Großbritannien und der Erste Weltkrieg:Ein bisschen Remmidemmi in Sarajevo

Minister will Queen eine Yacht schenken

Bildungsminister Michael Gove

(Foto: dpa)

"Nur ein kompletter Idiot würde einen Kriegsbeginn feiern": In Großbritannien ist ein Streit darüber entbrannt, wie man an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erinnern soll. Beteiligt sind Londons exzentrischer Bürgermeister, ein Ex-Comedian und der Bildungsminister, der den Deutschen die alleinige Schuld am Krieg gibt.

Von Alexander Menden, London

Der britische Streit darüber, wie des Ersten Weltkrieges zu gedenken sei, fing schon im vergangenen Jahr an. Da stellte Premierminister David Cameron die geplanten Gedächtnisveranstaltungen zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs auf eine Stufe mit der Thronjubiläumsfeier für die Queen: "Wie die Diamant-Jubiläumsfeier werden sie etwas über uns als Volk aussagen", sagte Cameron. Der Fernsehjournalist Jeremy Paxman meinte daraufhin, "nur ein kompletter Idiot" würde einen Kriegsbeginn "feiern".

Der Erste Weltkrieg ist in der britischen Psyche deutlich präsenter als in der deutschen, und so ist es kein Wunder, dass die politischen Lager sich in der Debatte um die Deutungshoheit in Position bringen. Zentral dabei sind die Fragen, wie viel Schuld damals wer am Kriegsausbruch hatte und wer heute der größere Patriot ist.

Der Minister spricht vom "gerechten Krieg"

Bildungsminister Michael Gove, der dem rechten Flügel der konservativen Partei angehört, hat da eine ganz klare Meinung: Die Kriegsschuld trug einzig und allein Deutschland. In einem Artikel in der Daily Mail schreibt Gove: "Der rücksichtslose Sozialdarwinismus der deutschen Eliten, das erbarmungslose Besatzertum, ihre aggressiv expansionistischen Kriegsziele und ihre Verachtung internationaler Ordnung hat jeden Widerstand mehr als gerechtfertigt."

Die britischen Soldaten seien nicht willige Werkzeuge ihrer eigenen Eliten gewesen, sondern hätten im festen Glauben an König und Vaterland in einem "gerechten Krieg" die "westliche, liberale Ordnung verteidigt".

Wogegen sich Michael Gove mit diesen robusten Einlassungen vor allem wendet, sind "linke Versionen der Vergangenheit, die dazu dienen, Großbritannien und seine Regierenden herabzusetzen". Namentlich nennt er den in Cambridge lehrenden Historiker Richard Evans, der ein erklärter Gegner des von Gove neugestalteten Geschichts-Lehrplans für die englischen Schulen ist. Evans kritisierte vergangenes Jahr besonders die nahezu vollständige Ausblendung kontinentaleuropäischer Geschichte im neuen Curriculum.

Nun zitiert Gove den Professor mit den Worten, "die Männer, die sich 1914 verpflichteten, dachten vielleicht, sie kämpften für die Zivilisation, eine bessere Welt, in einem Krieg, der alle Kriege beenden würde, einem Krieg zur Verteidigung der Freiheit: Sie hatten unrecht." Diese Haltung eines "zynischen Studienanfängers" stellt Gove auf eine Stufe mit der Darstellung des Ersten Weltkrieges in der Comedy-Serie "Blackadder", die alle am Krieg Beteiligten als Idioten präsentiert.

Die im Guardian veröffentlichte Erwiderung von Tristram Hunt, dem bildungspolitischen Sprecher der Labour-Opposition, ist ein Drahtseilakt. Der frühere Fernseh-Historiker will einerseits nicht unpatriotisch erscheinen, zugleich aber auch Goves Artikel, den er "schockierend" nennt, als eindimensional und reaktionär entlarven. Hunts Stück beginnt daher mit einer Apologie der britischen Linken während des Ersten Weltkriegs. Die Linke, die sich mutig im Krieg engagiert habe, brauche keine "Lehrstunde in Sachen Patriotismus, Ehre und Tapferkeit".

Zugleich attackiert Hunt Goves Stück aber als "bereinigte Version" der Darstellung des Historikers Max Hastings, der Deutschland in der Nachfolge von Fritz Fischers "Griff nach der Weltmacht" die Alleinschuld am Kriegsausbruch gibt. Hunt erwähnt die Thesen Christopher Clarks, der Serbien eine weitaus größere Mitschuld am Kriegsausbruch zuschreibt, als das bisher getan wurde, ohne sie sich jedoch ausdrücklich zu eigen zu machen (hier mehr zu Clarks Buch "Die Schlafwandler).

Ein "sehr, sehr dummer Fehler"

In jedem Fall sei Goves Bild des Krieges als "nationalistischer Triumph" völlig "töricht". Und auch Hunt zitiert Richard Evans: "Die Propagierung inakkurater Mythen dient nicht dazu, eine solide nationale Identität zu schaffen."

Die beiden Artikel haben ein großes Echo gefunden. So springt der Londoner Bürgermeister Boris Johnson seinem Parteifreund Gove im Daily Telegraph mit der Forderung bei, Tristram Hunt solle als "Shadow Education Secretary" zurücktreten - dabei ist dieses Oppositionspendant eines Regierungspostens gar kein offizielles Amt.

"Warum", fragt Johnson in typisch zwanglosem Ton, "musste man ein bisschen Remmidemmi in Sarajewo mit der Invasion Frankreichs beantworten, um Gottes willen?"

Deutschland trage fraglos die Verantwortung für beide Weltkriege, und Tristram Hunt beleidige die "immense spirituelle Leistung des modernen Deutschland", das sich in den vergangenen 60 Jahren in "schmerzhafter Offenheit" seiner historischen Verantwortung gestellt habe (hier der Link zu Johnsons Gastbeitrag).

Sir Tony Robinson, selbst Historiker, früher aber in "Blackadder" Darsteller des etwas dämlichen Private Baldrick, verteidigt derweil die Fernsehserie gegen den Vorwurf "linker Propaganda" und nennt Goves Artikel einen "sehr, sehr dummen Fehler". Der Bildungsminister sei mit seinen "hässlichen" Bemerkungen in eine "Zeit nationaler Besinnung" geplatzt. Richard Evans verwahrt sich gegen die "persönliche Attacke" Goves und findet, der Minister "sollte sich schämen". Und Max Hastings bezweifelt, das Tristram Hunt sein Buch überhaupt gelesen habe.

Regierung stellt 50 Millionen Pfund für Gedenken bereit

Es liegt ein langes Gedenkjahr vor Großbritannien. Die Regierung finanziert mit 50 Millionen Pfund nicht nur die Renovierung des Imperial War Museum, sondern auch Reisen ganzer Schulen auf die Schlachtfelder von Flandern. Zugleich finden in diesem Jahr die Europawahlen statt, die als Prüfstein für die 2015 anstehenden britischen Unterhauswahlen gelten.

Besonders die Konservativen befürchten, dass ihnen die rechtsgerichtete, europaskeptische UK Independence Party das Wasser abgraben könnte. Es steht zu vermuten, dass der Ton der Debatte über die richtige Gedenkkultur in Großbritannien ebenso rau wie patriotisch bleiben wird.

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