Große Koalition:Die Kanzlerin stimmt fürs Scheitern

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Angela Merkel lehnt eine Reform ab, die sie selbst in Auftrag gegeben hat. In der Union gibt es keine Führung mehr - in der SPD aber auch nicht.

Nico Fried

Angela Merkel hat in der Unions-Fraktion gegen einen Vorschlag zur Neuregelung der Arbeitsvermittlung gestimmt. Diesen Vorschlag hatte der zuständige sozialdemokratische Minister ihrer Regierung in ihrem Auftrag erarbeitet und mit den Ministerpräsidenten ihrer Union abgestimmt.

Die große Koalition ist in einem schlechten Zustand - und das demonstriert nun auch Kanzlerin Angela Merkel. (Foto: Foto: ddp)

Deshalb ist Merkels Votum schon ein beachtlicher Vorgang. Ihr Regierungssprecher aber kann sehr wortreich erläutern, dass es sich erstens um eine komplexe Materie handelt, zweitens das Scheitern nicht die Schuld der Kanzlerin ist, weil die drittens immer eine Lösung wollte, auch wenn man nie wusste, welche, was viertens an der komplexen Materie liegt, siehe oben.

Politik besteht allerdings nicht nur aus guten und weniger guten Argumenten, sondern auch aus Symbolen. Und das Votum der Kanzlerin ist ein erschreckendes Symbol für den Zustand der großen Koalition. Selbst Angela Merkel ist mittlerweile bereit, das Scheitern offen zu demonstrieren.

Zugleich wurde in Union und SPD die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin noch nie so akzeptiert wie in diesem Punkt: Allenthalben geht es nicht mehr ums Gelingen, sondern nur noch um gegenseitige Schuldzuweisungen für das Misslungene.

Auch die Tagesordnung der jüngsten Kabinettssitzung war so ein Symbol: Der Fortschrittsbericht zum Bologna-Prozess im Bildungsbereich wurde zur Kenntnis genommen. Das war's. Die Liste der Themen, die schon vorher von der Tagesordnung flogen, war dagegen erheblich länger: Jobcenter, Steuerhinterziehung, Visa-Warndatei etc.

Zusätzlicher Krach

Eine Regierung, die sich rühmt, binnen einer Woche einen Banken-Rettungsschirm aufgespannt zu haben, ist nicht mehr in der Lage, über Monate und Jahre Gesetzesvorhaben vernünftig abzuschließen. Politiker, die sich als Krisenmanager feiern lassen, gönnen sich gegenseitig nicht mehr das Schwarze unter den Fingernägeln.

Nun liegt es nahe, mal wieder die mangelnde Führung der Kanzlerin zu kritisieren. So macht es der Koalitionspartner gerne, tagein, tagaus.

Das sind jene Sozialdemokraten, die unter Führung etwa verstehen, den Börsengang der Bahn, der übrigens dem SPD-Kanzlerkandidaten immer ein besonderes Anliegen war, lieber auf Jahre hinaus abzusagen, bevor ihn die eigenen Leute per Mitgliederbegehren aus dem Wahlprogramm fegen. Auch das ist nur Befriedung der eigenen Reihen auf Kosten der Koalition.

Merkel selbst hat den Vorwurf mangelnder Führung immer mit dem Argument gekontert, dass man in einer großen Koalition Kompromisse schließen müsse und nicht mit der Faust auf den Tisch hauen könne.

Genau dieses Argument aber wendet sich nun gegen sie: Im Streit um die Jobcenter ist als Ergebnis ihrer Vermittlungsbemühungen kein Ergebnis zu verzeichnen - aber es gibt zusätzlich Krach in der Koalition und in der eigenen Partei. Mit ihrem Votum in der Unions-Fraktion hat sie deshalb nicht nur das Scheitern einer Reform besiegelt, sondern auch ihr persönliches Scheitern.

© SZ vom 19.03.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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