Großbritannien:Volkes unverständliche Stimme

Wieso ein britischer Politiker im Parlament ins Englische übersetzt werden muss - und darauf auch noch stolz ist.

Von Christian Zaschke

Wann immer Alan Brown sich im britischen Parlament erhebt, um eine Frage zu stellen oder gar eine längere Rede zu halten, werden die offiziellen Protokollanten nervös. Auch viele Abgeordnete werden von Unruhe erfasst und setzen sich so in Position, dass sie möglichst nahe an einem der Lautsprecher sind. Unglücklicherweise liegt das nicht daran, dass Brown für seine mitreißenden Reden bekannt ist. Es liegt vielmehr daran, dass man ihn im besseren Fall sehr schlecht versteht. Im schlechteren Fall versteht man ihn gar nicht.

In dieser Woche hat Brown erzählt, dass er mittlerweile nach jeder seiner Wortmeldungen von den Protokollanten gefragt werde, was er da gesagt habe und ob er das bitte schriftlich einreichen könne. Brown spricht einen schönen, aber ausgesprochen starken schottischen Dialekt. Erst allmählich ist ihm aufgefallen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen diesem Dialekt und den vagen Antworten, die er oft auf seine Fragen bekommt - sie wurden nicht verstanden. Eine beliebte Replik lautet: "Ich werde Ihnen schriftlich antworten."

Selbstverständlich gibt es auch Abgeordnete, die Brown mühelos folgen können. Die Kollegen von der Scottish National Party sowieso, und auch John Bercow, der Sprecher des Unterhauses, scheint bei Browns Einlassungen zumindest das Grundsätzliche zu verstehen. Andere tun sich deutlich schwerer. Brown erzählt, es sei mittlerweile ein Running Gag in Westminster, dass er kaum zu verstehen sei. Einerseits ist das für einen Parlamentarier etwas unpraktisch, andererseits ist Brown auch unverkennbar stolz auf seinen starken Dialekt, weil er damit seine regionale Identität ausdrückt.

Das Sprechen in teils herrlichen Dialekten ist in Großbritannien bis heute sehr ausgeprägt. Während in Deutschland die meisten Kinder in der Schule Hochdeutsch lernen, sprechen viele Briten mit teils deutlicher regionaler Färbung. Es gibt durchaus eine Standardaussprache (Received Pronunciation), doch die ist längst nicht so verbreitet wie in Deutschland. Der Brummie-Dialekt von Birmingham, der Geordie-Dialekt von Newcastle oder das berühmte Cockney-Englisch aus dem Londoner East End klingen fast so verschieden wie unterschiedliche Sprachen. Selbstverständlich spricht man im Norden von Wales deutlich anders als im Süden. Und in Liverpool spricht man einen einzigartigen Dialekt namens Scouse, der zustande kam, weil Mitte des 19. Jahrhunderts viele Iren in die Stadt zogen und deren Sprache prägten und für immer veränderten. Für ungeübte Ohren ist Scouse eine neue Fremdsprache.

Laut einer Studie der Universität Glasgow von 2015 sind die Dialekte in den meisten Teilen Großbritanniens in den vergangenen Jahrzehnten weniger vielfältig geworden, was unter anderem daran liege, dass im Fernsehen so viel Londoner Englisch zu hören sei. In Schottland hingegen, heißt es in der Studie, habe sich die Vielfalt in ihrer ganzen Pracht erhalten. Das ist unter anderem Männern wie Alan Brown zu verdanken, der angekündigt hat, auch künftig stolz im Dialekt von Ayrshire zu parlieren, selbst wenn das bedeutet, dass sich das Gros seiner Zuhörer weiterhin eher am Klang als am Inhalt seiner Reden erfreut.

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