Großbritannien:Neue Gesichter, alte Skepsis

Premier David Cameron macht sich nach der Wiederwahl umgehend an die Arbeit: Er zeigt demonstrativ Nähe zu denen, die Abstand zu Europa wünschen.

Von Christian Zaschke, London

Boris Johnson kam mit dem Fahrrad. Der Londoner Bürgermeister erreichte den Amtssitz des britischen Premierministers am Montagvormittag, er nahm den Helm ab und brachte sein blondes Haar gekonnt in Unordnung. Er streifte im Gehen den Rucksack ab, und als er schließlich vor der berühmten schwarzen Tür stand, drehte er sich zu den Fotografen und winkte. Es ist das offenste Geheimnis in Westminster, dass Johnson gern Premier anstelle des Premiers wäre, weshalb das Bild symbolische Kraft hatte: Es sah so aus, als habe sich Johnson in diesem Moment endlich seinen Traum erfüllt, in 10 Downing Street einzuziehen. Aber er war nur zu Besuch.

Premier bleibt nach dem Wahlsieg der Konservativen selbstverständlich David Cameron. Der war am Montag wie schon am Wochenende damit beschäftigt, die Posten in seinem neuen Kabinett zu verteilen. Er erhob mehr Frauen als zuvor in den Ministerrang, trug dafür Sorge, dass auch Vertreter des rechten Flügels der Partei berücksichtigt wurden, und er fand auch ein Plätzchen für seinen alten Rivalen Johnson. Dieser wird an den Sitzungen des sogenannten politischen Kabinetts teilnehmen. Hierbei handelt es sich um das Zusammentreffen des tatsächlichen Kabinetts mit weiteren wichtigen Vertretern der Partei.

Dass Johnson nach seiner Rückkehr ins Parlament nicht gleich ein Ministerium übernehmen würde, war von Beginn an klar, weil er noch bis Mai kommenden Jahres nicht nur Abgeordneter, sondern auch Bürgermeister von London ist. Ein weiteres Mal tritt er nicht in London an, weshalb er bei einer künftigen Kabinettsumbildung für einen Ministerposten infrage kommt.

"Ein besserer Deal für die britische Bevölkerung" steht ganz oben auf der Agenda

Dass er sich vorher schon in wichtigen Fragen Gehör verschaffen will, machte Johnson am Montag in seiner wöchentlichen Kolumne im Daily Telegraph deutlich. Er führte aus, Premier Cameron müsse sich um eine Reform des Verhältnisses zur EU bemühen, und er sei sehr zuversichtlich, dass diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein würden. Johnson ist zu der Ansicht gelangt, dass viele europäische Regierungen die britischen Pläne in Wahrheit "scheu, fast verschämt" gutheißen.

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Wie sehr die Frage der EU-Mitgliedschaft den Beginn von Camerons zweiter Legislaturperiode bestimmen wird, zeigte sich nun auch daran, dass der Premier zunächst zum "1922 Komitee" seiner Partei sprach, einem Zusammenschluss von Hinterbänklern, und er der Gruppe versprach, er werde in Brüssel "einen besseren Deal für die britische Bevölkerung" aushandeln.

Zwischen 60 und 100 Hinterbänkler hatten ihm in der Vergangenheit in die EU betreffenden Fragen die Gefolgschaft verweigert. Nun suchte der Premier gleich am ersten vollen Arbeitstag in Westminster den Schulterschluss. Er habe seit der Wahl bereits mit einigen europäischen Regierungschefs über das Thema gesprochen, teilte er mit. "Wir werden unser Verhältnis zur EU erneuern und sicherstellen, dass wir einen besseren Deal erreichen und auf dieser Grundlage eine Volksabstimmung über die Mitgliedschaft abhalten", sagte Cameron dem Komitee.

Diese Abstimmung soll bis spätestens Ende 2017 stattfinden. Der Telegraph will jedoch erfahren haben, dass das Referendum eventuell auf 2016 vorgezogen werde. Ein britisches Team, angeführt von Cameron, Finanzminister George Osborne und Außenminister Philip Hammond, wolle möglichst schnell verhandeln. Die Abstimmung solle bereits 2016 stattfinden, damit das Thema rasch erledigt sei.

Cameron will vor allem sicherstellen, dass Einwanderer aus anderen EU-Staaten nicht sofort Zugriff auf Sozialleistungen in Großbritannien haben. Nach seinen Vorstellungen sollten EU-Bürger zunächst vier Jahre lang im Land gearbeitet haben, bis sie vom Sozialsystem profitieren können. Manche Konservative liebäugeln gar mit einer Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der EU, was allerdings mit den meisten europäischen Staaten nicht zu machen ist. Zu Wochenbeginn haben mehrere osteuropäische Politiker in der Financial Times gewarnt, die Freizügigkeit innerhalb der Union sei unantastbar.

Eine erste Auseinandersetzung mit Brüssel steht für Cameron nun unmittelbar an, bevor die Verhandlungen über die Mitgliedschaft ernsthaft begonnen haben. Seine neue Regierung lehnt die jüngsten Pläne der EU-Kommission strikt ab, Flüchtlinge quotenmäßig auf alle EU-Staaten zu verteilen. Das Innenministerium teilte dazu mit: "Großbritannien hat eine stolze Geschichte, denen Asyl zu gewähren, die es am nötigsten brauchen. Wir glauben jedoch nicht, dass ein verpflichtendes System der Umsiedlung die Lösung ist und werden uns gegen die Vorschläge der Kommission stellen, unfreiwillige Quoten einzuführen." Die Haltung der Briten in dieser Frage war bekannt, könnte sich für Cameron jedoch als Problem erweisen: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die seine wichtigste Verbündete in den EU-Verhandlungen werden soll, ist für die Vorschläge der Kommission.

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