot auf die eigene Lieblingsvokabel besonnen: Man müsse, heißt es dauernd aus Ministermündern, "die Leute mitnehmen" bei den geplanten Umbaumaßnahmen in allen Ecken der Gesellschaft. Manchmal werden diese Bemühungen belohnt, etwa wenn der Herr vom Industrieverband Kretschmann zulächelt und sagt: "Wir sind sehr froh, dass die Regierung unsere Sorgen aufgegriffen hat." Ein gemeinsamer "Lenkungskreis" zu Energiefragen soll demnächst die Arbeit aufnehmen.

Knapp sieben Monate ist der erste grüne Ministerpräsident der Republik nun im Amt. Der versprochene Wandel kommt nur in kleinen Schritten über das Land. Vorrangiges Ziel aller Reformen scheint es zu sein, bloß niemanden zu verschrecken. Von einer "Revolution" reden auch die sendungsbewusstesten Grünen schon lange nicht mehr; eine Revolution kennt ja durchaus auch Verlierer, und mit denen möchte man möglichst wenig Ärger haben.

Windenergie-Ausbau wird gebremst

Peter Hauk, der CDU-Fraktionschef im Landtag, kann bisher überhaupt keinen Wandel erkennen: "Die Regierungsarbeit erschöpft sich in salbungsvollen Ankündigungen und ideologischen Versprechungen." Für die Energiewende gebe es ja noch nicht einmal ein Konzept.

Info zu Nationalpark Nordschwarzwald

Den Nordschwarzwald möchte Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Alexander Bonde zum Nationalpark machen, aber die Holzunternehmer sind skeptisch.

(Foto: dpa)

Das schnelle Vorlegen von Konzepten gehört in der Tat nicht zu den größten Stärken der grün-roten Ministerien. Man wolle eben "gründlich arbeiten", hört man immer aus deren Umfeld. Und warum sollte man unnötige Angriffsfläche bieten? Erst mal wolle man um das Vertrauen der Bürger werben. Wie widerspenstig indes Leute sein können, die man doch eigentlich mitnehmen will, erfährt gerade Umweltminister Untersteller, der Mann der Windräder.

Er ist einer der grünen Realos, die so schnell niemandem Angst machen. Dass er nun jedes Jahr 150 neue Rotoren aufstellen lassen will, ist allerdings den verschiedensten Seiten nicht ganz geheuer: Naturschutzgruppen genau wie den konservativen Regionalverbänden, die den Windenergie-Ausbau bisher gebremst haben.

Vorsichtiger Wandel

Bei 0,8 Prozent liegt im Südwesten heute der Wind-Anteil an der Stromerzeugung, rote Laterne in Deutschland. Bis 2020 sollen es zehn Prozent sein. Untersteller hat nun eine Änderung des Landesplanungsgesetzes erreicht: Die Regionalverbände dürfen keine Ausschlussgebiete mehr festlegen, die Anlagen können künftig leichter errichtet werden. Eine "Verspargelung der Landschaft", wie der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel sein persönliches Horrorszenario beschrieb, werde man trotzdem verhindern können, versichert Untersteller auf Regionalkonferenzen im ganzen Land.

Auch sein grüner Kabinettskollege Alexander Bonde übt sich in Überzeugungsarbeit. Der 36-jährige Landwirtschaftsminister bezirzt mit großem Elan Bürgermeister und Holzunternehmer, die seine Begeisterung für einen Nationalpark im Nordschwarzwald nicht teilen. 120.000 Menschen hat er schriftlich um ihre Meinung gefragt. Der Widerstand ist immer noch enorm, aber wer Bonde auf einer Tagung im Protestort Bad Wildbad erlebt hat, der hat auch ein schönes Bild für die Schmusestrategie der Regierung gesehen: einen Grünen im Trachtenjanker, der, wenn es sein muss, jeden Bürger einzeln umstimmen will.

Lange hatte Grün-Rot geltend gemacht, dass das "richtige Regieren" ja ohnehin erst beginne, wenn das leidige Thema Stuttgart 21 vom Tisch sei. Nach der Volksabstimmung darf sich nun Gabriele Warminski-Leitheußer auf eine besonders genaue Prüfung ihrer Arbeit einstellen, die Bildungsministerin von der SPD. Außer der Energiewende ist die Reform des Schulsystems das Prestige-Vorhaben von Grün-Rot. Aber gerade hier kommt der Wandel am vorsichtigsten daher.

Die Gemeinschaftsschule, in der alle Kinder bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen solle, stößt vor allem auf dem Land auf Berührungsängste. CDU-Mann Hauk sagt, bei der "Einheitsschule" seien die Kommunen "desorientiert und alleingelassen". Natürlich sucht auch Warminski-Leitheußer die Nähe zu allen Beteiligten. Aber als sie kürzlich zum Bildungsgipfel lud, sagte der Städtetag seine Teilnahme ab. Eine Einladung nur vier Tage vorher - das gehe nicht. Man wolle aber, kündigte der Städtetag an, sehr gerne einen "konstruktiv-kritischen Austausch" mit der Ministerin pflegen. Es könnte der Landesregierung Sorge bereiten, dass das ungefähr so klingt, wie der grüne Verkehrsminister Winfried Herrmann über die Zusammenarbeit mit der Bahn bei Stuttgart 21 spricht.

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