Großbritannien:Vorsichtige Rückkehr in die politische Mitte

Der Linkskurs hat nicht gefruchtet - nach dem Wahldebakel sucht die britische Labour-Partei einen neuen Vorsitzenden, der sie aus der Krise führt. Die besten Chancen hat nun ein Mann, der einst Tony Blair beriet.

Von Christian Zaschke, London

Dass Jeremy Corbyn in der ersten Debatte der vier Kandidaten, die sich um den Vorsitz der britischen Labour-Partei bewerben, den besten Eindruck hinterließ, passt gut ins leicht konfuse Bild, das die Partei im Moment abgibt. Seit der Wahlniederlage im Mai, der deutlichsten seit 1983, debattiert sie darüber, wie sie sich künftig aufstellen will. Die meisten Strategen sprechen sich dafür aus, dass Labour wieder in die Mitte rückt, was hieße, an die Politik Tony Blairs anzuknüpfen, der von 1997 bis 2007 Premierminister war und drei Wahlen gewann. Corbyn hingegen zählt seit Jahrzehnten zum linkeren Teil des linken Flügels der Partei. Er ist das Gegenteil von Tony Blair. Dass nun ausgerechnet er es war, der in der Debatte am Mittwochabend am ehesten überzeugte und die meiste Zustimmung erfuhr, dürfte die Strategen nachdenklich stimmen.

Außer Corbyn bewerben sich der frühere Gesundheitsminister Andy Burnham, Schatten-Innenministerin Yvette Cooper sowie die Abgeordnete Liz Kendall um die Nachfolge Ed Milibands, der nach der Wahlniederlage vom Parteivorsitz zurückgetreten ist. Dass Corbyn neben diesen drei eher der Mitte zugewandten Kandidaten überhaupt ins Rennen gehen konnte, kam überraschend.

Wer sich um den Labour-Vorsitz bewerben will, muss von mindestens 35 Abgeordneten nominiert werden. Während die drei anderen Kandidaten ihre Nominierungen rasch zusammenhatten, fand Corbyn zunächst nicht genügend Unterstützer. Erst wenige Minuten vor Nominierungsschluss am Montagmittag gelang es ihm, die entscheidenden Stimmen zu sammeln, er kam auf 36 Nominierungen. Die meisten seiner Unterstützer gaben allerdings an, sie würden ihn gar nicht als Parteichef wollen - ihr Ziel sei es lediglich, die Debatte zu beleben.

Das ist gelungen. Beim ersten Aufeinandertreffen der vier Kandidaten präsentierte sich der 66 Jahre alte Parteiveteran Corbyn als engagiert und leidenschaftlich. "Warum besitzen in Großbritannien die 100 reichsten Menschen so viel wie 30 Prozent der gesamten Bevölkerung?", fragte er, "das ist fundamental falsch. Warum schlafen in Großbritannien so viele Menschen auf der Straße und betteln? Das muss nicht so sein, wenn wir einen nationalen Kreuzzug beginnen." Dafür erhielt er den deutlich stärksten Beifall. Die Wettanbieter hatten ursprünglich eine Quote von 100 zu 1 dafür geboten, dass Corbyn Parteichef wird. Nun bieten sie 12 zu 1.

Favorit ist weiterhin Andy Burnham, obwohl er in der Debatte den schwächsten Eindruck hinterließ. Burnham gilt als bodenständig. Er stammt aus Nordengland, wohnt in Manchester und geht in Liverpool zum Fußball. Einst war er einer der Berater von Tony Blair, orientierte sich allerdings im Schatten-Kabinett von Ed Miliband weiter nach links. Seine Kritiker legen ihm das als Opportunismus aus. Bevor Jeremy Corbyn ins Rennen einstieg, galt Burnham am ehesten als Kandidat des linken Flügels, der auch die wichtige Unterstützung der Gewerkschaften gewinnen könnte. Diese beobachten die Bemühungen in der Partei, sich wieder konservativer auszurichten, mit Skepsis. Zuletzt hat Burnham versucht, sich als Mann der Mitte zu positionieren, ohne die Gewerkschaften zu verärgern.

Yvette Cooper gilt als kompetent, redegewandt und erfahren. Zudem gibt es eine breite Bewegung in der Partei, die eine Frau an der Spitze sehen will. Ihr Hauptproblem ist, dass sie zum engen Zirkel von Gordon Brown und Ed Miliband gehörte, den Verlierern der letzten beiden Wahlen. Daher ist es nun schwierig für Cooper, sich von deren Politik zu distanzieren. Ihre Glaubwürdigkeit als Frau des Volkes versucht sie dadurch zu unterstreichen, dass sie gern darauf hinweist, die Enkelin eines Bergarbeiters und die Tochter eines Gewerkschafters zu sein.

Liz Kendall schließlich ist die wirtschaftsfreundlichste Kandidatin und am ehesten auf einer Linie mit Tony Blair. Dessen Name ist in der Partei einerseits mit dem Irak-Krieg verbunden, andererseits aber auch mit drei Wahlsiegen. Gegen sie spricht, dass sie am wenigsten Erfahrung hat. Für sie spricht, dass sie nach den Brown- und Miliband-Jahren für eine echte Veränderung stünde.

Mit der Debatte vom Mittwochabend hat das Rennen um den Parteivorsitz offiziell begonnen. Im Verlauf des Sommers werden die vier Kandidaten in weiteren Debatten versuchen, die Parteibasis für sich zu gewinnen. Am 14. August werden die Wahlunterlagen an alle Labour-Mitglieder verschickt. Diese haben bis zum 10. September Zeit, ihre Stimme abzugeben. Am 12. September wird auf einem Parteitag verkündet, wer die Ehre hat, die Labour-Partei durch ihre schwierigste Zeit seit 30 Jahren zu führen.

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