Großbritannien: Spionage-Krimi in Westminster:Die blonde Versuchung

Eine Mitarbeiterin des britischen Parlamentariers Mike Hancock soll sich sehr für britische Nuklearstreitkräfte interessiert haben. Jetzt sitzt die attraktive Russin in Abschiebehaft. Der Vorwurf: Sie soll für den russischen Auslandsgeheimdienst spioniert haben.

Lena Jakat

Die 25-jährige Russin Ekatarina Zatuliveter sitzt seit Donnerstag in britischer Abschiebehaft - nach Medienberichten auf Geheiß der Innenministerin Theresa May persönlich. Der Vorwurf: Sie soll für den russischen Auslandsgeheimdienst SVR spioniert haben. Anders als Anna Chapman, jene Immobilienmaklerin, die im Sommer in New York unter gleichlautenden Vorwürfen verhaftet wurde, war Zatuliveter mittendrin im Politikbetrieb: Seit zweieinhalb Jahren war die attraktive blonde Frau, die alle "Katia" nannten, als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den liberalen Unterhaus-Abgeordneten Mike Hancock tätig.

Großbritannien: Spionage-Krimi in Westminster: Agentin im Bastrock: Katia Zatuliveter soll für den russischen Auslandsgeheimdienst spioniert haben.

Agentin im Bastrock: Katia Zatuliveter soll für den russischen Auslandsgeheimdienst spioniert haben.

(Foto: © EAST2WEST)

Entweder ist für den 64-Jährigen Hancock die Verhaftung seiner Mitarbeiterin tatsächlich ein richtiger Schock, oder der britische Politiker ist ein ausgezeichneter Schauspieler. Der Hinterbänkler aus der südenglischen Hafenstadt Portsmouth, der mit seiner wehenden Mähne und dem Rauschebart aus seinem Kollegenkreis im Unterhaus heraussticht, erfuhr nach eigener Aussage am Wochenende aus der Presse von dem Verdacht gegen seine Mitarbeiterin.

Prompt stürzte sich der liberale Politiker in mehreren Interviews in die Verteidigung seiner Angestellten. In einer Erklärung forderte Hancock Beweise für die Anschuldigungen. Er könne das alles nicht nachvollziehen, schreibt Hancock. "Sie war eine exzellente und aufmerksame Mitarbeiterin und ich wünsche ihr in ihrer Situation alles Gute."

Zatuliveter ist in Dagestan aufgewachsen, einer russischen Republik im krisengeschüttelten Kaukasus, im Grenzland zwischen Russland und Georgien. Während des Tschetschenien-Konflikts in den neunziger Jahren floh sie aus ihrer Heimat, vor drei Jahren kam sie nach England. An der Universität von Bradford, an der einem Bericht des Telegraph zufolge auch ihre ältere Schwester tätig ist, absolvierte sie einen Master-Studiengang.

Übergewicht und Atomraketen

Zum ersten Mal soll Zatuliveter Hancock in Straßburg getroffen haben, wo der Liberale in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sitzt. Nach einem kurzen Praktikum dort war sie seit 2007 in seinem Abgeordnetenbüro tätig, bereitete Reden und Entwürfe vor. Zuletzt soll sie an einem Bericht über Übergewicht gesessen haben. Doch Mike Hancock, der auf seiner Website damit wirbt, sich für den Tierschutz und die ärztliche Versorgung starkzumachen, wäre für eine russische Spionin durchaus ein interessantes Objekt: Er ist Mitglied des parlamentarischen Verteidigungsausschusses, der die Arbeit des Verteidigungsministeriums überwacht.

Auffallendes Interesse zeigte Hancock jüngst für die britischen Nuklearstreitkräfte: Eine ganze Reihe parlamentarischer Anfragen soll er laut einem Bericht des Guardian zu Großbritanniens nuklearen Trident-U-Boot-Raketen und dem staatseigenen Atomic Weapons Establishment (AWE) gestellt haben. Das AWE wartet und organisiert das Atomwaffenarsenal des Königreichs und ist im südenglischen Aldermaston angesiedelt, nicht weit von Portsmouth entfernt. Diese Fragen seien keineswegs ungewöhnlich, verteidigt sich der Politiker. In seinem Wahlkreis befindet sich der größte Marinestützpunkt Großbritanniens mit insgesamt 17.200 Angestellten. Er habe ähnliche Fragen seit Beginn seiner parlamentarischen Karriere 1984 gestellt, beteuert Hancock. Damals war Zatuliveter noch nicht einmal geboren.

Ein Gerücht führt zur Nato

Jedoch ist auch seine Assistentin mit sicherheitspolitischen und militärstrategischen Fragen durchaus vertraut. Während erste Zeitungsberichte über eine KGB-Tradition in der Familie Zatuliveter spekulieren - ihr Vater Andrei Zatuliveter ist dem Telegraph zufolge ein "gut vernetzter Geschäftsmann in Russland mit Verbindungen zu einflussreichen Personen" -, gibt es dazu auch ganz konkrete Hinweise: Auf der Website des verteidigungspolitischen Thinktanks UK Defence Forum wird Zatuliveter für die Jahre 2008 und 2009 als "Forschungsmitarbeiterin und ordentliche Autorin" gelistet.

Der Telegraph zitiert einen Artikel, den sie zu dieser Zeit über die "fehlgeleitete Rolle der USA im Konflikt zwischen Georgien und Südossetien" verfasste. Dem Bericht zufolge ergreift sie darin entschlossen für die Militärstrategie Russlands Partei und argumentiert, die Nato sei für den Konflikt verantwortlich. Das Verteidigungsbündnis habe Moskau keine andere Wahl als den Militärschlag gelassen. Zatuliveter stellt darin sogar die Frage, ob nicht die Vereinigten Staaten gar "eine Strategie" ausgearbeitet hätten, um Russland zu provozieren. Etwa zur Zeit als der Artikel erschien, begann Zatuliveter, für Hancocks Büro zu arbeiten.

Ist der erfahrene Parlamentarier auf seine Mitarbeiterin reingefallen? In letzter Zeit fiel Hancock durch seine explizit prorussische Haltung auf. Bereits in den neunziger Jahren schmiedete er nach eigenen Angaben während seiner Tätigkeit bei der Versammlung der Regionen Europas enge Beziehungen zwischen dem britischen Hampshire und der Region um die russische Hauptstadt.

Hancock war zudem Vorsitzender der parteiübergreifenden Arbeitsgruppe Russland im Unterhaus - bis vor kurzem. Der Vorsitzende, Großbritanniens früherer Europaminister Chris Bryant von der Labour-Partei, hat ihn des Amtes enthoben. "Wir waren wegen Mike Hancocks Pro-Putin- und Pro-Medwedjew-Haltung besorgt", sagte Bryant dem Guardian. "Seine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die die Gruppe als Sekretärin unterstützt hatte, wurde richtig wütend und ging einfach."

War Katia Zatuliveter, bei der die Labour-Abgeordnete Kerry McCarthy vor allem an "vergleichsweise kurze Röcke" und belanglose Lift-Plaudereien denkt, also doch eine Spionin? Eine Schläferin wie Anna Chapman, die vom SVR erst noch aktiviert werden sollte?

"Vernehmung" am Flughafen

Der britische Geheimdienst MI5 scheint sich dessen sicher. Im August wurde Zatuliveter auf einem Londoner Flughafen befragt, als sie von einem Urlaub in Kroatien zurückkehrte. Während sie und ihr Chef stets von einer Routinebefragung sprachen, zitiert das Boulevard-Blatt Daily Mail eine namenlose Freundin, die von dem Zwischenfall als "Vernehmung" berichtet. Sie sei zu ihrer Familie in Russland und ihrer Arbeit in London befragt worden, zudem auch zu einer "sexuellen Beziehung" zu einem Nato-Mitarbeiter.

Einen solchen Verdacht dementiert das Verteidigungsbündnis. Zatuliveter jedenfalls hatte nicht nur im Rahmen ihrer Recherchen für das UK Defence Forum zu tun: Ihr Chef Mike Hancock hat auch ein Mandat in der Parlamentarischen Versammlung der Nato.

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