Großbritannien:Renaissance der Tories

Die Konservativen lassen in Schottland die Labour-Partei hinter sich. Bei der Bürgermeisterwahl in London könnte in Sadiq Khan erstmals ein muslimischer Kandidat die Abstimmung für Labour gewinnen.

Von Christian Zaschke, London

Die wohl größte Überraschung bei den Regional- und Kommunalwahlen in Großbritannien ist Ruth Davidson gelungen. Die 37 Jahre alte Chefin der schottischen Konservativen hat das Direktmandat im Wahlkreis Edinburgh Central gewonnen. Die Tories haben ohnehin einen schweren Stand in Schottland, das traditionell links wählt, und Edinburgh Central galt als Sitz, der mit größter Sicherheit an die Scottish National Party (SNP) gehen würde. Und wenn nicht an die SNP, dann eben wie früher an Labour. Aber an die Konservativen? Unmöglich.

Noch vor wenigen Tagen waren die SNP-Aktivisten, die in dem Wahlkreis um Unterstützung warben, äußerst aufgeräumter Stimmung, weil sie bei ihren Befragungen an praktisch jeder Haustür zu hören bekamen: Wir wählen SNP. Gewonnen hat aber Davidson, die überdies eine Renaissance der Tories in Schottland eingeläutet hat. Die Partei wurde hinter der SNP zweistärkste Kraft. Die Labour-Partei, die das Land jahrzehntelang dominiert hatte, ist auf den dritten Platz zurückgefallen. Die regierende SNP hat sogar noch mehr Stimmen gewonnen als vor fünf Jahren, aber wegen der Tücken des ausgeklügelten schottischen Wahlsystems ihre absolute Mehrheit knapp verloren.

Außer in Schottland haben die Wähler in Wales und in Nordirland die Zusammensetzung der Regionalparlamente bestimmt, zudem standen in weiten Teilen Englands Kommunalwahlen an. Die Auszählung aller Wahlkreise dauert bis Sonntag, es war jedoch rasch klar, dass Labour in Wales trotz Verlusten stärkste Kraft bleibt. In der Hauptstadt London wurde ein neuer Bürgermeister gewählt. Nach Auszählung von 90 Prozent der Wahlkreise lag Labour-Kandidat Sadiq Khan so deutlich vor seinem konservativen Herausforderer Zac Goldsmith, dass an seinem Sieg keine Zweifel mehr bestanden. Damit fiele das Amt nach acht Jahren zurück an Labour. Der vormalige konservative Bürgermeister Boris Johnson war nicht mehr angetreten. Er sitzt mittlerweile im Parlament von Westminster, wo er hofft, eines nicht allzu fernen Tages Premierminister David Cameron zu beerben.

Scotland's First Minister and SNP leader Nicola Sturgeon makes a speech, after winning her seat, at a counting centre in Glasgow, Scotland

Nicola Sturgeon ist Erste Ministerin Schotlands und Chefin der Scottish National Party (SNP). Diese wurde bei den Kommunalwahlen zur stärksten Kraft.

(Foto: Russell Cheyne/Reuters)

Die Londoner Abstimmung galt auch als Fingerzeig in Bezug auf das Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft, das in sieben Wochen stattfindet. Während Labour-Mann Khan für den Verbleib in der EU wirbt, hat sich der Konservative Goldsmith dagegen positioniert. Noch vor Ende der Auszählung bezeichneten politische Beobachter diese Entscheidung als Goldsmiths größten Fehler, da London überwiegend europafreundlich eingestellt ist.

Die Auseinandersetzung der beiden Kandidaten hatte ihren Reiz auch daraus bezogen, dass sie so unterschiedlich sind. Der 45 Jahre alte Khan ist der Sohn eines Busfahrers, der aus Pakistan einwanderte. Goldsmith, 41, ist Sohn des Milliardärs Sir James Goldsmith - mehr Establishment geht nicht. Die Frage war also, ob die Stadt einen Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen wählen würde, der zudem der erste muslimische Bürgermeister Londons wäre, oder ob sie sich für den freundlichen Milliardenerben mit den perfekt sitzenden Anzügen entscheidet. Im Laufe des Freitags zeichnete sich immer klarer ab, dass Khan das Rennen machen würde.

Landesweit hat die Labour-Partei rund sechs Prozent ihrer Stimmen eingebüßt. Das ist insofern bemerkenswert, als die Partei, die im Parlament von Westminster die Opposition bildet, bei lokalen Wahlen in Großbritannien normalerweise zulegt. Allerdings ist die Niederlage nicht so drastisch ausgefallen wie erwartet. Parteichef Jeremy Corbyn zeigte sich am Freitag sogar zufrieden mit dem Ergebnis. Bei einer deutlicheren Niederlage hätte er unter Umständen mit einer Revolte in der Partei rechnen müssen. Nun steht fest, dass Labour mit Corbyn an der Spitze in den sich unmittelbar anschließenden Wahlkampf zieht: In diesem wird die Mehrheit der Partei die Wähler davon zu überzeugen versuchen, am 23. Juni für den Verbleib in der EU zu stimmen.

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