Großbritannien:Kurz vor knapp

Großbritannien: Nach dem Brand eines Hochhauses in London mit vielen Toten gerät Premierministerin May unter Druck.

Nach dem Brand eines Hochhauses in London mit vielen Toten gerät Premierministerin May unter Druck.

(Foto: Tolga Akmen/AFP)

Theresa May braucht dringend eine Einigung mit der DUP. Am Mittwoch wird die Königin bei der traditionellen Queen's Speech das Programm der Regierung verlesen.

Von Christian Zaschke, London

Philip Hammond ist wieder aufgetaucht. Den britischen Finanzminister hatten die Konservativen während des Wahlkampfs versteckt. Zum einen, weil sich alles auf Premierministerin Theresa May konzentrieren sollte, zum anderen, weil Hammond einer der wenigen Minister ist, die sich trauen, offen zu sagen, dass nach dem Austritt aus der EU vielleicht doch nicht alles rosig wird. Er hatte während der Brexit-Kampagne für den Verbleib in der Union geworben.

Am Dienstag hielt er seine erste große Rede seit vielen Wochen. Er sprach in London vor Wirtschaftsführern, und es waren die Zwischentöne, die die Rede interessant machten. Hammond sagte zum Beispiel, dass es "jedes Quäntchen an Geschick und Diplomatie" brauche, um für Großbritannien in Brüssel den richtigen Brexit-Deal auszuhandeln. Für sich genommen eine Banalität. Wirkung entfaltet die Aussage, weil sie so ganz anders klingt als das aggressive Mantra vieler seiner Parteifreunde, kein Deal sei besser als ein schlechter Deal.

Zudem warnte der Minister, die Briten hätten nicht dafür gestimmt, durch den Brexit ärmer zu werden. Er will die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU ins Zentrum der Verhandlungen stellen. Den meisten konservativen Brexit-Befürwortern sind hingegen die Themen Immigration und Souveränität am wichtigsten. Hammond hat noch nie etwas von den Plänen seiner Partei gehalten, die Einwanderung aus der EU deutlich zu drücken, weil er befürchtet, dass das zu einem Fachkräftemangel führen könnte und der Wirtschaft schade.

Er zählt zu den erfahrensten Mitgliedern der Regierung, er war schon Verkehrs-, Verteidigungs- und Außenminister und dabei stets wohlgelitten, weil er eine äußerst nüchterne und klare Art hat. Diese hat ihm den Spitznamen "Tabellen-Phil" eingebracht. Seine öffentlichen Auftritte sind nicht die Fesselndsten, aber von Präzision geprägt. Nach dem missratenen Wahlkampf der Tories sind diese Eigenschaften in der Partei wieder gefragt, Hammonds Einfluss ist gestiegen.

Die Queen's Speech ist ein politisches Hochamt, doch diesmal wird es gedämpfter zugehen

Mit seiner Rede hat er am Dienstag deutlich gemacht, dass er diesen Einfluss nutzen will, um mitzureden, wenn es darum geht, auf welche Weise das Land die EU verlässt. Interessant wird sein, ob sich die Stimmen der moderateren Konservativen wie Hammond auch in der an diesem Mittwoch anstehenden Queen's Speech wiederfinden. Die Königin verliest im Parlament das Programm der Regierung. Mit besonderem Interesse erwarten die politischen Beobachter, was in puncto Brexit vorgetragen wird.

Nach der Rede wird mehrere Tage im Parlament debattiert. In der kommenden Woche wird darüber abgestimmt. Verlöre die Regierung diese Abstimmung, käme das einem Misstrauensvotum gleich und sie wäre de facto gescheitert. Da die Konservativen keine Mehrheit haben, sind sie auf die zehn Stimmen der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) angewiesen. Seit eineinhalb Wochen verhandeln die beiden Parteien über ein Abkommen. Zunächst war erwartet worden, dass es vor der Queen's Speech zustande komme. Am Dienstag sagte ein Minister, es reiche, wenn man sich vor der Abstimmung in der kommenden Woche einige.

Normalerweise ist die Queen's Speech ein politisches Hochamt, das mit viel Pomp gefeiert wird. In diesem Jahr wird es nach den jüngsten Terroranschlägen gedämpfter zugehen. Von einer "düsteren Stimmung" im Land hatte Elizabeth II. am Wochenende gesprochen. Am Dienstag hielten Hunderte Londoner eine Schweigeminute im Stadtteil Finsbury Park ab, wo in der Montagnacht ein Mann in einem Lieferwagen absichtlich in eine Menschenmenge vor einer Moschee gerast war; eine Person starb, zehn wurden verletzt. Sämtliche Opfer sind Muslime. Beim Täter handelt es sich um einen 47 Jahre alten Mann aus Süd-Wales.

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