Boris Johnson über Winston Churchill:Ein Politiker wie Parmesan-Käse

Winston Churchill

Winston Churchills Devise lautete: Keep calm and carry on - ruhigbleiben, weitermachen. Diese Aufnahme des legendären britischen Staatsmannes entstand 1955

(Foto: A0001 UPI/dpa/dpaweb)

Londons schillernder Bürgermeister hat ein Buch über Winston Churchill geschrieben. Boris Johnson preist den britischen Kriegspremier - und entdeckt eine Gemeinsamkeit mit italienischem Hartkäse.

Von Alexander Menden, London

Noch spannender als die Lektüre mancher Bücher ist bisweilen die Frage: Wie hat der betreffende Autor überhaupt die Zeit gefunden, mehr als vierhundert Seiten zu füllen? Im Falle Boris Johnsons ist diese Frage doppelt berechtigt.

Er ist ja nicht nur der überaus publicitytüchtige Bürgermeister Londons und ein gut bezahlter Zeitungskolumnist, sondern seit der jüngsten britischen Unterhauswahl auch noch Parlamentarier und (unregelmäßiger) Teilnehmer an den Kabinettssitzungen von Premierminister David Cameron.

Und doch hat er ein dickes Buch über seinen politischen Helden Winston Churchill geschrieben, das in Großbritannien umgehend zum Bestseller avancierte. Eine weitere Frage lautet: Warum schreibt Johnson ausgerechnet über einen der meistbeschriebenen Männer des 20. Jahrhunderts?

Zuerst ist festzuhalten, dass, wie nicht anders zu erwarten bei diesem nie um einen lockeren Spruch verlegenen Politiker, "Der Churchill Faktor" süffig zu lesen ist, nicht übermäßig detailversessen, und mit wohlberechneten Respektlosigkeiten aufgelockert ("Ja, er hat den gleichen Hut-Geschmack wie Stan Laurel, und ja, er trägt gepunktete Fliegen und Nadelstreifen-Anzüge, mit denen er aussieht wie ein Rechtsanwalt vom Land"). Es ist keine wirkliche Biografie, eher eine launige historische Bewertung durch die Johnson-Brille.

Breiter Raum für die lieblose Kindheit

Für all jene, die sich etwas eingehender mit Winston Churchill befasst haben, gibt es in "Der Churchill Faktor" keine neuen Entdeckungen zu machen. Johnson hat keine unbekannten Dokumente entdeckt und eröffnet auch keine radikal andere Sicht auf den Kriegspremier.

Dessen lieblose Kindheit nimmt relativ breiten Raum ein, und es gibt mehrere Kapitel allgemeiner Betrachtungen von Churchills richtungsweisendem Einfluss auf die politischen Geschicke des 20. und 21. Jahrhunderts, wie die Errichtung der Europäischen Gemeinschaft und seine Interventionen im Nahen Osten.

Einige Aspekte, speziell der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, betrachtet Johnson durchaus illusionsloser als so mancher Churchill-Biograf.

Die Evakuierung der britischen Armee aus Dünkirchen, die schon Churchill selbst in einem PR-Coup zu einem Triumph des Widerstandswillens umdeutete, nennt Johnson "die größte Demütigung für britische Streitkräfte seit dem Verlust der amerikanischen Kolonien". Und auch daraus, dass Churchill bei der Anwendung von Gewalt "rücksichtslos" war, macht er keinen Hehl.

Genauso wenig lässt er aber einen Zweifel daran, dass seiner Meinung nach die Nazis den Zweiten Weltkrieg ohne Churchill als Gegner unweigerlich gewonnen hätten. Das tut er mit typischer Idiosynkrasie, wenn er vorschlägt: "Denken wir uns einfach eine gigantische Hand wie in den Monty-Python-Filmen, die ihn aus dem rauchgeschwängerten Saal entfernt."

Dann wäre die Entscheidungsgewalt in den Händen von Halifax und Chamberlain gewesen, schwächlichen Appeasement-Befürwortern, die Hitler nichts entgegenzusetzen hatten.

Eine hohe Meinung von Churchill - wie von ihm selbst

Diese permanente Positionierung Churchills gegen das Establishment seiner eigenen Partei ist sicherlich der interessanteste Aspekt von Johnsons Ausführungen. Hier findet man auch die Antwort auf die Frage, warum er dieses durchaus wohlbeackerte Feld noch einmal literarisch bestellen wollte.

Denn "Der Churchill Faktor" ist eben auch ein Buch über seinen eigenen Autor. Unter dem Strich sieht Boris Johnson sich selbst als das, was seiner Meinung nach auch Winston Churchill immer war: ein konservativer Rebell, klüger, witziger, mit einer kraftvolleren politischen Vision und einem untrüglicheren Realitätssinn ausgestattet als all seine Konkurrenten aus der Tory-Spitze. Boris, ein Winston unserer Tage.

Die Tories achteten "eifersüchtig auf ihr Verhältnis zu Churchill", so Johnson. "Sie ehren ihn, wie die Bewohner Parmas den formaggio parmigiano, den Parmesan, ehren. Er ist ihr bester Käse, ihr preisgekrönter Besitz, der weltbeste Torschützenkönig und größte Kapitän der Tory-Mannschaft aller Zeiten."

Boris Johnson über Winston Churchill: Boris Johnson, Der Churchill Faktor. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Werner Roller, Klett-Cotta 2015, 472 Seiten, 24,95 Euro.

Boris Johnson, Der Churchill Faktor. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Werner Roller, Klett-Cotta 2015, 472 Seiten, 24,95 Euro.

Er frage sich manchmal, "ob die Leute heute überhaupt noch wissen, mit welchem Misstrauen und Zweifeln er seinerzeit von den Tories aufgenommen wurde, als er im Jahr 1940 Premier wurde - oder ob sich jemand an den Geifer erinnert, mit dem einst sein Name ausgespien wurde".

Man soll zweifellos mitdenken: Solcher Geifer trieft auch von den Lefzen jener talentloser Tories, die Johnsons unkonventionellen, stetig Werbung in eigner Sache machenden Politikstil nicht zu goutieren wissen. Die Geschichte wird sie eines Besseren belehren!

Zumindest, was seine hohe Meinung von sich selbst angeht, steht Boris Johnson seinem Vorbild also in nichts nach. Sehr viel weiter gehen die Parallelen allerdings nicht. Und eines ist auch sicher: Hätte Winston Churchill, immerhin Literaturnobelpreisträger, ein Buch über Boris Johnson schreiben müssen, es wäre deutlich dünner ausgefallen.

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