Großbritannien:Ohne Humor und ohne Ärzte

Die britische Premierministerin Theresa May läutet bei den Tories eine neue Zeit der Ernsthaftigkeit ein - und macht Stimmung gegen ausländische Mediziner und "linke Menschenrechtsanwälte".

Von Christian Zaschke, Birmingham

Sie hat es nicht gesagt. 45 Minuten lang hat Theresa May zum Abschluss des Parteitags der britischen Konservativen in Birmingham gesprochen, und nicht ein einziges Mal äußerte sie den Satz, mit dem sie die Briten in den knapp drei Monaten ihrer Amtszeit so trefflich unterhalten hat. Am Sonntag, in ihrer Eröffnungsrede, ging ihr das "Brexit heißt Brexit" noch locker über die Lippen. Doch am Mittwoch, in ihrer ersten großen programmatischen Rede als Premierministerin, verkniff sie sich den Satz. Vielleicht hat es sich mittlerweile bis in die Downing Street herumgesprochen, dass Mays erfrischend sinnfreies Mantra "Brexit heißt Brexit" unter den politischen Beobachtern in Westminster ein Quell steter Erheiterung ist.

Diesmal erwähnte sie den Brexit nur nebenbei, was insofern erstaunte, als der Austritt aus der EU das alles beherrschende Thema des Parteitags war. Das Spannendste an diesen Zusammenkünften sind normalerweise die vielen kleinen Diskussionen am Rande, in denen über wirklich alles diskutiert wird, über die Rolle der Luftfahrt in Großbritannien ebenso wie über das leidige Thema Parken, darüber, wie schnell dieses Internet eigentlich genau ist und was gerade in den Gefängnissen so los ist. Diesmal aber schien es in fast jeder Diskussion um den Brexit zu gehen, und eine der Debatten fand tatsächlich unter der Überschrift "Brexit heißt Brexit" statt.

Das Recht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte soll in Großbritannien nicht gelten

Was Brexit wirklich heißt, hat May in den Tagen von Birmingham zumindest angedeutet. Die Einwanderung aus der EU soll beschränkt werden, zudem soll die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Königreich nicht mehr gelten. Daraus folgt aller Voraussicht nach, dass Großbritannien nicht mehr Mitglied des europäischen Binnenmarktes sein wird. Das bekräftige May am Mittwoch. Im Wesentlichen konzentrierte sie sich jedoch auf soziale Themen.

Ihr Hauptanliegen ist es, die Tories zur Partei der Arbeiter umzudefinieren. "Labour hat kein Monopol auf Mitgefühl" sagte sie. Die Partei habe ihr Recht verwirkt, sich als Vertretung der Arbeiter und des Gesundheitssystems zu stilisieren. Vielmehr sei Labour nun die "hässliche Partei". Diese Aussage wurde mit Begeisterung aufgenommen. Auf dem Parteitag 2002 hatte sie gesagt, dass viele Briten die Tories als die "hässliche Partei" wahrnähmen. Die Delegierten reagierten damals geschockt. Wie konnte sie so etwas sagen? 14 Jahre später hat May die Bezeichnung nun Labour zugeschoben, es wirkte, als wolle sie einen Fluch von ihrer eigenen Partei nehmen. Diese zeigte in Birmingham aber durchaus auch ihre hässlichen Seiten.

Gemeinsam mit Gesundheitsminister Jeremy Hunt gelang es May zum Beispiel, ein Viertel der im Land praktizierenden Ärzte zu verprellen. Dieses Viertel ist nicht in Großbritannien geboren, und wer Hunts Rede hörte, kam nicht umhin, das als Makel verstehen zu müssen. Der Minister sagte, dass man künftig mehr Ärzte ausbilden wolle. Das ist in Anbetracht der chronischen Überlastung des Gesundheitssystems eine exzellente Idee. Hunt führte aus, dass man schlicht mehr britische Ärzte im System brauche, und May assistierte, indem sie sagte, in einer Übergangsphase könnten die Ärzte aus dem Ausland natürlich im Land bleiben. Bis eben genügend britische Ärzte da seien. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon nannte es erstaunliche Arroganz, dass die Tories den ausländischen Ärzten gnädig erlaubten, im Land zu sein, um Leben zu retten.

Bemerkenswert war, dass May lediglich eine heitere Bemerkung in ihre Rede flocht. Humor ist bei britischen Parteitagsreden üblich, aber May wollte offensichtlich klarmachen, dass mit ihr am Ruder eine Zeit der Ernsthaftigkeit angebrochen ist. Ihren einzigen kleinen Scherz machte sie auf Kosten von Boris Johnson, indem sie sagte, eine der großen Fragen des Parteitags sei gewesen, ob Johnson vier Tage lang auf Linie bleiben würde. Antwort: Naja, beinahe. Das war bestenfalls mittelwitzig, wurde aber mit großem Gelächter aufgenommen, was daran liegt, dass die meisten Delegierten schon bei der Erwähnung des Namens Johnson lächeln. Er ist weiterhin der Liebling der Partei und festigte diesen Status, in dem er wie gewohnt die witzigste Rede hielt, in der er unter anderem den russischen Außenminister Sergej Lawrow durch den Kakao zog.

Am Konkretesten war Mays Aussage, sie werde dafür sorgen, dass britische Truppen künftig nicht mehr von, wie sie es nannte, "linken Menschenrechtsanwälten" für Verbrechen im Krieg angeklagt werden könnten. Ansonsten bestand die Rede aus eher vagen Absichtserklärungen. Sie wolle sicherstellen, dass große Unternehmen sich anständig benehmen, in die Infrastruktur investiert wird und die Eliten den Wählern wieder zuhören. Ihre Vision sei ein Land, in dem die Menschen zusammenarbeiten und einander unterstützen. Das mag banal klingen, richtet sich aber in Wahrheit gegen eine Ikone der Partei. Es war Margaret Thatcher, die gesagt hat, so etwas wie eine Gesellschaft gebe es nicht. May ist da offenbar anderer Ansicht.

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