Großbritannien:Was Cameron will - und was das EU-Recht erlaubt

2016 entscheidend für Großbritanniens EU-Verbleib

Skeptischer Blick auf die Europäische Union: David Cameron beim EU-Gipfel in Brüssel am 18. Dezember 2015.

(Foto: dpa)
  • Die Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU gehen in die letzte Runde.
  • Es geht um Reformen, die die Briten zum Verbleib in der Staatenunion bewegen sollen.
  • Camerons vier wichtigste Forderungen sind teilweise mit den Grundsätzen der EU nicht oder nur schwer vereinbar.

Analyse von Daniel Brössler, Brüssel

Das Gelingen ist, zumindest darin sind sich alle einig, auch eine Frage des Timings. Seit Wochen wird in Brüssel, London und weiteren Hauptstädten über die vier "Körbe" verhandelt, in denen der britische Premierminister David Cameron jene Reformforderungen verstaut hat, deren Erfüllung dem Vereinigten Königreich seiner Meinung nach eine Zukunft in der Europäischen Union und ihm selbst ein Ja in einem Referendum womöglich schon im Juni sichern würde.

Wenn es wirklich, wie geplant, beim EU-Gipfel am 18. und 19. Februar den großen Deal geben soll, dann wird die Zeit langsam knapp. An diesem Freitag reiste Cameron nach Brüssel, um bei einem Arbeitsessen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu sprechen. Am Sonntagabend empfängt Cameron in London dann EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Cameron soll sich am Ende als Sieger präsentieren können

Das Endspiel hat begonnen. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Polen Tusk zu. Dem "lieben Donald" hat Cameron am 10. November jenen Brief geschrieben, in dem er seine Forderungen offiziell formuliert hat. Tusks Aufgabe ist es, mit Cameron in den vier Körben die Elemente zu finden, auf die sich alle 28 Staats- und Regierungschefs verständigen können.

Fast jeden Tag arbeiteten in den vergangenen zwei Wochen die Leute Tusks, Camerons und Junckers an Formulierungen zu allen vier Körben. Nun geht es darum, ob Tusk und Cameron das Erreichte für belastbar genug halten, um es Anfang der Woche den 27 anderen EU-Regierungen zuzuleiten. Danach sind bis zum Gipfel zwei Sitzungen der Sherpas angesetzt, den europapolitischen Chefberatern der Staats- und Regierungschefs. Dort wird klar werden, ob eine Einigung beim Gipfel zu erreichen sein wird.

An politischem Willen dürfte es nicht fehlen. "Es gibt eine große Bereitschaft, eine Situation zu schaffen, in der Cameron aus einer Position der Stärke die Yes-Kampagne anführen kann", sagt ein hochrangiger Insider. Soll heißen: Cameron soll sich nach dem Gipfel als Sieger präsentieren können. Die Schwierigkeit liegt darin, dass politischer Wille nicht reichen wird. Camerons politische Wünsche müssen in eine Sprache übersetzt werden, die nicht nur für alle akzeptabel ist, sondern auch entweder mit EU-Recht vereinbar ist oder realistischerweise zu EU-Recht gemacht werden kann.

Kann die Gemeinschaft mehr als eine Währung haben?

Als Erstes ist dabei immer vom vierten Korb die Rede, in dem Cameron die Einschränkungen verstaut hat, die er bei Sozialleistungen für Arbeitnehmer aus der EU durchsetzen will. Doch, so wird in Brüssel gewarnt, auch in den anderen Körben lauern Probleme. Das gilt zum Beispiel für das Thema Euro. Camerons Anliegen ist es, die Stellung Großbritanniens als Nicht-Euro-Staat in der EU zu stärken. Zusammen mit Dänemark ist Großbritannien von der für alle anderen EU-Staaten geltenden Pflicht entbunden, dem Euro beizutreten.

Cameron fordert nun Zusicherungen, dass aus der Nicht-Teilnahme an der Gemeinschaftswährung keine Diskriminierungen resultieren und vor allem im Euro-Kreis keine Entscheidungen fallen, die dann die ganze EU betreffen. "Die EU hat mehr als eine Währung", ist der Satz, den der britische Premier gerne festgeschrieben sehen würde.

Aus Sicht Brüssels und vieler EU-Hauptstädte aber kommt genau das nicht infrage. Die EU habe nur eine Währung, und das sei der Euro, wird argumentiert, weshalb auch nichts anderes postuliert werden könne. Die Feststellung, dass es in der EU auch Staaten mit anderen Währungen gibt, wäre zwar kein Problem - aber eben auch banal. Auch die von Cameron gewünschte Einbindung in die Beschlussfassung der Euro-Staaten birgt Sprengstoff. Frankreich etwa will keinem Verfahren zustimmen, das eine Verlangsamung von Entscheidungen der Euro-Zone nach sich ziehen würden.

Cameron zielt auf die DNA der Europäischen Union

Nicht unproblematisch sind auch einige der Forderungen, die Cameron unter der Überschrift Souveränität zusammengefasst hat. Im Vordergrund steht hier der Feldzug gegen das Postulat, dass die EU die Verwirklichung einer "immer engeren Union" anstrebt. Cameron zielt damit auf die DNA der EU, denn schon in der Präambel der Römischen Verträge von 1957 ist vom festen Willen die Rede, "die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen". Der Lissabon-Vertrag stellt, wie es in Artikel 1 heißt, eine "neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden". In den Diskussionen geht es nun weniger um die Frage, welche kreativen Formulierungen das Vereinigte Königreich von diesem Ziel entbinden könnten. Zu entscheiden ist, ob die "immer engere Union" nur ein politisches Postulat ist oder doch als verbindliches Recht interpretiert werden muss.

Stoff für Streit bietet auch die Londoner Forderung nach einer Stärkung der nationalen Parlamente. Cameron stellt sich vor, dass mehrere nationale Parlamente zusammen Gesetzesvorhaben der EU stoppen können. Das allerdings lässt sich nicht so einfach in das existierende EU-Gesetzgebungsverfahren integrieren, in dem das Initiativrecht bei der Kommission liegt und Gesetze der Zustimmung des Rates (also der Nationalstaaten) und des Europäischen Parlamentes bedürfen.

Am meisten Arbeit aber bereitet den Juristen Camerons griffige Forderung, Arbeitnehmer aus der EU erst nach vier Jahren in den Genuss von Sozialleistungen kommen zu lassen. Das widerspricht der Freizügigkeit und dem eigentlich unumstößlichen Diskriminierungsverbot. Eine Lösung könnte eine "Notbremse" sein, die allen EU-Staaten erlaube, Arbeitnehmern aus anderen EU-Staaten bis zu vier Jahre lang Sozialleistungen vorzuenthalten, wenn sie eine schwierige Situation ihres Sozialsystems nachweisen können.

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