Großbritannien:Mehr EU, weniger USA

Die neue britische Regierung ändert ihren außenpolitischen Kurs. Unter Außenminister William Hague ist das "besondere Verhältnis" zu den USA so besonders nicht mehr. Die Beziehungen zur Europäischen Union sollen aufgewertet werden.

Wolfgang Koydl

Das Amtszimmer des britischen Außenministers hat in etwa die Ausmaße einer Zwei-Zimmer-Neubauwohnung, und es spiegelt damit Macht, Reichtum und Reichweite des untergegangenen Empire wider. Heutige Amtsinhaber tun sich schwer, diesen Raum auszufüllen, genauso wie die Rolle des Vereinigten Königreichs ja auch nur mehr ein matter Abglanz des machtvollen Vorgängers ist.

William Hague

Der neue britische Außenminister William Hague hat eine Kehrtwende in der Außenminster angekündigt, die erstaunlich ist.

(Foto: afp)

Diese Einsicht freilich hat sich nicht immer durchgesetzt: Ob in Suez, auf den Falklands, oder im Irak - Britannien trat häufig in einer Gewichtsklasse an, die eigentlich über seinen Fähigkeiten lag. Nun hat der neue Außenminister William Hague eine Kehrtwende angekündigt, die insofern erstaunlich ist, als sie den Platz des Landes in der Welt sowie seine Möglichkeiten, außenpolitische Ereignisse zu beeinflussen, realistisch einschätzt. "Die Welt hat sich verändert, und wenn wir uns nicht mit ihr verändern, wird Britanniens Rolle weiter absinken", sagte er. Vergessen ist das "ethische Element" der Außenpolitik, das Labours Außenminister Robin Cook vor 13 Jahren forderte, vergessen auch die von Ex-Premier Tony Blair 1999 formulierte Doktrin der "humanitären Intervention", die gut gemeint war, aber letztlich in die irakische Tragödie mündete.

Fortan soll gelten, was Hague das "aufgeklärte nationale Interesse" nennt: Britische Außenpolitik, soll das heißen, muss britischen Interessen dienen, und dazu wird der Kreis der Freunde und Verbündeten neu sortiert und erweitert. Bemerkenswert ist dabei dreierlei: das einst "besondere Verhältnis" zu den USA ist so besonders nicht mehr, die Beziehungen zur Europäischen Union sollen deutlich aufgewertet werden, und Kontakte zu aufstrebenden Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien erhalten Vorrang.

Den Begriff "special relationship" nutzt die konservativ-liberaldemokratische Londoner Koalition nicht mehr für das Verhältnis zu Amerika. Hier ist nun die Rede von einer "unzerbrechlichen Allianz". Das klingt zwar auch gut, ist aber nicht dasselbe wie das seit Winston Churchill liebevoll gepflegte Sonderverhältnis. Ein solches soll es künftig stattdessen zu Indien geben, einst Kronjuwel des Empire und heute aufstrebende Technologie- und Industriemacht. Zu den historischen Banden gesellen sich menschliche Kontakte: Mehr als eine Million Inder leben im Vereinigten Königreich. Die Pflege der Beziehungen zu Delhi ist zudem Chefsache. Zuständig ist Premierminister David Cameron, der im Sommer an der Spitze einer gewaltigen Delegation aus Ministern und Geschäftsleuten auf den Subkontinent reisen wird. In Washington hingegen war er noch nicht - anders als seine Vorgänger, deren erster Weg nach ihrer Wahl selbstverständlich zum Antrittsbesuch über den Atlantik führte. Vizepremier Nick Clegg soll sich übrigens speziell um die zweite aufstrebende Supermacht China kümmern.

Camerons erste Auslandsreisen führten ihn nach Paris, Berlin und Brüssel. Die Priorität, welche die eigentlich so euroskeptischen Tories mit dieser Wahl der Europäischen Union einräumten, ist einerseits dem proeuropäischen liberalen Koalitionspartner geschuldet, andererseits einem neuen Realitätssinn. Denn in London hat man erkannt, dass man ohne die Partner jenseits des Kanals nicht viel erreicht in der Welt, und dass man gegen sie nur in die Isolation gerät.

Wenn Hague nun ankündigt, die Zahl britischer Vertreter und Diplomaten in der EU zu erhöhen und sich fallweise um Bündnisse mit kleineren EU-Mitgliedern in Mittel- und Osteuropa zu bemühen, dann signalisiert er damit nicht nur Realitätssinn sondern auch Normalität: Paris, Rom, Berlin und Warschau agieren in Brüssel nicht anders. Dort freilich dürfte man nicht restlos glücklich sein mit der britischen Kehrtwende. Vor allem in dem von der Britin Catherine Ashton geführten diplomatischen Dienst der EU erwächst Bewerbern vom Kontinent nun Konkurrenz von der Insel.

Schon vor der Unterhauswahl vom Mai hatten Hague und sein Chef Cameron den Europäern eine positive Überraschung für den Fall einer Regierungsübernahme versprochen. Dort hörte man die Botschaft, doch mit dem Glauben haperte es: Zu tief saßen die Erinnerungen an anti-europäische Alleingänge und Sonderwege vergangener konservativer Briten-Premiers. Allmählich dürfte die Skepsis ungläubigem Staunen weichen. "Rätselhaft" nannte es Hague, dass die früheren Labour-Regierungen Britanniens Gewicht in der EU nicht eingesetzt hätten. Das gilt auch für Londons neue Linie: ein wenig rätselhaft, aber zutiefst befriedigend.

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