Großbritannien:Rückruf der Truppen

Lesezeit: 2 min

Eine britische Aktivistin vor dem Parlament in London versucht die Abgeordneten vom Verbleib in der Europäischen Union zu überzeugen. (Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Die konservativen Rebellen, die Theresa May beim Brexit eine Niederlage hätten beibringen können, haben den Aufstand abgeblasen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Vor Kurzem hatten die Boulevardzeitungen den Abgeordneten im Unterhaus noch gedroht, die sie für Abweichler halten, oder, so der Sprachgebrauch in Westminster, für Meuterer. "Großbritannien oder großer Verrat" war auf den Titelseiten zu lesen, oder auch "Sie stimmen gegen den Brexit - aber auf eigene Gefahr". Das war vor dem Showdown zwischen Regierung und Parlament gewesen, der für vergangene Woche erwartet worden war.

Fünfzehn Änderungsvorschläge waren aus dem Oberhaus ins Unterhaus weitergereicht worden, die den Brexit abmildern und den Parlamentariern mehr Mitsprache geben sollten; letztlich wurde keiner von ihnen angenommen. Der Grund, unter anderem: ein Kompromissvorschlag von Theresa May zum "meaningful vote", dem Mitspracherecht des Unterhauses über den Inhalt des Deals mit Brüssel. Einige der "Meuterer" unter den Tories hatten sich darauf bereitwillig eingelassen - konnten sie doch dadurch den Eindruck widerlegen, den ihre Kritiker verbreiten: dass es den Abweichlern nicht um bessere Lösungen für den EU-Austritt, sondern um eine Abkehr vom Brexit gehe.

Doch May habe, klagen die, die sich von einem Votum für einen "meaningful vote" abbringen ließen, ihr Versprechen nicht gehalten. In der Version aus Downing Street hieß es, die Abgeordneten sollten, falls es bis Februar mit Brüssel nicht zu einer Einigung komme, die Regierung beraten. Aber nicht etwa anstelle der Regierung entscheiden. Ein dezidiertes Mitspracherecht sei ausgeschlossen, ließ May ausrichten, das habe sie auch nie versprochen.

Abgeordnete, die gegen den EU-Austritt sind, bekommen regelmäßig Morddrohungen

Also war alles zurück auf null, mit dem Unterschied: Die Meuterer, etwa ein Dutzend bei den Tories, die mit der Mehrheit der Labour-Kollegen gestimmt hätten, standen mit leeren Händen da und waren sauer. An diesem Mittwoch war der entscheidende Änderungsvorschlag daher wieder im Parlament. Diesmal schrieb die Sun von Mays "D-Day"; sie führe wieder Hinterzimmergespräche, um eine Niederlage zu vermeiden. Der Daily Mirror schreibt über den "Brexit-Showdown" und warum die Tories sich darüber im Krieg miteinander befänden. Aber die Artikel in zwei einflussreichen Pro-Brexit-Blättern standen diesmal nicht auf der ersten Seite.

Das mag daran liegen, dass die Details des Krieges bei den Tories, auf den der Mirror anspielt, normalen Menschen kaum noch zu vermitteln sind. Es kann aber auch daran liegen, dass Regierung und Meuterer erneut auf einen Kompromiss zusteuern. Strittig war dabei bis zuletzt die Frage: Darf das Unterhaus der Regierung einen Fahrplan vorschreiben, falls die Verhandlungen mit Brüssel scheitern? Oder darf es nur, in neutraler Form, die Erklärungen der Regierung "zur Kenntnis nehmen"?

Während der Debatte näherten sich die Lager an; spätestens als eine erklärte Abweichlerin twitterte, sie stimme für den Vorschlag der Regierung, war klar, dass es nicht zum Aufstand der May-Gegner kommen würde. Brexit-Minister David Davis hatte einen alternativen Plan vorgelegt, nach dem der Unterhaus-Sprecher als Vermittler zwischen Regierung und Parlament eingesetzt würde. Und so rettete sich Theresa May einmal mehr durch eine Abstimmung, ohne dass Inhaltliches geklärt worden wäre: Das Votum endete mit 319 zu 303 Stimmen für sie. Intensive Verhandlungen mit Brüssel dürften erst im September weitergehen.

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: