Großbritannien:May und ihre Minister taumeln ahnungslos in den Brexit

Großbritannien: Theresa May im Juni in Brüssel.

Theresa May im Juni in Brüssel.

(Foto: AFP)

Egal, was man von Großbritanniens Ausstieg aus der EU hält: Um seine Regierung ist das Land nicht zu beneiden. Die Premierministerin und ihre Helfer agieren wie Witzfiguren.

Kommentar von Christian Zaschke, London

Man kann sich bestens vorstellen, wie beim Londoner Evening Standard umgehend gute Laune ausbrach, als Premierministerin Theresa May verkündete, sie werde die Konservativen auch in die nächste Parlamentswahl im Jahr 2022 führen. Zur Heiterkeit dürfte erheblich beigetragen haben, dass May wirkte, als meine sie das ernst. Beim Evening Standard herrscht immer gute Laune, wenn es Gelegenheit gibt, May zu attackieren. Das liegt daran, dass das Blatt von George Osborne geleitet wird, der unter Mays Vorgänger David Cameron Finanzminister war und von ihr in diesem Sommer geschasst wurde. Osborne ist ausgesprochen nachtragend.

Mays Aussage ist deshalb so eine gute Vorlage für Spott, weil es nahezu ausgeschlossen ist, dass sie die Tories in die nächste Wahl führt. Möglich, dass sich das noch nicht bis zu ihr herumgesprochen hat, aber dass die Konservativen noch einmal mit May an der Spitze in eine Wahl ziehen, ist so realistisch wie die Annahme, die englische Fußball-Nationalelf könnte die nächste Weltmeisterschaft gewinnen.

Die Premierministerin hat sich bei den von ihr selbst ausgerufenen Neuwahlen in diesem Jahr als wohl schlechteste Wahlkämpferin erwiesen, die die Insel je erlebt hat. Die Partei nimmt es ihr sehr übel, dass sie ohne Not die absolute Mehrheit verlor. Beim Evening Standard verfassten sie also ein Editorial, in dem sie May als Politikerin beschrieben, die vorwärts taumele wie "eine lebende Tote in einem zweitklassigen Horrorfilm".

Die Premierministerin und ihre Minister agieren wie Witzfiguren

Ganz gleich, was man von der Entscheidung der Briten für den Brexit hält: Um das Personal, das diesen zu bewerkstelligen hat, sind sie wirklich nicht zu beneiden. An der Spitze steht May, die sich an die Macht klammert. "Starke und stabile Führung" hatte sie versprochen, was um so bizarrer wirkt, wenn man sieht, wie sie nun laviert und allzeit so wirkt, als warte sie flackernden Blickes auf den Moment, in dem die Verschwörer aus der Kulisse treten, die ihre Amtszeit beenden.

Während des Sommers hatte sie mehrmals Abgeordnete in ihren Landsitz Chequers zu Prosecco und Kanapees eingeladen. Wohlmeinende Stimmen sagten, das sei ein kluges Manöver gewesen, um ein Netzwerk in der Partei aufzubauen. Die meisten Beobachter benannten jedoch deutlich, was passierte: May bettelte darum, noch ein wenig im Amt bleiben zu dürfen.

Als sie nun sagte, sie plane, auf lange Sicht Premierministerin zu bleiben, meldete sich Außenminister Boris Johnson zu Wort. Das sei eine gute Idee, ließ er verlauten. Seine Unterstützung habe sie. Nun muss man wissen, dass Johnson der größte Opportunist in ganz Westminster ist, stets getrieben vom Wunsch, Premier anstelle des Premiers zu werden. Wenn jemand in Mays Nähe den Dolch im Gewande führt, dann ist es Johnson.

Die Briten werden auch diese Krise meistern

Dessen Chancen, das höchste Amt eines Tages zu übernehmen, haben sich durch sein Wirken als Minister allerdings nicht verbessert, weil er sich für den Posten des obersten Diplomaten als ungeeignet erwies. Die internationalen Kollegen nehmen ihn nicht ernst. Seine Beamten nehmen ihn nicht ernst. Selbst im Weißen Haus, das von einigen schillernden Persönlichkeiten bevölkert wird, hält man ihn "für einen Witz". Das ist für ein Land, das im Angesicht des Brexit neue und alte Allianzen pflegen will, eher ungünstig.

Über den Brexit-Minister David Davis erzählte einer seiner früheren Berater kürzlich, dass er auffallend faul sei. Dagegen ist im Grundsatz nichts zu sagen, besonders, wenn man es im Sinne des römischen Philosophen Cicero versteht, der otium cum dignitate zu schätzen wusste, würdevolle Muße. Aber dass der Minister, der im Vereinigten Königreich für das größte politische Unterfangen seit dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich ist, nur an drei bis vier Tagen die Woche arbeitet und an Wochenenden mit dem Hinweis auf das fehlende Handynetz nicht zu erreichen ist, erscheint nicht optimal.

Die Briten haben schon ganz andere Krisen überstanden

Schließlich wäre da noch Liam Fox, der all die neuen Handelsabkommen für die Zeit nach dem Brexit anbahnen soll. In dieser Woche verkündete er stolz, dass es einen Infostand am Eurostar-Bahnhof in Brüssel geben soll, der für britische Exporte wirbt, was einer seiner Kollegen mit den Worten beschrieb, man parke "die Panzer auf dem Rasen der EU". Fox ist in diesem erstaunlichen Aufgebot die am wenigsten ernstzunehmende Figur.

Das alles mag mit Blick auf den Brexit beunruhigend wirken, aber die Briten haben in den vergangenen Jahrhunderten schon ganz andere Krisen überstanden. Sie werden auch diese meistern. Von Herzen zu wünschen ist ihnen, dass das aus May, Johnson, Davis und Fox bestehende Quartett der Ahnungslosen dereinst nur eine insgesamt heitere Fußnote ihrer ereignisreichen Geschichte sein wird.

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