Großbritannien:Mission erfüllt, Partei tot

Mark Reckless Wins The Rochester And Strood By-Election For UKIP

Nach ihrem Parteieintritt 2014: Mark Reckless und Douglas Carswell.

(Foto: Rob Stothard/Getty)

Die britische Ukip hat ihr Ziel erreicht: Das Land tritt aus der EU aus. Nun laufen ihr sowohl die Wähler als auch die eigenen Abgeordneten weg.

Von Christian Zaschke, London

Eine der erstaunlichsten Wählerwanderungen der vergangenen Jahre hat sich am Donnerstag in Aylesbury Vale vollzogen, einer ausgesprochen hübschen Gegend nordwestlich von London. Dort stand im Ort Elmhurst die Wahl eines neuen Stadtrats an. Den Posten hatte bisher ein Vertreter der UK Independence Party (Ukip) inne. Als am Freitag die Stimmen ausgezählt waren, stand fest: Drei Viertel der Wähler, die vormals für die EU-feindliche Ukip gestimmt hatten, haben sich diesmal für die äußerst EU-freundlichen Liberaldemokraten entschieden: Diese konnten mehr als 60 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Für die Ukip ist das ein dramatisches Zeichen: Jetzt gehen ihr nicht mehr nur die Politiker von der Fahne, sondern auch die Wähler.

Diese Woche war ohnehin keine gute für die Partei, weil am Donnerstag Mark Reckless seinen Austritt erklärt hat. Der sitzt im walisischen Regionalparlament und teilte in einem freundlichen Brief mit, er gehe im Guten, nachdem das große gemeinsame Ziel, der Austritt aus der EU, erreicht worden sei. "Für mich ist der Job erledigt", schrieb er. Nun unterstütze ich Theresa May und ihr Team von Brexit-Ministern dabei, den Brexit zu bewerkstelligen." Seine Kollegen waren sehr wütend.

Reckless war 2014 von den Konservativen zur Ukip übergelaufen. Damals vertrat er als Abgeordneter in Westminster den Wahlkreis Rochester & Strood, im Südosten Englands an der Zugstrecke nach Frankreich gelegen. Er rief eine Nachwahl aus und wurde trotz des Parteiwechsels als Abgeordneter bestätigt. Für die Ukip waren es herrliche Tage, denn damit hatte sie schon zwei Abgeordnete. Der andere hieß Douglas Carswell, ebenfalls ein Überläufer von den Konservativen. Der damalige Ukip-Chef Nigel Farage ließ sich freudestrahlend mit den beiden Politikern fotografieren und pries sie in höchsten Tönen. Er setzte stets sein schönstes Grinsen auf, wenn er unermüdlich wiederholte, es würden sich bald noch mehr Tories auf seine Seite schlagen. Doch der Wunsch wurde nicht zur Wirklichkeit: Weitere Überläufer mochten sich nicht materialisieren.

Der alte Parteichef ruft dem Abtrünnigen Flüche nach: Man sei froh, dass er weg ist

Bei der Parlamentswahl 2015 dann konnten die Konservativen Rochester & Strood zurückerobern. Für Mark Reckless fand die Ukip ein Plätzchen im Waliser Parlament, wo er fortan abseits der Öffentlichkeit vor sich hinwerkelte. Mit Carswell geriet Farage in Streit, er nannte ihn einen "vornehmen Tory-Jungen", was Carswell vornehm an sich abperlen ließ. Im vergangenen Monat trat er aus der Partei aus. Auch sein Abschiedsbrief war betont freundlich gehalten. Wie Reckless wies er darauf hin, dass das gemeinsame Ziel erreicht sei; es gebe daher keinen Grund mehr, in der Partei zu bleiben.

Damit hatte die Ukip keinen Vertreter mehr im Parlament von Westminster. Farage rief ihm ein paar Boshaftigkeiten hinterher: Carswell sei nie ein echter Ukip-Mann gewesen; man sei froh, dass er weg ist. Ohnehin sei er mit seinem Austritt lediglich seinem Rauswurf zuvorgekommen. Die Stimmung in der Partei war mies. Nachdem jetzt auch Reckless die Ukip verlassen hat, sagte ein Mitarbeiter von Farage: "Diese Clowns haben uns jahrelang verschaukelt." Bill Etheridge, Ukip-Abgeordneter im Europaparlament, nannte Reckless "erbärmlich" und bezeichnete die beiden Politiker als "Infiltratoren", die von ihrer ehemaligen Partei aktiviert worden seien, um der Ukip zu schaden.

Die harschen Reaktionen zeigen, dass sowohl Carswell als auch Reckless einen wunden Punkt getroffen haben. Der Hauptdaseinszweck der 1993 gegründeten Ukip war stets, für den Austritt Großbritanniens aus der EU zu werben. Sie setzte sich zwar noch für ein paar andere Themen wie zum Beispiel schärfere Einwanderungsgesetze ein, aber im wesentlichen wurde sie als Anti-EU-Partei wahrgenommen. Nachdem Premierministerin Theresa May das Austrittsverfahren aus der EU Ende März auch offiziell eingeleitet hat, stellt sich inzwischen die Frage, wozu die Partei noch da ist.

Farage war nach dem Referendum über die EU-Mitgliedschaft im vergangenen Jahr vom Parteivorsitz zurückgetreten. Sein Nachfolger Paul Nuttall hatte in diesem Februar bei einer Nachwahl in Stoke-on-Trent versucht, einen Sitz im Parlament von Westminster zu erobern. In Stoke-on-Trent hatten zwei Drittel der Wähler für den Brexit gestimmt, weshalb die Frage im Raum stand: Wenn die Ukip mit ihrem Vorsitzenden antritt und es hier nicht schafft, wo will sie es dann schaffen? Nuttall scheiterte, und seither befindet die Partei sich in einer Existenzkrise.

Farage will davon nichts wissen. Obwohl er den Vorsitz abgegeben hat, ist er weiterhin Gesicht und Stimme der Ukip. In der BBC tritt er so regelmäßig auf, als wäre er der Vorsitzende einer bedeutenden Partei, obwohl er lediglich der ehemalige Chef einer Partei ohne Abgeordnete in Westminster ist. Die Ukip sei noch lange nicht am Ende, sagt er wieder und wieder. Und: "Den Krieg zu gewinnen ist sehr, sehr wichtig. Aber wir müssen auch den Frieden gewinnen." Damit meint er, dass die Ukip sich als die Partei profilieren will, die darüber wacht, dass der Brexit tatsächlich vollzogen wird. Sein Problem: Daran haben nicht nur Douglas Carswell und Mark Reckless keine Zweifel mehr, sondern so gut wie niemand im ganzen Land.

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