Großbritannien:Rücktritt des Brexit-Mahners spaltet die britische Politik

Britain's ambassador to the European Union Ivan Rogers is pictured leaving the EU Summit in Brussels

Ivan Rogers, ständiger Vertreter Großbritanniens bei der EU, gilt als erfahrenster Europakenner seines Landes. Nun ist der 56-Jährige noch vor den Brexit-Verhandlungen zurückgetreten.

(Foto: Francois Lenoir/Reuters)
  • Großbritanniens Botschafter bei der EU, Ivan Rogers, hat in einem Abschiedsbrief scharfe Kritik an den Brexit-Befürwortern seiner Regierung geübt.
  • Rogers war am Dienstag überraschend zurückgetreten, eigentlich hätte er noch bis zum Herbst im Amt bleiben sollen.
  • Sein Nachfolger steht bereits fest: Tim Barrow war früher britischer Botschafter in Russland.

Von Christian Zaschke, London

Ivan Rogers hat in seinem Abschiedsbrief keine Namen genannt, aber es ist ziemlich klar, wen er meinte. Am Dienstag ist Rogers als britischer Botschafter in Brüssel zurückgetreten, und wie nun bekannt wurde, hat er sich in einem ungewöhnlich offenen Brief an seine Mitarbeiter gewandt. Darin fordert er diese auf, sich auch weiter gegen "haltlose Argumente und verworrenes Denken" zu wenden. Das ist eine kaum verhohlene Spitze gegen die Brexit-Anhänger in seiner Regierung. Diese waren der Warnungen von Rogers zuletzt überdrüssig geworden und fanden, der Diplomat gehe die Sache zu negativ an.

Ursprünglich sollte Rogers noch mindestens acht Monate in Brüssel bleiben, dann wäre entschieden worden, ob sein Mandat verlängert wird. Die britische Regierung hat sich nun sehr schnell für einen Nachfolger entschieden. Der frühere Botschafter in Moskau, Tim Barrow, solle Rogers folgen, gab Downing Street am Mittwochabend bekannt. Der 62 Jahre alte Barrow war zuletzt Politischer Direktor im britischen Außenministerium und nahm schon an Verhandlungen in Brüssel teil. Er gilt nicht als Brexit-Hardliner, die Regierung nannte ihn einen erfahrenen und harten Verhandler. Ende März will Premierministerin Theresa May Brüssel auch offiziell gemäß Artikel 50 der EU-Verträge über den Austrittswunsch der Briten aus der EU unterrichten.

Danach beginnt die auf zwei Jahre begrenzte Phase der Verhandlungen, in denen zum Beispiel festgelegt werden muss, ob Großbritannien Teil des Binnenmarktes oder der Zollunion bleibt und ob es Übergangslösungen geben könnte. Rogers wäre in diesen Verhandlungen der Chef-Unterhändler gewesen.

Rogers gilt als europafreundlich

Den Befürwortern eines raschen und harten Brexit war er immer ein Dorn im Auge, weil er als EU-freundlich gilt. Rogers hat in seiner Karriere sowohl für den europafreundlichen Konservativen Kenneth Clarke gearbeitet als auch für den früheren Labour-Premierminister Tony Blair, der ebenfalls als europafreundlich gilt.

Seit 2013 war er der ständige Vertreter Großbritanniens bei der EU. Als solcher war es seine Aufgabe, London über die Geschehnisse in Brüssel zu unterrichten. Vor knapp einem Monat sorgte er für Aufsehen, als er warnte, Verhandlungen über neue Handelsabkommen könnten sich über zehn Jahre hinziehen. Die Brexit-Befürworter waren empört. Zwar hatte Rogers lediglich referiert, was er in Brüssel gehört hatte, doch galt er in den Augen der Brexit-Freunde als Angstmacher. Brexit-Minister David Davis ist der Ansicht, dass man den Austritt locker in den zwei Jahren verhandeln könne, die dafür vorgesehen sind, sobald Theresa May Brüssel Ende März unterrichtet hat.

Die EU-Gegner bgrüßten Rogers' Abschied, frühere Kollegen warnten, dass dieser Fall ein schlechtes Beispiel setze. Jonathan Powell, zehn Jahre Stabschef von Tony Blair, sagte: "Es ist wirklich beunruhigend, dass er offenbar das Gefühl hatte, er könne nicht mehr offen mit Ministern sprechen." Wenn diese nur jemanden wollten, der immer brav Ja sage, sei das ein fundamentales Problem. "Was ist dann noch der Zweck unseres unabhängigen Beamtentums, das eine tragende Säule unserer ungeschriebenen Verfassung ist?", so Powell.

"Man ernennt Botschafter nicht auf der Grundlage dessen, was sie glauben"

Simon Fraser, von 2010 bis 2015 Ständiger Sekretär am Außenministerium, ärgerte besonders, dass die EU-Gegner forderten, der Botschafter in Brüssel müsse jemand sein, der wirklich an den Brexit glaube. "Man ernennt Botschafter nicht auf der Grundlage dessen, was sie glauben, sondern auf der Grundlage dessen, was sie wissen", sagte er. Er beschreibt Rogers als "hochintelligent, kundig und erfahren", als "einen der größten Experten in europäischen Angelegenheiten, die wir haben".

Aufseiten der Brexit-Befürworter äußerte sich der frühere Arbeitsminister Iain Duncan Smith am Mittwoch am ausführlichsten. Er sagte, Rogers sei einer der Beamten, die zu leichtfertig glaubten, was sie in Brüssel hörten. Außerdem nehme er sich vielleicht etwas arg wichtig. Dass Rogers' Abschiedsbrief öffentlich wurde, überrascht Duncan Smith nicht. "Er wusste sehr gut, was er da tat", sagte er, "und wenn ein Beamter in dieser Weise an die Öffentlichkeit geht, können die Minister ihm nicht länger vertrauen."

Rogers hatte in dem Brief an seine Mitarbeiter unter anderem geschrieben: "Ich hoffe, Sie werden niemals Angst davor haben, denen an der Macht die Wahrheit zu sagen. Ich hoffe, Sie werden einander in diesen schwierigen Zeiten unterstützen, wenn Sie Botschaften überbringen müssen, die die Empfänger nicht hören wollen." Ein Verhandlungsteam für den Austritt gebe es noch nicht, schrieb er, und eine Strategie schon gar nicht.

Die Regierung kommentierte Rogers' Einlassung nicht. Nachfolger Tim Barrow teilte mit, er freue sich darauf, mit dem britischen Brexit-Team daran zu arbeiten, dass "wir das richtige Ergebnis für das Vereinigte Königreich erzielen, wenn wir die EU verlassen".

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