Großbritannien:Rebell an Camerons Seite

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Einst gegen, jetzt für den Verbleib in der EU: Labour-Chef Jeremy Corbyn bei seiner Europa-Rede. (Foto: Stefan Wermuth/Reuters)

Labour-Chef Jeremy Corbyn ist Oppositionsführer und damit wichtigster Kritiker des Premiers. Doch kurz vor dem Referendum wirbt er nun für einen Verbleib Großbritanniens in der EU - und stützt so den Regierungschef.

Von Christian Zaschke, London

Wochenlang hat er zum Thema geschwiegen, erst am Donnerstag äußerte sich Jeremy Corbyn erstmals ausführlich zum Referendum über die britische Mitgliedschaft in der EU. Der Labour-Chef sprach vor Studenten und Gewerkschaftern in London und sagte, er werde sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU einsetzen. Für die EU-Freunde in der Partei war das eine große Erleichterung, da Corbyn als EU-kritisch gilt. Beim Referendum im Jahr 1975 hatte er für einen Austritt aus der Gemeinschaft gestimmt.

Corbyns Entscheidung bedeutet, dass er sich nun für die gleiche Sache einsetzt wie Premierminister David Cameron, was äußerst selten der Fall ist. Der Regierungschef begrüßte Corbyns Einlassung und sagte: "Wir sind in vielen Dingen unterschiedlicher Ansicht, aber Tatsache ist, dass wir nun alle zusammenkommen, um für die Idee zu werben, dass Großbritannien Mitglied einer reformierten EU bleibt."

Die Labour-Wähler gelten als entscheidend bei der Abstimmung am 23. Juni. Während die Konservativen in der Frage gespalten sind, ist das Gros der Anhänger von Labour EU-freundlich. Jüngste Erhebungen sehen beide Lager gleichauf. Nach Ansicht der Umfrage-Institute wird die Wahlbeteiligung ein wichtiger Faktor sein: Je niedriger sie ausfalle, desto wahrscheinlicher sei ein Austritt des Vereinigten Königreichs.

Corbyn begründete seinen Standpunkt damit, dass durch die Mitgliedschaft in der EU die Arbeitnehmerrechte in Großbritannien am besten geschützt werden könnten. Sollte das Land austreten, werde die konservative Regierung das zum Anlass nehmen, den Schutz der Arbeiter mehr oder weniger abzuschaffen.

"Nichts was ich tue, ist jemals halbherzig", sagt Corbyn mit einem Lächeln

Gefragt, wie sich seine Ansicht mit seiner früheren Kritik an der EU vertrage, sagte er: "Ich war in der Vergangenheit auch nicht immer einverstanden mit dem Weg, den Labour eingeschlagen hat. Aber ich war immer sicher, dass es richtig ist, Partei-Mitglied zu bleiben." Mit sichtlicher Freude fügte er an: "Und man könnte sagen, dass es mir in jüngerer Vergangenheit durchaus gelungen ist, den Kurs der Partei zu ändern." Der 66 Jahre alte Corbyn zählt zum sehr linken Flügel der Partei und war im vergangenen Jahr sensationell zum Labour-Chef gewählt worden. Ob seine Unterstützung für den Verbleib nicht in erster Linie eine Konzession an sein pro-europäisches Schattenkabinett und daher halbherzig sei, wurde Corbyn gefragt. Erneut lächelnd und unter großem Beifall sagte er: "Nichts was ich tue, ist jemals halbherzig."

Corbyn und Cameron werden in den kommenden Wochen die Gruppe "Britain Stronger in Europe" unterstützen, die sich für den Verbleib einsetzt. Die EU-Gegner sammeln sich in der Kampagne "Vote Leave", zu der unter anderem der Londoner Bürgermeister Boris Johnson sowie Justizminister Michael Gove gehören. Diese Gruppen sind von der Wahlkommission am Mittwoch zu den offiziellen Vertretern der beiden Lager ernannt worden. Das bedeutet, dass sie im Wahlkampf bis zu sieben Millionen Pfund ausgeben dürfen, dass sie 600 000 Pfund an öffentlichen Fördermitteln und kostenfreie Sendeplätze für Fernsehspots erhalten.

Im Lager der EU-Gegner hat die Entscheidung der Wahlkommission zu Verwerfungen geführt, weil sich mehrere Gruppen darum beworben hatten, offizielle Vertreter der Austrittskampagne zu werden. Unter den Gruppen war es immer wieder zu Streit gekommen. Nun sagte ein Sprecher der Gruppe "Leave.EU", die Entscheidung rieche "nach politischer Korruption".

Leave.EU hatte wiederum "Grassroots Out" unterstützt, eine Bewegung, der auch Nigel Farage angehört, Chef der EU-feindlichen UK Independence Party. Dieser galt lange als zentrale Figur der Anti-EU-Bewegung, wurde zuletzt jedoch marginalisiert. Farage sagte, er könne sich nun vorstellen, mit der offiziellen Kampagne zusammenzuarbeiten, da sie akzeptiert habe, dass das Thema Immigration eine zentrale Rolle im Wahlkampf spielen müsse. Genau dieses Thema will "Vote Leave" allerdings möglichst kleinhalten und stattdessen, wie die Gruppe mitteilt, "eine positive Kampagne für den Austritt" führen.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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